Longieren einmal anders

Tanz an der langen Leine: Longieren in der Akademischen Reitkunst

Ein Artikel von Pamela Sladky | 03.02.2022 - 16:50
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Wenn Könner am Werk sind, sieht das Longieren in der Akademischen Reitkunst fast wie tanzen aus. © Céline Rieck

Longieren nimmt in der Akademischen Reitkunst eine besondere Stellung ein, die weit über die Jungpferdeausbildung und den Konditions- und Kraftaufbau ohne Reiter hinausgeht. Neben der Entwicklung einer detaillierten Kommunikation mit dem Pferd liegt der Fokus hier auf der umfangreichen Gymnastizierung. Selbst ein Pferd, das das Jungpferde-ABC längst hinter sich gelassen hat, kann an der Longe noch etwas lernen. Möglich macht dies das breite Hilfenspektrum, das dem Ausbilder zur Verfügung steht. „An der Longe lässt sich eine so detaillierte Kommunikation entwickeln, dass man tatsächlich alle Hilfen geben kann, die man auch als Reiter zur Verfügung hat. Dadurch ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, mit dem Pferd zu arbeiten“, erklärt der dänische Reitausbilder Bent Branderup.

Balance und Biegung in allen Grundgangarten, Dehnungsbereitschaft und Selbsthaltung gehören bereits zum Basistraining. Sie werden weiter verbessert und verfeinert, wenn es bei der fortgeschrittenen Arbeit in Richtung Versammlung geht. Der sind – wenn man sein Handwerk versteht – übrigens kaum Grenzen gesetzt. Bei entsprechendem Ausbildungsstand zeigen gut geschulte Pferde an der Longe sogar Lektionen der Hohen Schule, etwa Piaffe, Passage oder Levade.

Die Ausrüstung

Wer nach akademischem Vorbild longieren möchte, benötigt einen gut sitzenden Kappzaum, eine (Kurz-)Longe von etwa vier bis fünf Metern Länge und eine Gerte. Auf Hilfszügel, egal welcher Art, wird grundsätzlich verzichtet. Warum, erklärt Branderup so: „Die Aufrichtung und Stellung des Halses, wenn sie gesund sein soll, muss ein Resultat der Tätigkeit der Hinterhand, des Rückens und des Rumpfes sein. Wenn man nun den Hals durch Hilfszügel in eine Form zwingt, blockiert man den Schwung.“

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Levade an der langen Leine: Selbst (höchste) Versammlung ist beim Longieren möglich. © Christofer Dahlgren

Davon abgesehen sei es wichtig, sowohl über mentale wie physische Grenzen des Pferdes Bescheid zu wissen, meint Anna Eichinger, lizensierte Branderup-Trainerin aus Graz. „Wenn das Pferd eine Frage mit ‚nein‘ beantwortet, kann es sich ohne Hilfszügel entziehen – und der Reiter erfährt auch, warum. Entweder ist das Pferd in der Ausbildung noch nicht soweit. Oder man kommt dahinter, dass die Lastaufnahme noch nicht ausreichend klappt. Oder das Pferd fühlt sich von den Hilfen mental zu stark eingerahmt. Es gibt viele Möglichkeiten – als Ausbilder muss man zum Forscher werden.“
 

Der Anfang

Bevor es in der Akademischen Reitkunst mit der Longenarbeit losgehen kann, ist einiges an vorbereitendem Training nötig. Das entsprechende Rüstzeug erhält das Pferd bei der Bodenarbeit an der kurzen Leine. Hier lernt es die wichtigsten Hilfen, die später an der Longe gegeben werden, zu verstehen und entsprechend darauf zu reagieren. Erster Punkt der Hilfenschulung ist „das Verständnis für die nachgiebige Reiterhand – das heißt, dass das Pferd seinen Kopf (vorwärts-) abwärts streckt, wenn am mittleren Kappzaumring ein Impuls gegeben wird. Daraus wird eine Dehnungshaltung und ein Verständnis für Stellung und in weiterer Folge Biegung entwickelt“, erklärt Anna Eichinger die Anfänge der Ausbildung.

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Zu Beginn lernt das Pferd, mit dem inneren Hinterbein unter den Schwerpunkt zu treten. © Katharina Gerletz

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Danach wird der Abstand zwischen Pferd und Ausbilderin schrittweise vergrößert © Katharina Gerletz

Bereit fürs Longieren sind Pferd und Mensch dann, wenn sich das innere Hinterbein des Pferdes bei der Bodenarbeit gezielt beeinflussen und zum Vorgriff unter den Körper animieren lässt. So können schon von Beginn an leere und damit bestenfalls unnötige, schlechtestenfalls jedoch schädliche Kilometer in unphysiologischer Haltung an der Longe weitgehend vermieden werden, wie Eichinger ausführt. „Die Bewegung auf einer kreisförmigen Bahn ist für ein Pferd etwas sehr Unnatürliches. Deshalb müssen wir seine Bewegungskompetenz auf der Kreislinie besonders sorgfältig schulen.“

Der Übergang zwischen Bodenarbeit und Longieren verläuft danach fließend: „Aus dem Untertreten, also der Einladung an das innere Hinterbein, unter den Schwerpunkt zu treten, wird der Zirkel und damit der Abstand zum Menschen vergrößert.“ In diesem Moment zeigt sich, ob die zuvor erarbeitete Kommunikation auch auf Distanz funktioniert.
 

Die Besonderheiten

Eine erweiterte Form des Longierens ist der sogenannte Crossover – eine stufenlose Verschmelzung zwischen Bodenarbeit, (einhändig geführter) Handarbeit, Longentraining und Langzügelarbeit, bei der die Leichtigkeit und Freiwilligkeit des Pferdes eine zentrale Rolle spielen. Die Ausrüstung ist dieselbe wie beim Longieren. Der Vorteil dieser Spezialform: „Durch die große Vielfalt an Führungspositionen und die damit verbundenen Möglichkeiten, auf den gesamten Körper des Pferdes einzuwirken, steht die Crossover-Arbeit dem Reiten in nichts nach“, findet Marius Schneider, Meister der Akademischen Reitkunst aus dem Münsterland.

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Zwischen Longieren und Langzügelarbeit: Im Crossover wechselt der Ausbilder seine Position ganz nach Bedarf. © Céline Rieck

Allerdings ist Crossover-Arbeit wegen des häufigen Wechsels der Führpositionen und des relativ geringen Abstands zum Pferd eine sehr herausfordernde Trainingsform für den Menschen. Das gilt für den körperlichen Aspekt genauso wie für den geistigen. Doch der Aufwand macht sich bezahlt, ist Schneider überzeugt: „Durch die Crossover-Arbeit erhält man die Chance, eine besonders enge Beziehung zu schaffen, für die es nicht viele Hilfen und Worte braucht, um sich seinem Gegenüber mitzuteilen.“ Und das sollte letztlich doch das Ziel einer jeden guten Kommunikation mit dem Pferd sein.

Buchtipp

Beim Longieren lernt das Pferd, auf visuelle Hilfen sowie auf Longe und Gerte zu reagieren. 17 Expert:innen der Akademischen Reitkunst, darunter Anna Eichinger, Marius Schneider und Christofer Dahlgren, beleuchten die verschiedenen Aspekte der Arbeit an der Longe vom Einstieg bis zur fortgeschrittenen Arbeit inklusive Freiarbeit und Crossover.

Longenarbeit in der Akademischen Reitkunst
Bent Branderup (Hrsg.)
224 Seiten, zweisprachig Deutsch und Englisch in einem Band
UVP 34,90 Euro
erschienen und erhältlich bei Müller Rüschlikon
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