Leseprobe

"Das Pferd muss Vertrauen und Freude an der Arbeit haben"

Ein Artikel von Michaela Braune | 17.08.2023 - 10:47
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Zeitlhofer und „ihr“ Pluto Amena: Losgelassenheit entsteht durch viel Lob. © beranek-images.com

Wenn Hannah Zeitlhofer mit Pluto Amena die Reitbahn in der Wiener Hofburg betritt, zieht sie ihren Zweispitz vor dem Porträt von Kaiser Karl VI., der 1729 den Bau der Winterreitschule in Auftrag gab. Ihren Traditionen ist die „Spanische“ verbunden, die Ausbildung der Lipizzaner erfolgt gemäß der klassischen Reitkunst. Doch wer glaubt, dass hier stundenlang Kapriolen geübt werden, liegt falsch. Gerade die Basisarbeit für Losgelassenheit, stabile Anlehnung und gute Dehnungshaltung ist es, worauf Zeitlhofer und ihre Kolleg:innen im täglichen Training besonders achten. Wir haben sie nach ihren Tipps und Tricks gefragt.
 

Zu Beginn soll das Pferd lernen, in eine gute Dehnungshaltung zu finden. Welche Übungen setzen Sie dafür ein?

Für mich ist Grundvoraussetzung, dass das Pferd Vertrauen zur Hand bekommt. Das heißt, man muss als Reiter eine sehr ruhige und unabhängige Hand haben. Nur so kann das Pferd lernen, sich an die Hand zu dehnen und dieser auch zu vertrauen. Gerade bei jungen Pferden ist das wichtig, denn sie neigen häufig dazu, sich etwas zu „verkriechen“. Sobald das gegeben ist, und das Pferd selbst den Kontakt sucht, finde ich es wichtig, dass man variiert zwischen Dehnungshaltung und Wiederaufnehmen. Es kommt dabei aber auch sehr auf das Pferd an: Habe ich ein Pferd, dass eher heiß ist, bringt es nicht viel, wenn ich gleich zu Beginn die Zügel sehr lang lasse und unbedingt eine Dehnungshaltung will. Hier achte ich darauf, dass ich zuerst Ruhe ins Pferd bekomme. Wenn ich das Pferd dann mit dem treibenden Schenkel von hinten nach vorne reiten kann, folgt die Dehnungshaltung. Übergänge sind da das A und O, egal ob innerhalb der Gangart oder als Wechsel zwischen den Gangarten. Was man hier bevorzugt, hängt auch vom Charakter und Temperament des Pferdes ab. Essenziell ist ein guter Sitz, der Reiter sollte nie nach hinten wirken und sich am Zügel festhalten. Das Pferd soll nie das Gefühl haben: „Der Reiter will mich bremsen.“ Vielmehr muss es spüren, dass es vorwärts darf, auch wenn das gerade bei jungen Pferden etwas flotter werden kann. Ich arbeite viel mit Bestätigung, klopfen am Hals, mit der Stimme loben. Das Pferd muss wissen: „Ok, das war jetzt gut.“ Man merkt dann als Reiter, wenn das Pferd aufmacht, den Rücken wölbt und sich fallen lässt.

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Die vertrauensvolle Dehnung an die Hand ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die gesamte Ausbildung. © beranek-images.com

Von der Dehnungshaltung kommen wir also zum losgelassenen, schwingenden Rücken und zu entspannten Bewegungen. Was hilft den Pferden da?

Für mich ist vor allem das Lob, die Bestätigung wichtig. Auch zwischendurch einmal Pausen machen gehört hier dazu. Ein Pferd müde zu machen, führt nie zu ehrlicher Losgelassenheit. Wenn ich das Pferd überfordere, erhalte ich nur zusätzliche Spannung, das Pferd macht sich fest. Hier muss ich als Reiter fühlen, wieviel Kraft mein Pferd hat. Zwischendurch sollte man immer wieder Schrittpausen einlegen, das gerade Gelernte setzen lassen, dann die Zügel aufnehmen und die Übung eventuell wiederholen. Die Losgelassenheit muss bei angenommenem Zügel genauso erhalten bleiben wie in der Dehnungshaltung. Bei manchen Pferden hilft es, sie abzugaloppieren, ich tue das gerne auch im leichten Sitz. Wenn das Pferd vor lauter Bewegungsfreude mal etwas flotter wird – auch kein Drama. Ich behalte natürlich die Kontrolle, damit nichts passiert. Und danach bringe ich wieder Ruhe hinein. Hier muss man wieder individuell auf das Pferd eingehen. Einer der Hengste, die ich in der Hofreitschule reite, ist zum Beispiel ein eher heißer Typ. Den trabe ich am Anfang ruhig, aber ohne ihn zu bremsen. Hier muss der Reiter mit dem Sitz einwirken, nicht mit der Hand bremsen. Auch wenn man Übergänge reitet, zum Schritt oder ins Halten: Das ist ein Aufnehmen und kein Bremsen. Das Pferd soll über die Hinterhand arbeiten, denn sonst wird der Rücken fest. Das führt wiederum zu Problemen mit der Anlehnung. Für die Losgelassenheit ist es am wichtigsten, dass das Pferd weiß: „Ich darf an die Hand herantreten.“ Und dann wird das Pferd seinem Reiter auch gerne zuhören, weil es Vertrauen hat. Je jünger das Pferd ist, umso mehr fehlt ihm noch die Kraft, sich zu tragen. Hier ist wichtig: Pausen, Pausen, Pausen. Nicht eine ganze Stunde arbeiten, das ist zu viel. Natürlich nimmt man sich die Zeit, um das Pferd ordentlich aufzuwärmen, aber wenn ich merke, das Pferd macht gut mit – dann arbeite ich es manchmal auch nur zehn Minuten. Auch mein Grand-Prix-Pferd zuhause reite ich nicht länger als 20 Minuten. Gerade beim jungen Pferd höre ich auf, wenn das Pferd noch etwas Energie hat. Dann ist es am nächsten Tag noch immer motiviert. So kriegt man ein losgelassenes Pferd: wenn es Freude an der Arbeit hat.

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