Training

Reiten im Videocheck: Was es bringt, welche Systeme helfen

Ein Artikel von Pamela Sladky | 22.08.2023 - 13:16
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Regelmäßige Selbstüberprüfung mittels Videoaufnahmen hilft, das eigene Gefühl mit der Realität in Einklang zu bringen. © Stephanie Schiller

Videos von ihren Ritten machen heute viele Reiter:innen. Doch nicht alle schöpfen das Potenzial voll aus, das Filme zum Verbessern des eigenen Reitkönnens bieten. Das betrifft sowohl die technischen Möglichkeiten als auch die mentalen Faktoren, die mit dem Lernen anhand von Videoaufnahmen verbunden sind. Die sportpsychologische Expertin Dr. Inga Wolframm erklärt es so: „Wir alle wollen uns reiterlich verbessern, stecken viel Herzblut, Geld und Energie in unser Hobby. Dem gegenüber steht der zutiefst menschliche Impuls, sich an wiederkehrende oder täglich ablaufende Tätigkeiten zu gewöhnen, sie nicht ständig zu hinterfragen. Wir gehen, stehen und sitzen, ohne ständig hinzuspüren, ob das gerade optimal abläuft. Das bedeutet, dass sich kleine Fehler einschleichen. Und so ist das auch beim Reiten.“

Jede:r von uns hat – genau wie jedes Pferd – eine Händigkeit, eine bessere und eine schlechtere Seite, kleine Unregelmäßigkeiten in Bewegungsabläufen, die wir nicht mehr wahrnehmen, weil sie uns in Fleisch und Blut übergegangen sind. „Genau solche Bewegungsmuster sind es, die das Pferd spürt und die es beeinflussen oder stören“, erklärt Dr. Wolframm. „Wenn wir selbst Steifheiten oder alte Verletzungen kompensieren, muss das Pferd ebenso damit umgehen. Wir wollen, dass unser Pferd schöner, muskulöser und geradegerichtet wird, behindern es aber mit unserem Körper, ohne dass wir es merken.“ Hier sind Videoaufnahmen ideal, um zu erkennen, was – im wahrsten Sinne des Wortes – schiefläuft, so Dr. ­Wolframm: „Ein Pferd kann sich im Maul und vom Rücken her für den Reiter gut anfühlen – und auf dem Video erkennt man dann zum Beispiel, dass es sich im Genick verwirft, hinter der Senkrechten geht oder mit der Hinterhand nicht untertritt. Deshalb sind Videoaufnahmen so wunderbar dazu geeignet, unser Gefühl im Sattel mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Nur so können Fortschritte im Sattel zustande kommen.“


Regelmäßiger Realitätscheck

Videos helfen also dabei, reiterliche Ziele umzusetzen, ist Dr. Wolframm überzeugt: „Denn sie konfrontieren einen mit der Realität. Das spürt man eigentlich schon, wenn man sich das erste Mal filmen lässt. Die meisten reiten dann anders als sonst und merken das auch. Das heißt aber, dass wir eigentlich schon vorher wissen, dass wir Dinge verändern müssten, damit wir besser reiten, dies im Alltag aber nicht tun“, erklärt sie weiter. Sie hat einen Selbstversuch gemacht und sich einen Sommer lang täglich selbst gefilmt. „Ich habe einfach ein Stativ in die Ecke gestellt – anders war es nicht möglich in dieser Halle – und wirklich jede Reiteinheit komplett aufgenommen. Dann habe ich das Video möglichst zeitnah angeschaut, damit ich das, was ich im Sattel gefühlt hatte, mit den Bildern abgleichen konnte.“ Sie ist der Überzeugung, dass die Kombination aus häufigem Filmen und dem Anschauen des Gefilmten möglichst direkt im Anschluss an den Ritt einen großen Lerneffekt hat: „Dann weiß ich nach jeder Einheit, welche Ziele ich mir für die nächste Reiteinheit stecken kann.“

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Mit den meisten Smartphones lassen sich brauchbare Videos drehen. © Stephanie Schiller

Für Alfons Dietz, Ausbilder in klassischer Reitweise und selbstständiger Berufsreiter, sind Videos auch dann hocheffektiv, wenn man sie seltener, aber regelmäßig macht. „Für mich selbst nutzte ich Videoaufnahmen regelmäßig, denn es können sich immer Sitzfehler einschleichen, typischerweise bei neuen Lektionen für Reiter oder Pferd“, sagt er. Wer viel alleine reitet, sollte Videoaufnahmen mindestens monatlich in sein Training einbauen, ist Dietz überzeugt, „um das eigene Gefühl zu eichen“. Denn auch wenn sich die Piaffe im Sattel gut anfühlt: Erst das Video zeigt, wenn sich hinten zu wenig tut. Genauso ist es bei einem zu tiefen Genick. Wer keine oder nur kleine Spiegel zur Kontrolle zur Verfügung hat, ist mit Videoaufnahmen meist besser bedient.


Selbst- und Fremdkritik

Nicht nur die Häufigkeit der Aufnahme spielt eine Rolle, sondern auch, wie selbstkritisch man ist – und ob man seine Wahrnehmung selbst in eine reiterliche Korrektur umsetzen kann. Meist ist es sinnvoll, einen Experten zu Rate zu ziehen, sei es eine Trainerin oder Reiter:innen, die weiter fortgeschritten sind und einem hilfreiche Tipps geben können. Dass ein Blick von außen oft sehr zielführend ist, weiß auch Alfons Dietz, der auch Videoanalysen anbietet, in der Hauptsache für eigene Reitschüler:innen, die nur in größeren Abständen Unterricht bei ihm nehmen können, aber auch für Turnierreiter:innen, die sich überprüfen und korrigieren lassen möchten. „Anfangs möchte ich immer die komplette Reiteinheit mit Aufwärmphase sehen, um ein Gesamtbild zu erhalten; später gerne auch nur die Arbeitsphase oder einzelne Elemente“, erklärt er seine Vorgehensweise. Die Aufnahmen müssen in normalem Tempo, nicht in Zeitlupe erfolgen. „Es ist durchaus hilfreich, manche Stellen in Zeitlupe abzuspielen, um den ersten Eindruck zu bestätigen – etwa wo die Hinterhand genau hintritt. Dafür darf das Material aber nicht in Zeitlupe aufgenommen werden – das stört und verfälscht das Bild“, erklärt er.

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Für einen ersten Eindruck kann man die gefilmte Sequenz gleich auf dem Kameramonitor bzw. dem Handy anschauen. © Stephanie Schiller

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© Ein Laptop ermöglicht eine eingehendere gemeinsame Analyse.

So profitiert man am meisten

Wer das eigene Reiten filmt, kann das – egal in welcher reitsportlichen Disziplin – effektiver gestalten, wenn er die Reiteinheit plant. „Dazu gehört vor allem, das Teilziel genau zu formulieren“, erklärt Dr. Wolframm. Wer seine Handhaltung verbessern möchte, etwa weil er eine Hand höher hält als die andere, der braucht gute Lichtverhältnisse und idealerweise jemanden, der immer mal wieder auf die Hände zoomt. Oder er legt seine Linien so, dass er häufig nahe an der Kamera vorbei reitet (siehe dazu auch die Tipps im Kasten). „Wenn man das Glück hat, dass einen jemand filmt, dann kann man als Reiter auch konkrete Anweisungen geben, wie: ,Jetzt mal auf den Kopf-Hals-Bereich zoomen‘“, sagt Dietz.

Ist man alleine, kann es sehr hilfreich sein, das eigene Gefühl während der Aufnahmen für später auszusprechen. So weiß man auch beim Betrachten der Videos später sicher, ob die vierte Volte jetzt die war, wo einen das Pferd gefühlt leicht nach außen gesetzt hat, bei welchem Halten man das Gefühl hatte, das Pferd steht gleichmäßig auf allen vier Beinen und ob es Sprung Nummer drei war, bei dem es einen so wunderbar mitgenommen hat oder bei dem man das Gefühl hatte, das Tempo war für das Pferd nun zu niedrig. Man kann nahezu jede Lektion selbst knapp kommentieren. „Vor allem wer keine oder nur wenige Spiegel zur Verfügung hat, kann sich so über Videos selber schulen“, fasst Dietz zusammen. Und das auf jeder reiterlichen Ebene, egal, ob es gerade darum geht, sicher vom Sattel aus zu erkennen, ob das Genick der höchste Punkt und die Nase vor der Senkrechten ist, oder ob man spüren lernen möchte, dass die Verstärkung reell und die Galopppirouette wirklich gesetzt ist.

Tipps fürs Filmen

  • Licht: Der größte Fehler beim Filmen ist, gegen die Sonne zu filmen. Idealerweise steht sie hinter der Kamera oder seitlich. Wer in einer Reithalle filmt, kann an Videokameras oder neueren Smartphones die Blende einstellen bzw. die Lichtempfindlichkeit erhöhen und so die Lichtausbeute verbessern. 
  • Bildformat: Immer im Quer- und nicht im Hochformat filmen. Erstens hat man einen größeren Bildausschnitt und zweitens sieht man das, was man aufgenommen hat, später auf dem TV- oder Rechnermonitor besser, denn der ist ja ebenfalls querformatig. Im Querformat wird die gesamte Linienführung beim Reiten besser sichtbar. Dies ist speziell beim Springtraining wichtig, um das Anreiten zu beurteilen. 
  • Perspektive: Es ist bei vielen Lektionen wichtig, die Kamera so zu positionieren, dass man auch wirklich das zu sehen bekommt, was man erkennen möchte: Tritte oder Sprünge verlängern muss man von der Seite filmen, ein Schulter- oder Kruppeherein von vorne, eine Traversale von schräg vorne. Wer wenig Möglichkeiten hat, die Kamera in der Halle oder auf dem Platz zu positionieren, muss die Linien beim Reiten so legen, dass er später auf dem Video einen Nutzen davon hat. Im Zweifelsfall stellt man die Kamera so auf, dass man an einem Tag eben die Diagonale gut im Bild hat und am nächsten Tag die Linie, auf der man die Seitengänge reiten möchte. Auch Springreiter, die sich verbessern möchten, müssen beim Aufbauen überlegen, wo sie die Kamera hinstellen, wenn sie alleine sind, um ein optimales Ergebnis dessen, was sie prüfen wollen, auf Video zu erhalten.

Eine professionelle Kamera benötigt man für diese Zwecke meist nicht. Angesichts der technischen Ausstattung der meisten aktuellen Smartphones sollte es möglich sein, einem anderen Reiter oder einer Zuschauerin das eigene Handy in die Hand zu drücken und um eine kurze Aufnahme zu bitten. Auch die Reiterlehrerin kann man ersuchen, eine Lektion, die Schwierigkeiten macht, aufzunehmen. „Ein oft gehörter Satz in Reithallen ist das verzweifelte ‚Ich mach’ das doch!‘“, weiß Dr. Wolframm. „Diese Frustration, weil man nicht versteht, was man eigentlich falsch macht, wenn man es nicht schafft, eine Anweisung umzusetzen, lässt sich mit Videos meist gut auflösen.“

Einen Aha-Effekt kann es laut Dr. Wolframm mit Videoaufnahmen auch geben, wenn man an einer mentalen Blockaden arbeitet: „Wenn man beispielsweise Angst vorm Springen oder einem bestimmten Sprung hat, nimmt man oft eine Embryohaltung ein, ohne dass es einem bewusst wird. Hier spiegelt aber nicht nur die Körperhaltung die Angst wider, die Haltung selbst kann das Gefühl der Angst auslösen. Wenn man sieht, was man da genau auf dem Weg zum Sprung mit dem Körper macht, kann man besser daran arbeiten, es abzustellen.“

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War die Piaffe auch wirklich korrekt? Das Video zeigt es ungeschönt. © Stephanie Schiller

Videos können zudem helfen, selbstständig zu reiten: Das bedeutet, Probleme immer besser und schneller zu erkennen und sich dann immer wieder selbst zu korrigieren. Denn für viele Reiter*innen ist das Reiten mit Reitlehrer:in ganz leicht – und die Selbstkorrektur, wenn man alleine ist, ganz schwer. Wer sich damit oder mit einer bestimmten Lektion schwer tut, kann sich eine gelungene Sequenz aus einer Reitstunde mit Anweisungen des Reitlehrers auch direkt im Sattel ansehen, bevor er die Lektion alleine übt.

Programme zum Schneiden von Videos auf dem Rechner gibt es auch kostenfrei im Netz, moderne Smartphones haben die Funktion vorinstalliert. Wer das Netz nutzen möchte, um seine Videos in Foren oder Social-Media- Gruppen kommentieren zu lassen, muss darauf achten, dass Reiter:innen, die sich mit ihm in der Bahn befinden, gefragt werden müssen, ob ihnen das recht ist. „Bei Kindern ist aus rechtlicher Sicht sogar die Zustimmung eines Erziehungsberechtigten einzuholen, wenn sie beim Filmen mit in der Halle sind“, betont Dr. Wolframm. Einfacher ist es also, man macht die Aufnahmen, wenn man alleine ist.

Technische Tools

Es gibt einige technische Geräte, die das Filmen einfacher machen. Der Pivo Pod ist eine Stativhalterung fürs Smartphone, die sich um die eigene Achse drehen kann. Der Pivo Pod kann eine Person automatisch in der Mitte des Aufnahmefelds halten und sie nachverfolgen, während sie sich innerhalb eines 360°-Aufnahmeradius frei bewegt. Dieses System hat allerdings im Freien bei Sonnenschein Nachteile (getpivo.com).

Pixio und Pixem sind Kameraroboter des französischen Kamerazubehörherstellers MOVE ’N SEE, die immer denjenigen im Fokus haben, der den zugehörigen Sender trägt, und dabei automatisch zoomen. So kann man auch mit mehreren gemeinsam reiten und wird dennoch stets im Bildmittelpunkt sein. Die Kameraroboter kann man – im Gegensatz zum Pivo Pod, der in der Mitte der Bahn bzw. des Geschehens stehen muss – auch am Rand positionieren. Pixem muss mit einem Smartphone, Pixio mit einer Kamera eines Drittanbieters (Sony, Canon) ergänzt werden, diese sind im System also nicht inkludiert. (movensee.com).

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Kameraroboter wie z. B. Pixio und Pixem behalten das gefilmte Objekt eigenständig immer im Fokus. © MOVE ’N SEE S.A.S.

Einfach anfangen

Zusammengefasst kann man sagen, dass Videos keinen guten Unterricht ersetzen, aber eine hilfreiche Ergänzung sein können – sowohl zusätzlich zum als auch im Reitunterricht. In vielen Sportarten sind Videoaufnahmen zu Trainingszwecken seit Jahrzehnten gang und gäbe, im Reitsport sind sie immer noch eher selten. Dabei macht die moderne Technik es uns so leicht, Erkenntnisse über unsere Fähigkeiten im Sattel zu erlangen. „Sich selbst wahrzunehmen ist viel besser als andere zu imitieren“, sagt Dr. Wolframm, die auch mehrere Bücher über die mentalen Aspekte beim Reiten geschrieben hat. „Und das funktioniert über Videoaufnahmen vom eigenen Reiten am besten, auch wenn die Bilder anfangs oftmals Illusionen zerstören.“

Doch Desillusion muss nicht immer negativ sein – manche Reiter:innen sind auch positiv überrascht, wenn sie sich erstmals auf dem Pferd sehen. Auch das ist ein Effekt, der hilft, besser zu werden – dann nämlich, wenn man dazu neigt, sich zu unterschätzen. Selbsterkenntnis ist auf alle Fälle auch beim Reiten der erste Schritt zur (Ver-)Besserung.