Ausbildung

Reiten ist (k)ein Kinderspiel

Ein Artikel von Margarete Donner | 23.01.2024 - 16:44
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Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sie lernen am besten, indem sie selbst auf Entdeckungsreise gehen. © Birgit Maier

Der aus dem Heereswesen stammende Longen-Unterricht, bei dem über Monate – wenn nicht Jahre – im Kreis gezirkelt und die Haltung korrigiert wird, ist alles andere als kinderfreundlich. Zudem sind die Einheiten meist viel zu lange, schließlich beträgt die maximale Aufmerksamkeitsspanne eines Vorschulkindes gerade einmal fünfzehn Minuten.

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sie lernen am besten, indem sie selbst auf Entdeckungsreise gehen und sich ihre Umwelt spielerisch erschließen. Zwei pferdeerfahrene Pädagoginnen wollten schon vor Jahrzehnten diesen Ansatz mit einer sinnvollen Reitausbildung unter einen Helm bringen: Jeanette Wilke, die über sieben Jahre hinweg das HIPPOLINI-Konzept entwickelte, und Sabine Dell’mour mit ihren Ausbildungen FEBS® und GRIPS®.


Ein spielerischer Reiteinstieg

FEBS ist eine reitpädagogische Betreuung für Pferdebegeisterte zwischen drei und acht Jahren. Die Kinder erfahren in Kleingruppen Wissenswertes rund um Pferd, Stall, Wald und Feld und dürfen spielerische Übungen auf dem Pferderücken machen, während sie von einer erwachsenen Person geführt werden. Ältere Kinder und Jugendliche werden bei der Ganzheitlichen Reitpädagogik nach Dell’mour (GRIPS) über verschiedene Führtechniken schrittweise zum Freireiten begleitet. Erkenntnisse aus der Bewegungslehre spielen dabei eine ebenso große Rolle wie das Verständnis für den Partner Pferd.

Auch bei HIPPOLINI können bereits die Kleinsten im Vorschulalter erstmals Stallluft schnuppern. Gemeinsam putzen, mit dem Vierbeiner kuscheln, spielen und vom Pony getragen werden sind die Grundelemente einer MINI-CLUB-Einheit. Kinder- und pferdegerecht geht es dann in den HIPPOLINI-Kursen für Schulkinder weiter, wo ein breites Wissen über artgerechten Umgang, Pflege und Haltung vermittelt wird. Die Kinder wechseln sich beim Führen und Reiten ab, sodass das Lenken und Beherrschen der Ponys einerseits und der unabhängige Sitz andererseits zunächst getrennt voneinander geübt werden. Zu Beginn wird das Gleichgewicht auf dem blanken Ponyrücken geschult, mit dem Voltigiergurt darf der erste Galopp gewagt werden, und mit zunehmender Sicherheit gelingt schließlich das freie Reiten im Sattel.

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Guter Kinderunterricht geht auf die Bedürfnisse der kleinen Pferdenarren ein. © Birgit Maier

Eine zeitgemäße Ausbildungsschiene

Diese modernen Konzepte als Alternative zum herkömmlichen Reitunterricht an der Longe erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, in Deutschland ist der Reiteinstieg mit HIPPOLINI in vielen Betrieben bereits Standard. Doch auch der OEPS hat einen Blick über die Heuraufe gewagt und eine neue Zusatzqualifikation entwickelt. Aus der Zusammenarbeit von Ausbilderinnen aus unterschiedlichen Disziplinen, die sich mit großer Leidenschaft dem Reiternachwuchs widmen, entstand ein innovatives Konzept für den Einstieg in den Reit- und Voltigiersport. Ausbildungsreferentin Judith Eisnecker zeigt sich glücklich, dass „die richtigen Menschen mit genügend Energie zum richtigen Zeitpunkt zusammenfanden.“ Der Lehrgang „Kinderunterricht im Reitsport“ stand schon seit längerem auf ihrer Wunschliste. Zwar gab es in der Übungsleiterausbildung immer wieder Hinweise zur Methodik beim Anfängerunterricht mit Kindern, eine eigene Schiene hatte der OEPS jedoch nicht im Programm. „Es war eine Herzensangelegenheit von mehreren Personen, die dem Pferdesport verbunden und zugleich pädagogisch gebildet sind“, so Eisnecker.

Inspirieren ließ man sich dabei gleichermaßen von den bereits bestehenden reitpädagogischen Konzepten wie von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, wo es bereits seit 2015 den Trainer C Kinderreitsport gibt. Ulrike Mohr von der Bundesjugendleitung der FN konnte wertvolle Erkenntnisse in den österreichischen Arbeitskreis einbringen.

Generell will man mit dem innovativen Lehrgang weg von der Idee, dass Kinder zwingend 30 Minuten auf dem Pferd sitzen müssen, während die Mutter daneben auf die Uhr schaut. Vielmehr sollen die angehenden Reiter:innen gemeinschaftlich agieren, spielerisch Sicherheit auf dem geführten Pferd gewinnen und ihre motorischen Fähigkeiten weiterentwickeln. Dabei wird in Kleingruppen zwischen verschiedenen Stationen gewechselt: Reiten mit Voltigiergurt, Koordinations- und Gleichgewichtsübungen auf dem Boden und Erarbeitung von Fachwissen rund um Pony und Pferd. „Was mag mein Pferd, was frisst mein Pferd, wie lebt mein Pferd?“, fasst Judith Eisnecker einige wichtige Themenfelder zusammen.


Ein Werkzeugkoffer voll Ideen

Interessent:innen – Voraussetzung ist die Übungsleiterprüfung aus einer beliebigen Sparte – dürfen sich jedenfalls auf eine inspirierende Ausbildungsform freuen. Um Ausbildungsfortschritte zu erfassen, gibt es erstmals einen begleitenden Lernzielkatalog, und der Zusammenarbeit unter den Teilnehmer:innen wird viel Platz eingeräumt. So soll der bereits bestehende wertvolle Erfahrungsschatz immer wieder untereinander ausgetauscht werden und in die Weiterbildung einfließen. Ein praxistauglicher „Werkzeugkoffer“ mit Stundenbildern und Materialien wird je nach Input laufend um aktuelle Best-Practice-Beispiele erweitert.

Der erste Lehrgang startet im Sommer 2022, teilnehmen werden Ausbildungsreferent:innen aus den Bundesländern. Diese sollen ausprobieren, ob das ausgearbeitete Konzept Hand und Huf hat, und gegebenenfalls noch Ergänzungen vornehmen. Parallel dazu werden Betriebe mit Kinderreitunterricht nominiert, die bereits einen „pädagogischen Geist leben“ und für Visitationsstunden zur Verfügung stehen. Ab Herbst 2022 wird die Zusatzqualifikation dann über den OEPS für alle Ausbilder:innen ausgeschrieben.

In weiterer Folge wünscht sich Judith Eisnecker, dass auch die „Pferde Sport und Spiel“-Sparte mit den Führzügelklassen wieder aufgewertet wird. Solche Bewerbe würden genau zu dem neuen Lehrgang passen und gleichzeitig ein wenig Wettbewerbscharakter in die Kinderausbildung bringen. Denn früh übt sich, was einmal eine passioniertere Reiterin werden will.