Wer glaubt, Pferde haben keinen Platz mehr in unserer technisierten und digitalisierten Welt, der irrt: Weltweit kommen noch in vielen Ländern Trag- und Saumpferde zum Einsatz. Mehr lesen ...
Der ausgeprägte Geruchssinn von Pferden ist zwar bekannt, findet aber im Alltag oft nur wenig bis gar keine Beachtung. Aber Aromen übertragen Mitteilungen, begründen das soziale Miteinander und lassen Pferde Entscheidungen treffen. Auch auf uns Menschen üben verschiedene Gerüche eine enorme Einflussnahme aus. Vor dem Hintergrund, dass Pferde deutlich besser riechen können als wir, stellt sich doch die eindringliche Frage, ob wir die Aromen, die wir ihnen täglich zumuten, nicht einmal einer Prüfung unterziehen sollten! Und auf der anderen Seite: Lassen sich bestimmte Düfte einsetzen, um das Wohlbefinden von Pferden zu verbessern, bestimmte Verhaltensweisen zu unterstützen oder ihre Emotionen zu beeinflussen?
Zeig’ mir, wie du riechst
Der Geruchssinn von Pferden ist aus biologischen Gründen extrem gut ausgeprägt und für sie in vielerlei Hinsicht überlebenswichtig. Im Vergleich zu uns Menschen können sie nicht nur viel mehr Aromen wahrnehmen, sondern auch einzelne Duftstoffe aus unterschiedlichen Geruchswolken herausfiltern – sogar aus entgegengesetzten Richtungen. Dabei spielen auch soziale Aspekte eine oft unterschätzte Rolle. Entsprechend lohnt sich der Blick auf das explizite Riechvermögen von Pferden, denn es verrät uns viel über das, was ihnen wichtig ist, wie sie miteinander kommunizieren und wie sie sich ausdrücken wollen. So können beispielsweise Stuten ihre Fohlen sogar in sehr großen Herden am Geruch erkennen. Direkt nach der Geburt nehmen sie den individuellen Duft ihres Fohlens auf und speichern ihn ab. Pheromone prägen die beidseitige Verbindung und wirken zugleich beruhigend. Darüber hinaus halten Pferdeäpfel nicht nur etliche Informationen für Artgenossen bereit, sondern ermöglichen auch Hengsten, zu erschnuppern, ob die Hinterlassenschaften zu einem Rivalen oder zu einer interessanten Stute gehören. Der charakteristische Geruch eines Individuums kann ein wesentlicher Entscheidungsfaktor für Bindungen sein, die Pferde eingehen. Bereits beim gegenseitigen Beschnuppern lässt sich erkennen, ob die Tiere sich riechen können oder ob sie sich zukünftig lieber meiden.
Der Geruchssinn hilft nicht nur bei der Futtersuche, sondern liefert wichtige Information in allen Lebenslagen. © www.slawik.com
Aus Gerüchen lernen
Duftwahrnehmung ist nicht nur individuelles Erleben, sondern nachweislich existieren auch genetisch programmierte Vorlieben, die darüber entscheiden, ob ein bestimmter Geruch als „vorteilhaft“ oder sogar als „gefährlich“ eingestuft wird. So erzeugen beispielsweise die Giftstoffe in vielen ungenießbaren Pflanzen abstoßende Aromen, die Pferde daran hindern sollen, sie zu fressen. Da sich Pflanzen mit sogenannten Repellents (d. h. gelösten Molekülen, die über Geschmacks- oder Riechrezeptoren identifiziert werden) selbst schützen, vermitteln sie dadurch Pferden lebenswichtige Informationen über ihre Verträglichkeit. Die Tiere sind somit sogar fähig, in der Dunkelheit ihre Nahrung zu prüfen.
Entsprechend kann davon ausgegangen werden, dass es vorwiegend die Aromen und Düfte sind, die Pferde entscheiden lassen, was sie fressen und was nicht. Bei der Futter-Klassifizierung spielt aber auch das Lernverhalten eine tragende Rolle: Reicht der Geruch zur Prüfung nicht aus, korrigiert der Geschmack. Dabei hat jedes Pferd subjektive Präferenzen und natürlich auch ausgeprägte Instinkte. Verlass ist hierauf allerdings nicht immer, denn Akzeptanz ist bei Pferden nicht zwingend mit Verträglichkeit gleichzusetzen. Viele sind neugierig und lassen sich gerne von spannenden Düften leiten, die ihnen nicht immer gut bekommen. Vorsicht ist in diesem Zusammenhang also besser als Nachsicht!
Darüber hinaus hat die Forschung festgestellt, dass die Geruchswahrnehmung von Pferden auch mit einem Lernprozess des Gehirns verbunden ist. So nehmen sie offenbar bereits im Mutterleib Geschmacks- und Geruchsstoffe auf. Zu diesen wird eine vertraute Verbindung entwickelt. Im Verlauf des Lebens nimmt die Vielfalt der Düfte, die einem Pferd begegnen, zu, und mit jedem werden Erfahrungen und Ereignisse verknüpft. Gleiches gilt für uns Menschen.
Nicht nur einander, sondern auch uns Menschen schätzen Pferde über unseren Geruch ein. © www.slawik.com
Stärker als der Verstand
Auch wir Menschen werden stark von unterschiedlichen Aromen beeinflusst. Unangenehme Gerüche sind wir nicht bereit lange auszuhalten, weil sie mitunter negative Auswirkungen auf unser gesamtes Befinden haben. In einer wohlriechenden Umgebung fühlen wir uns dagegen sofort besser. Dieses Erleben ist allerdings sehr individuell, denn Gerüche hängen eng mit Emotionen zusammen. Das Limbische System erzeugt bei einer eintreffenden Duftinformation sofort ganz unterschiedliche Gefühle: Freude, Angst, Ekel oder Wohlbehagen. Kontrolle darüber haben wir keine. Den Effekt auf unseren Körper und damit auch auf unsere Gefühlswelt können wir nicht willentlich steuern. Ob wir einen Geruch mögen oder ablehnen, ist abhängig von den Erfahrungen, die wir mit diesem gemacht haben. Düfte wecken oft auch Erinnerungen in uns, die natürlich subjektiv sind. Anders sieht es mit gefährlichen Gerüchen aus: Brand- oder Modergeruch warnen uns deutlich. Auch Schimmel löst Unwohlsein und Abneigung aus.
Umgekehrt überlagert der Geruchssinn aber ebenso häufig die Vernunft und den Verstand. Er nimmt über unsere Emotionen (unbewusst) Einfluss auf unsere Entscheidungen – und in der Folge auch auf unsere Handlungen. Diesen Effekt auszuklammern gelingt nur, wenn wir uns die Beeinflussung durch die jeweilige Duftwirkung klar bewusst machen – doch selbst dann ist unsere Entscheidungsfreiheit begrenzt. Wird ein Geruch nämlich unterhalb der Erkenntnisschwelle wahrgenommen, manipuliert dieser gänzlich unbemerkt eine folgende Entscheidung. Dies geschieht täglich überall beim Einkaufen – und ist auch so gewollt. Unser Verstand ist in diesen Momenten von unseren Sinneseindrücken gelenkt. Das macht deutlich, wie wichtig es ist, mehr und mehr zu entschlüsseln, was Gerüche mit uns machen, wie sie auf uns wirken, welche uns bekommen und welche wir besser vermeiden sollten. Denn die Wirkung eines Geruchs können wir oft nicht beeinflussen! Genau das hat im Reitstall einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Pferde – und umgekehrt.
Verwirrende Aromen
Auch wenn wir es selbst nicht bemerken: Wir kommunizieren durch unsere (unbewusste) Körpersprache ständig über unterschiedliche Kanäle, die Pferde alle ungefiltert wahrnehmen. Dazu gehören auch Duftstoffe, die wir aussenden. Pferde sind fähig, menschliche Körpergerüche zu unterscheiden und zu deuten. Sie erkennen mühelos alle Aromen, die wir sowohl bei Angst als auch bei Freude abgeben und orientieren sich an ihnen. Überlagern wir beispielsweise wichtige Duftinformationen zu unserer aktuellen Stimmungslage mit intensiven Aromen wie Parfums, kann das Irritationen bei Pferden auslösen! Hinzuaddiert werden muss die spezifische Wahrnehmung aufgrund vergangener Erfahrungen, die beim Pferd eigene Emotionen auslösen kann. Ein Beispiel: Anspannung und Unsicherheit nehmen Pferde sehr deutlich an unserer Körpersprache und der Mimik wahr. Kollidieren diese unmissverständlichen Signale mit starkem Parfum, entsteht Dissonanz. Solche Widersprüche sorgen beim Pferd für Verwirrung und Ablehnung, es entstehen Disharmonien, die sich als Zerrissenheit im Verhalten ausdrücken können. Nicht selten könnte das ein Grund sein, warum ein Pferd sich in einer eigentlich bekannten Situation plötzlich anders als sonst verhält. Was die Sache schwieriger macht: Es muss sich gar nicht zwingend um Gerüche handeln, die wir selbst als auffällig bewerten. Auch ein für uns untergeordnetes, subtiles Aroma kann unser Pferd „triggern“ und scheinbar übersteigertes Verhalten auslöst.
Parfum, Deo und Waschmittel im Test
Der olfaktorischen Sensibilität von Pferden wird oft schlicht zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei kann mit kleinen Einsätzen bereits viel Wirkungsvolles erzielt werden. So lohnt es sich, seinen Parfum- und Deoduft im Zusammensein mit Pferden nicht nur einer Prüfung zu unterziehen, sondern ggf. zu reduzieren bzw. sogar bei Bedarf zu wechseln. Auf Aromen, die Menschen gerne riechen und die sie als angenehm empfinden, reagieren nicht wenige Pferde ablehnend. Sicherlich findet mit der Zeit eine Art Gewöhnung statt, und viele Pferde stellen fest, dass von dem „Stinker“ keine unmittelbare Gefahr ausgeht – aber dennoch ist das Riechorgan auch ein „Bewertungsinstrument“, das mitunter sensible Entscheidungen trifft. Diese müssen nicht immer offensichtlich sein, sondern können sich unbemerkt im Verhalten des Pferdes widerspiegeln. Um den „richtigen“ Duft (Parfum, Deo, Waschmittel) herauszufinden, der dem eigenen Pferd zusagt und den dieses nicht als „negativ“ wahrnimmt, darf getestet werden. Aufgrund des Individualempfindens, das auch Pferde besitzen, kann kein Duft Allgemeingültigkeit beanspruchen. Aber eins ist sicher: Weniger ist mehr!
Machen wir uns unseren Duft bewusst
Es stellt sich vor diesem Hintergrund auch die Frage, wie sehr Pferde von Aromen in ihrer unmittelbaren Umgebung „belästigt“ werden, und wie sie damit umgehen. Aus der Nähe dürften sie von Duftinformationen regelrecht strapaziert werden, denn sie nehmen nicht nur den charakteristischen Eigengeruch eines anderen Lebewesens wahr, sondern (neben Waschmittel, Deo und Parfum) auch verwendete Kosmetikprodukte, die Möhren in unserer Tasche, Hunde oder Katzen, die wir im Laufe des Tages berührt haben, Putzmittel oder Autopolitur und vermutlich sogar Nahrung, die wir zu uns genommen haben. Wer weiter darüber nachdenkt, stellt fest, dass sich diese Liste gefühlt endlos fortsetzen ließe. Über diese veränderbaren Variablen hinaus riechen Pferde aber auch Stress und Angstschweiß. Da hilft es wenig, sich selbstbewusst und furchtlos nach außen hin zu präsentieren. Während sich Menschen hier noch vergleichsweise leicht täuschen lassen, ist dies bei Pferden keinesfalls möglich. Zwar können wir unsere Körperfunktionen nicht immer willentlich kontrollieren, aber zumindest methodisch eingreifen: Nach Situationen, die inneren Druck oder Sorgen ausgelöst haben, hat es sich bewährt, zuerst selbst zur Ruhe zu kommen, bevor Kontakt zum Pferd aufgenommen wird (und nicht das Pferd zur eigenen Beruhigung zu nutzen). Weiter kann auch ein Kleidungswechsel mitunter ratsam sein, denn das Übertünchen mit Deo hilft nicht! Es dürfte Pferde eher irritieren, wenn wir nach Angst riechen, ihnen aber gleichzeitig Schutz und Sicherheit vermitteln wollen.
Mittlerweile sind sich die meisten Reiter darüber bewusst, dass sie im Zusammensein mit ihren Pferden ihre Körpersprache reflektieren sollten, weil diese bekanntlich niemals lügt. Auch wissen viele, dass die Tiere menschliche Emotionen ungefiltert wahrnehmen und in ihrem Verhalten spiegeln. Ergänzend sollten nun aber auch die stetig gesendeten Duftinformationen Beachtung finden, denn sie haben ebenfalls (und teils nicht mindere) Bedeutung und damit eine Wirkung, derer sich die Pferde nicht entziehen können.
Düfte gezielt einsetzen
Wenn Pferde also durch Gerüche beeinflusst werden und ihnen aus biologischen Gründen viel Bedeutung beimessen, dann bietet es sich im Umkehrschluss auch an, Aromen zweckmäßig zu verwenden, um das Wohlbefinden zu steigern, Ängste zu reduzieren oder die Nerven zu stärken. Düfte haben Macht. Tatsächlich ist das seit Jahrhunderten bekannt, wie antike Quellen belegen. Allerdings gilt es auch, die Individualität des einzelnen Tieres stets zu berücksichtigen. Was dem einen zusagt, kann bei einem anderen Erinnerungen, die mit negativen Emotionen verbunden sind, reaktivieren. Werden Aromen bewusst in den Fokus genommen und getestet, dann ist an der Reaktion eines Pferdes recht leicht erkennbar, welche Wirkung der jeweilige Duft auslöst.
Diese duftenden Maßnahmen haben sich im Umgang mit Pferden bewährt:
- Zur Entspannung: Rosen, Lavendel und Geranien wirken beruhigend. Sie werden zur Besänftigung eingesetzt und sind für Pferde oft Wohlfühlgerüche, die dabei unterstützen können, anspruchsvolle Aufgaben zu bewältigen oder Neues zu erlernen und zu verarbeiten.
- Für mehr Nervenstärke: Jasmin, Weihrauch und Melisse haben eine stresslösende Wirkung. Bei Angst, Gereiztheit und Anspannung sollen die Gerüche dabei helfen, die Nerven zu stärken und das Gemüt zu stabilisieren. So sollen sich mehr Ruhe und Ausgeglichenheit einstellen.
- Zum Beleben: Rosmarin, Eukalyptus, Zitrone und Sandelholz wirken belebend. Daher kommen sie insbesondere dann zum Einsatz, wenn die Stimmung von Pferden aufgehellt werden soll. Unsicheren Tieren sollen die Aromen Mut und mehr Selbstvertrauen verleihen.
Nase an Nase: Der individuelle Körpergeruch entscheidet wesentlich mit, ob Pferde einander sympathisch sind. © www.slawik.com
Auch beim Erkunden neuer Gegenstände, bei unbekannten Situationen oder Neuzugängen in der Herde kann das Wohlbefinden mit Düften gesteigert werden: Durch aromatische Futterzusätze wächst das Zugehörigkeitsgefühl und Ängsten wird entgegengewirkt. Auch die Hinterlassenschaften eines guten Pferdefreundes haben häufig eine beruhigende Wirkung auf unsichere Pferde. Steht eine stressige Situation an, vermittelt der vertraute Geruch Angsthasen ein erhöhtes Sicherheitsgefühl. Andersherum sollten „Angst-Äpfel“ stets direkt entfernt werden, damit diese keinen negativen Einfluss ausüben können.
Hinschnuppern lohnt sich!
Wer sich mehr mit dem Thema auseinandersetzt und seine Erkenntnisse in der Praxis erprobt, wird feststellen, dass Duftauswirkungen enorm unterschätzt werden. Sinnvoll angewendet sind die Resultate eindrucksvoll und geben viel Aufschluss. Pferde (und Menschen) sind über ihre Nasen mental, emotional und damit auch physisch überraschend beeinflussbar. Die individuellen Präferenzen allerdings immer zu berücksichtigen, denn nicht alle sind sich zwingend einig. Pferde verzeihen Missgeschicke und Fehlgriffe aber schnell. Dagegen ist der Effekt außergewöhnlich, wenn Aromen zielgerichtet eingesetzt werden und das Wohlergehen verbessern, Ängste reduzieren, Sicherheit vermitteln oder die Gesundheit fördern. Genau hinzuschnuppern lohnt sich also wirklich!
Kurios: Pferdeduft wird salonfähig
Vorbei sind die Zeiten, in denen es galt, Stall- und Pferdegeruch loszuwerden, bevor man sich nach dem Reiten wieder unter „normale“ Leute wagte! Im Trend liegt die „horse girl energy“ – also der Reiter:innen-Lifestyle. Leder-, Heu- und Pferdegeruch gehört da unbedingt dazu. Deshalb gehen Parfum-Designer rund um die Welt neuerdings in Reitställe, Ranches oder Sattlereien, um sich inspirieren zu lassen. Heraus kommen Kreationen wie „Corpus Equus“ von Niomi Goodsir, „Epona“ von Papillon Artisan Perfumes oder „Galop d’Hermès“, das sogar in einen Steigbügel-förmigen Flacon abgefüllt wird. Beim Komponieren von „Oud Alezan hatte die Parfumeurin von Hermès „dieses Gefühl, in ein sehr intimes und sinnliches Material einzutauchen, das eine besondere Erinnerung geweckt hat: an ein fuchsfarbenes Pferd, dessen Duft ich, an seinen Hals geschmiegt, tief eingeatmet habe.“ Und welche Aromen erschnuppern nun die Duft-Designer:innen am Pferd? Rauchige Noten, Leder, Sattelseife, Heu, sogar Karotten. Als Ausgleich gibt’s dazu meist lieblichere Aromen wie Rose, Vetiver oder Patchouli: Zu weit aus der geruchlichen Wohlfühlzone hinaus soll es schließlich auch nicht gehen, während man versucht, die Atmosphäre von „equiner Kraft, ländlicher Ruhe und samtiger Wärme“ einzufangen, wie Liz Moore von Papillon Artisan Perfumes es ausdrückte. Endlich ist das, was wir schon lange wissen, auch im „Mainstream“ angekommen: Pferdeduft macht einfach glücklich!