Egal ob um den Kopf, die Brust, die Hinterhand oder sogar das ganze Pferd geschlungen – Körperbänder verfolgen immer dasselbe Ziel: das Körpergefühl des Pferdes zu verbessern. Wie man den eigenen Körper wahrnimmt, beeinflusst, wie man die Welt erlebt: Wer seinen Körper nicht gut spürt, wird schnell orientierungslos und unsicher. Das ist beim Pferd nicht anders als beim Menschen. Pferde mit einem guten Körpergefühl bewegen sich besser, sie können unseren (Trainings-)Anforderungen leichter nachkommen und fühlen sie insgesamt wohler, sind zufriedener und selbstsicherer.
Für Linda Tellington- Jones, Pionierin auf dem Gebiet der Körperarbeit mit Pferden, gehören elastische Bandagen seit vielen Jahren zum Standardequipment, denn sie „helfen Unsicherheit und Angst abzubauen und steigern die Leistung des Pferdes.“
Ungemein vielseitig
So simpel die Bänder anmuten, so genial ist ihre Wirkung. „Ein auseinandergefallenes Pferd kommt schneller wieder ins Gleichgewicht und seine Oberlinie erscheint ‚runder‘. Bei der Bodenarbeit wirken Bänder beruhigend auf guckige Pferde und helfen sowohl bei Steifheit als auch gegen Wegstürmen und Phlegma“, weiß Tellington-Jones. Klingt widersprüchlich, ist es aber nicht: Das Band bringt das Pferd ins Gleichgewicht, egal wie sich sein Ungleichgewicht äußert. Pferde, die erstarren – oft werden sie für widersetzlich gehalten –, fühlen sich ermutigt, und ihr Selbstvertrauen wird gestärkt. Das wirkt sich sogar in herausfordernden Situationen positiv aus, z. B. beim Hufschmied oder Tierarzt, beim Passieren eines engen Gangs oder beim Verladen.
Melanie Wimmer, Pferdeausbilderin, Dressurreiterin und Tellington-Practitioner aus Eggelsberg (OÖ), schätzt die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten der Körperbänder. Und „dass die Anwendung total simpel ist. Es braucht auch keine teure Extra-Ausrüstung und trotzdem kann man viel damit bewirken.“ Etwa in der Jungpferdeausbildung, um die Pferde auf Sattel, Longiergurt etc. vorzubereiten. Aber auch in der Geraderichtung beweisen diese Helferlein ihren Wert: „Körperbänder können gut bei der Arbeit an der natürlichen Schiefe unterstützen, weil sich das Pferd selbst besser wahrnimmt und spürt, wo die Bandage den Körper vielleicht etwas mehr berührt. Alleine dadurch richtet es sich direkt selbst etwas gerader. Und beim Longieren am Kappzaum und ohne Hilfszügel geben sie dem Pferd mehr Stabilität und unterstützten es dabei, sich besser auszubalancieren.“
Genial einfach, einfach genial
Bevor man mit Körperbändern startet, kann es sich bezahlt machen, die Anwendung an einem Pferd zu üben, das sehr ruhig oder mit dem Thema schon vertraut ist. „Gut ist auch, die Bänder einmal an sich selbst zu testen. Dann kann man das Gefühl besser nachvollziehen, das sie erzeugen“, rät die Ausbilderin. „Das Schöne an den Körperbändern ist, dass sie relativ viel Raum zum Variieren und Experimentieren geben.“ Man darf also durchaus kreativ in der Anwendung werden. Ein Augenmerk sollte man dabei laut Melanie Wimmer immer auf Folgendes haben:
1. Die richtigen Bänder
Es gibt eigene Tellington-Bandagen, die für Körperband-Arbeit konzipiert worden sind. Unbedingt nötig ist ihre Anschaffung aber nicht. „Wichtig ist, dass man eine rein elastische Bandage nutzt. Handelsübliche Fleece-Bandagen sind nicht geeignet, wohl aber Elastikbandagen, die man auch für die Pferdebeine verwenden kann. Weiche Bandagen aus dem Humanmedizinbereich haben sich für den Pferdekopf bewährt.“ Sollten die Bandagen z. B. für die Anwendung an der Hinterhand zu kurz sein, können sie auch mit einer Windelnadel verbunden oder zusammengeknotet werden, „solange der Knoten nicht irgendwo am Körper des Pferdes drückt.“
2. Langsam und behutsam
Vor allem beim Vertrautmachen mit dem Körperband sollte man möglichst kleinschrittig vorgehen, dem Pferd die Bandage anfangs zeigen, es daran schnuppern lassen und es dann sanft damit berühren. Behalten Sie im Blick, wie es reagiert, ob es sich wohlfühlt, sich anspannt, nervös oder unruhig wird. Wenn es Abwehrreaktionen zeigt: einen Schritt zurückgehen und mehr Zeit lassen. „Und bitte die Bandage nicht zur ‚Desensibilisierung‘ x-mal übers und ums Pferd herumflattern lassen. Besser ist es, eng am Pferdekörper zu bleiben und keine großen und hastigen Bewegungen zu machen.“
3. Die richtige Zeit, der richtige Ort
Auch die äußeren Bedingungen sind wichtig. „Für die ersten Male sollte man nicht unbedingt einen windigen Tag oder eine fremde Umgebung wählen, die das Pferd sowieso in Aufregung versetzen. Die Grundstimmung sollte zu Beginn immer eine ruhige und entspannte sein.“ Im Idealfall wählt man also einen Ort, an dem sich das Pferd wohlfühlt und loslassen kann.
4. So locker wie möglich, so fest wie nötig
Anders als manche Longierhilfen wirken Körperbänder über sanften Kontakt. „Das Pferd soll die Berührungen wirklich nur wahrnehmen und nicht durch Zug irgendwie in eine Position gezwungen werden“, bringt es die Ausbilderin auf den Punkt. Beim Anlegen gilt deshalb der Grundsatz: so leicht wie möglich, aber so straff wie nötig, damit nichts verrutscht. „Zu fest angebrachte Bänder rutschen am Körper oft nach oben. Das finden die Pferde vor allem im Schweifbereich recht unangenehm.“
5. Vom Langsamen zum Schnellen
Gestartet wird mit den Körperbändern im Stand. Zeigt das Pferd kein Unbehagen, kann man es danach langsam im Schritt anführen. „Dabei sollte man immer überprüfen, wie es dem Pferd damit geht, und ob die Bandage bleibt, wo sie soll.“ Sind die Pferde mit Körperbändern schon gut vertraut, darf es durchaus schneller zur Sache gehen. „Man kann die Bandage beim Reiten in allen Gangarten angelegt lassen oder auch beim Longieren.“
6. Das Pferd bestimmt die Dauer
Und wie lange bleibt das Band am Pferd? „Das ist absolut individuell. Ich habe oft Pferde, bei denen das Körperband eine ganze Einheit – also zwischen 30 und 60 Minuten lang – im Einsatz bleibt. Wobei es natürlich sinnvoll ist, mit einer kurzen Einheit zu beginnen und sich nach und nach zu steigern. Wenn das Pferd irgendwann beginnt, sich aufzuregen, sich gehäuft kratzt oder sich wälzen will, dann zeigt es, dass es das Körperband loswerden will. Diesen Wunsch sollte man auch respektieren.“
7. Flexibel und aufmerksam bleiben
Wer mit Körperbändern arbeitet, sollte flexibel an die Sache herangehen. „Wenn etwas nicht funktioniert, dann einfach abnehmen, verändern und nochmal probieren. Man muss nicht aufhören, aber auch nicht auf Biegen und Brechen das Pferd desensibilisieren, denn es geht wirklich um Körper- und Raumwahrnehmung“, erklärt Melanie Wimmer, die auch von einer zu großen Erwartungshaltung abrät: „Die Veränderungen, die die Bänder bewirken, können sehr subtil sein. Nicht immer sind auf Anhieb dramatische Dinge zu sehen. Pferde reagieren unterschiedlich. Das eine drückt sich sehr deutlich aus, das andere weniger. Vielleicht senkt es den Kopf häufiger, kaut vermehrt oder steht öfter automatisch geschlossen, ohne, dass man es besonders dazu aufgefordert hätte. Oder es tritt in den Wendungen spuriger als zuvor. Hier hilft natürlich ein geschultes Auge, um auch kleine Veränderungen wahrzunehmen.“
Drei Wickeltechniken
Die halbe Bandage
So legt man sie an: Die halbe Bandage besteht aus zwei einzelnen Bändern. Das erste wird um die Brust und hinter den Widerrist geführt, das zweite um den Bauch. An den Seiten des Pferdes werden beide miteinander verknotet. Bei besonders sensiblen Pferden nutzt man anfangs nur die Bandage um den Hals. Wird sie gut akzeptiert, kommt die Bauchbandage dazu.
Das bewirkt sie: Die halbe Bandage ist ideal, um das Pferd an Körperbänder zu gewöhnen. Bei Jungpferden dient sie als sehr gute Vorbereitung auf die spätere Ausrüstung, hilft aber z. B. auch älteren Pferden, die Probleme beim Gurten haben. Der vordere Teil der halben Bandage regt das Pferd an, seinen Widerrist anzuheben, auch wenn es sich vorwärts-abwärts dehnt. Bei hektischen Pferden, die zum Davonstürmen neigen, wirkt die halbe Bandage leicht bremsend.
Die Haubenbandage
So legt man sie an: Für diese Variante schlingt man die Bandage direkt hinter den Ohren zweimal locker um den Hals. Dann zieht man eine der Schleifen nach vorne über das eine Ohr, die zweite Schleife über das andere Ohr. Am Schopfansatz soll die Bandage ein Kreuz bilden.
Das bewirkt sie: Die Haubenbandage ist ideal für Pferde, die sich nicht an den Ohren anfassen lassen möchten, Probleme beim Aufzäumen machen, den Kopf sehr hoch tragen oder mit dem Kopf schlagen. Auch Pferde, die unflexibel und steif im Genick sind, profitieren davon, denn die Haubenbandage löst Verspannungen in diesem Bereich. Kann sich das Pferd schlecht fokussieren und ist leicht reizbar, kann diese Variante ebenfalls unterstützen. Die Wirkung der Haubenbandage ist uns intuitiv bekannt: Wenn man sich selbst an den Kopf greift, um seine Gedanken ein bisschen zu sortieren, erzielt man denselben Effekt.
Die Brückenbandage
So legt man sie an: Die Brückenbandage setzt sich aus zwei Bändern zusammen. Der vordere Teil wird wie bei der halben Bandage um den Hals und hinter den Widerrist geführt. Dann knotet man die Bandage, die die Hinterhand miteinschließen soll, ca. 10 bis 15 Zentimeter unterhalb des Widerrists fest, führt sie von dort schrägt nach unten bis knapp unter die Sitzbeinhöcker und weiter über die andere Seite wieder zurück Richtung Widerrist. Für den Beginn ist es ratsam, die Hinterhandbandage auf der zweiten Seite nicht gleich festzuknoten, sondern vorerst in der Hand zu behalten, um zu sehen, wie das Pferd reagiert. Befestigt wird die Hinterhandbandage dann in jedem Fall mit einem Sicherheitsknoten, der sich bei Bedarf mit einem Handgriff leicht lösen lässt.
Das bewirkt sie: Die Brückenbandage hat die größte Wirkung auf das Körpergefühl und die Schiefe. Sie eignet sich gut für Pferde, die ängstlich auf Bewegungen hinter sich reagieren oder misstrauisch sind gegenüber Dingen, die sie seitlich berühren – z. B. bei engen Türdurchgängen oder beim Verladen in den Anhänger. Auch bei Pferden, die auseinandergefallen erscheinen, hat sich die Brückenbandage bewährt. Sie schlägt – der Name verrät es schon – eine Brücke zwischen Vor- und Hinterhand und verbessert die Koordination zwischen beiden Körperhälften. Den Pferden fällt es dann leichter, sich von hinten nach vorne über den Rücken zu bewegen, weshalb diese Variante sehr häufig auch an der Longe und beim Reiten zum Einsatz kommt.
Die Expertinnen
Linda Tellington-Jones ist eine renommierte Pferdetrainerin mit über 60 Jahren Erfahrung und Pionierin auf dem Gebiet der Tierkommunikation. Sie hat bahnbrechende Methoden entwickelt, um die Beziehung zwischen Mensch und Tier zu verbessern, z. B. ihre einzigartige Tellington-TTouch-Methode. Basierend auf sanften Berührungen und Bewegungen hilft sie den Tieren, Verspannungen zu lösen und ihr Vertrauen zu stärken.
Melanie Wimmer ist seit 2013 zertifizierte Tellington- Practitionerin. Auf ihrem Hof im oberösterreichischen Eggelsberg bildet die passionierte Dressurreiterin Pferde aller Rassen und deren Reiter:innen bis zur schweren Klasse aus. Ein funktionaler Sitz und eine feine Hilfengebung sind für sie dabei zentral. Das Tellington-Training ist für sie ein wichtiger Baustein, um (Sport-)Pferden zu besserem Wohlbefinden zu verhelfen. melanie-wimmer.at
Buchtipp
Dass sich das Pferd sicher mit seinem Menschen fühlt, das wünscht sich eigentlich jede:r Reiter:in. Doch wie schafft man ein solches Vertrauensverhältnis? Das zeigt Linda Tellington Jones anschaulich in ihrem Buch.
Schon mit nur ein paar Minuten Zeit während des Putzens oder der Aufwärmphase lässt sich eine tiefe Verbindung zum Pferd aufbauen. Dazu nutzt Tellington Jones sanfte Berührungen, einfache Führübungen und die Arbeit mit Körperbändern, allesamt Puzzleteile in ihrer jahrzehntelang erprobten Ausbildungsmethode, die Pferden zu einem besseren Körpergefühl, mehr Gelassenheit und einer wunderbaren Verbindung zu ihrem Menschen verhelfen.
Detailgenaue Schritt-für-Schritt-Anleitungen machen es leicht, TTouches und die Bodenarbeit kennenzulernen und mit dem eigenen Pferd auszuprobieren.
Linda Tellington Jones, Vertrauen stärken mit Tellington Training
Kosmos Verlag 2023, 144 Seiten, Taschenbuch 25,50 Euro, ISBN: 978-3-440-17532-3
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