Leseprobe

"Alles mit Geduld und Gefühl"

Ein Artikel von Michaela Braune | 06.09.2023 - 15:32
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Olympia liegt bei diesen beiden in den Genen: Lea Siegl war 2020 in Tokio die jüngste Teilnehmerin in der Vielseitigkeit, ihr Vater und Trainer Harald Siegl für Österreich 2004 in Athen am Start. © Kathrin Werth

Zufrieden und gleichmäßig zieht der sechsjährige Conrad P, Halbbruder ihres aktuellen Erfolgspferds Van Helsing P, unter Lea Siegl seine Runden über den Reitplatz. Gute Lösungsphasen mit vielen Übergängen, Galopp im leichten Sitz und feinster Hilfengebung gehören genauso zu seinem Trainingsalltag wie ein frischer Galopp im Gelände. So gewinnt der Sechsjährige, der bereits in 2*-Prüfungen siegreich ist, Sicherheit unter seiner Reiterin. Für das Springtraining ist Papa Harald Siegl zuständig. Auch hier kommt die Abwechslung nicht zu kurz: Statt einfachen Stehern und Stangen finden sich auch blaue Kunststofftonnen als Hinderniselemente, von denen Conrad selbst vier in einer Reihe mit spielerischer Leichtigkeit überwindet.

Für seine Altersgenossin, die Trakehnerstute Sternenzauberin, die wie er mit Lea Siegl bereits für die WM der jungen Vielseitigkeitspferde qualifiziert ist, steht heute Gymnastik auf dem Programm. Nach der Cavaletti-Arbeit zeigt sie, dass auch bei den Buschpferden gute Dressurarbeit ein wichtiges Element für den sportlichen Erfolg ist.

Für das Springen im Parcours sowie im Gelände braucht das Pferd Kraft und Durchlässigkeit. Welche Übungen setzt ihr dafür ein?

Harald Siegl: Für den Kraftaufbau arbeiten wir gerne hier bei uns am Berg, lassen die Pferde bergauf und bergab gehen, in jeder Gangart, aber immer im ruhigen Tempo. Die Kraft kann man nur aus dem ruhigen Tempo aufbauen. Beim Springen setzen wir, auch für die Losgelassenheit im Rücken, gerne Gymnastikreihen ein. Als Beispiel haben wir heute eine Oxer-Reihe aufgebaut, wo ich die Distanzen maximal auf sechs Meter stelle. Wichtig ist hier, dass man nicht zu sehr in die Höhe baut, maximal ein Meter. Was ich aber verändern kann, ist die Tiefe der Oxer, sodass sich das Pferd mehr strecken muss. Die Höhe ist nicht wichtig, es geht hier um den Wechsel zwischen enger Distanz und dem Oxer als Weitsprung, damit das Pferd die entsprechende Muskulatur einsetzt.

Lea Siegl: Die Distanz ist auch von Pferd zu Pferd etwas unterschiedlich, hat das Pferd eine größere Galoppade, muss ich sie natürlich anpassen. Und was die Höhe angeht: Lieber etwas niedriger bauen als zu hoch, immer langsam herantasten.
Harald Siegl: Für Haflinger und Ponys z. B. mache ich den Aufbau natürlich etwas enger. Den ersten und den letzten Oxer verändere ich nicht, dazwischen kann ich die Oxer dann aber breiter oder schmäler machen.

Wie trainiert ihr am Dressurviereck, und am Springplatz die Geraderichtung?

Harald Siegl: Wir haben dazu eine Reihe mit schmalen Sprüngen, den blauen Fässern, aufgebaut. Am Anfang kann man da links und rechts noch Stangen zwischen die Sprünge auf den Boden legen oder Steher dazustellen, damit sich das Pferd leichter tut. Auch hier kann ich den Abstand zwischen den Sprüngen verändern, wenn das Pferd so weit ist. Je weiter das Pferd in der Ausbildung ist, umso mehr kann ich variieren. Wir schauen uns die Pferde davor auch immer über Cavaletti an, um zu sehen, welche Distanz für das Pferd passt. Nicht jedes Pferd tut sich mit der 7,20-Meter-Parcoursdistanz automatisch am leichtesten.

Lea Siegl: Die Pferde müssen ja zuerst einmal Vertrauen haben. Erst wenn sie die Übungen gut verstanden haben, machen wir sie etwas schwieriger. Aber alles immer mit Gefühl, nicht zu schnell den Schwierigkeitsgrad erhöhen! Gerade bei solchen Übungen mit den jungen Pferden geht es einfach darum, dass sie Vertrauen aufbauen, den Galoppsprung hin und wieder einmal verkürzen, gerade bleiben, den Rhythmus und die Linie behalten.

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© Kathrin Werth

Zur Vielseitigkeit gehört auch eine gute Dressur. Welche Tipps habt ihr für Durchlässigkeit, Anlehnung und Selbsthaltung?

Harald Siegl: Wichtig ist, das Pferd mit korrekten Hufschlagfiguren und in den Ecken ehrlich zu biegen und zu stellen. Mir sind korrekte Ecken sehr wichtig. In vielen Schul- und Ausbildungsbetrieben wird oft nur auf der großen Tour geritten, die Pferde biegen dann schon automatisch ab, weil sie es gar nicht anders kennen. Oft sieht man am Boden schon, wie ausgetreten der Hufschlag ist, weil die Ecken nicht richtig geritten werden. Da muss man ja schon fast bergsteigen, wenn man richtig hineinreiten will!

Lea Siegl:
Korrekte Ecken sollte man schon mit den jungen Pferden erarbeiten, natürlich altersentsprechend. Bei den ganz Jungen muss man anfangs die Ecken etwas abkürzen, damit das Pferd die Balance nicht verliert. Aber sobald die Pferde in der Ausbildung etwas weiter sind, sollte man ihnen das gut beibringen.

Wie fördert ihr die Dehnungshaltung?

Lea Siegl: Ich reite viel im leichten Sitz und lasse die Pferde sich zwischendurch immer wieder dehnen. Wichtig ist, dass sie nicht hektisch werden, ruhig und gleichmäßig im Tempo bleiben und am Sitz sind. Mit der Hand kann man da nichts korrigieren. Ich mache das auch am Turnier oft, wenn ich am Tag vor der Prüfung rund ums Viereck reite. So überprüfe ich, ob mein Pferd bei mir ist oder verunsichert und abgelenkt. Wenn ein Pferd etwas aufgeregt oder „heiß“ ist, beruhige ich es so wieder. Auch wenn es manchmal Überwindung kostet: Es ist wichtig, auch dem Pferd die Möglichkeit zu geben, zur Ruhe zu kommen, ohne dass man es festhält. Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen ist bei mir immer ein Fixpunkt, wenn ich mit dem Reiten fertig bin. Dann lasse ich die Pferde einfach noch ein paar Runden locker dehnen, lobe sie und höre auf.

Mehr lesen im September

Mehr Tipps von Lea und Harald Siegl zu Themen wie Durchlässigkeit, Anlehnung, Selbsthaltung und Verbesserung der Lastaufnahmelesen Sie in der Septemberausgabe der Pferderevue. Was Sie in diesem Heft außerdem erwartet, erfahren Sie hier.

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