Gesundheit

Schmerzhaftes Phänomen Winterrehe

Ein Artikel von Claudia Götz | 20.12.2019 - 10:25
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Die Winterrehe wird vor allem durch eine kältebedingte Cortisol-Ausschüttung in Gang gebracht – so zumindest die Theorie. ©www.Slawik.com

Wer den Begriff Winterrehe noch nie gehört hat, hat sicher nichts verpasst. Erstens gehört sie zu den Dingen, die man – besonders beim eigenen Pferd – wirklich nicht braucht, und zweitens ist der Begriff lediglich eine laienhafte Beschreibung eines Phänomens, das man weder ursächlich sicher erfassen noch medizinisch in allen Details erklären kann. „Selbst die Pathomechanismen der ,normalen‘ Hufrehe sind nicht vollständig geklärt“, sagt Tierärztin Karin Schmid aus Mank in Niederösterreich und Obfrau der Österreichischen Gesellschaft für Hufgesundheit.

Eines, das sich aber doch mit relativer Sicherheit zur Winterlaminitis sagen lässt ist, dass sie, wie auch die meisten Hufrehe-Fälle in anderen Jahreszeiten, auf einer Insulinresistenz beziehungsweise auf dem metabolischen Syndrom basiert. „Bei Kälte verengen sich die Gefäßkapillaren natürlicherweise, um den Wärmeverlust über die Hufe zu reduzieren. Bei Pferden mit Insulinresistenz scheint diese Reaktion überschießend abzulaufen. Dies ist bisher jedoch nur eine theoretische Annahme und nicht bestätigt.“


Schmerzhafter Teufelskreis

Dennoch gehen die medizinischen Thesen zu den Abläufen noch weiter ins Detail. Vermutet werden derzeit folgende Zusammenhänge: Kälte regt die Cortisol-Ausschüttung an. Cortisol wirkt zusammenziehend auf die kleinen Blutgefäße. Dies minimiert den Blutfluss in den Hufen. Zum Ausgleich produziert der Körper Hormone, die ihm im Kampf gegen die Kälte helfen. Diese reduzieren die Durchblutung in den Hufen noch weiter. Die eingeschränkte Durchblutung verursacht Schmerzen, vor allem auf gefrorenem, unebenem Untergrund oder bei vorgeschädigten Hufen, etwa von Rehepferden. Der Schmerz regt wiederum die Ausschüttung von Cortisol an: Ein Teufelskreis entsteht. „Die Cortisol-Ausschüttung wirkt sich auch auf den Insulinhaushalt aus, daher ist ein Zusammenhang zumindest indirekt gegeben“, so Schmid.


Ein Tropfen bringt das Fass zum Überlaufen

Ein typischer Fall von Winterlaminitis sieht laut Schmid so aus: Das Pferd wurde wegen Fühligkeit im Sommer beschlagen. Dann werden zum Winter hin die Eisen abgenommen, und das Pferd wird weniger bewegt, aber nicht reduziert gefüttert. Ist dann gleichzeitig noch der Boden gefroren, erleidet das Pferd plötzlich einen Reheschub. „Ursache ist aber primär nicht die Kälte, sondern die gehaltvolle Fütterung. Der hart gefrorene Boden ist nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Denn die Hufe bzw. deren Gefäßsystem wurden bereits lange zuvor geschädigt.“

Besonders leicht oder häufig trifft Winterrehe deshalb auch bereits seit längerem übergewichtige Pferde oder Pferde, die bereits einmal einen Reheschub hatten. Da kann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, auch der Weidegang am Winteranfang oder Winterende sein. Denn wenn die Nächte kühler werden oder sogar Frost einsetzt, steigt der Fruktangehalt im Gras: „Das Gras braucht eine gewisse Mindesttemperatur, um die tagsüber produzierte Energie in Form von Zuckern in Wachstum umzuwandeln. Sobald die Temperaturen so weit sinken, dass kein Wachstum mehr stattfinden kann, ist das Gras sehr zuckerreich und kann dadurch Hufreheschübe auslösen“, fasst Schmid zusammen. „Sämtliche Faktoren, die das Wachstum der Pflanzen stören – etwa nächtliche Kälte, Nährstoffmangel oder Überweidung – führen zu einer erhöhten Zuckereinlagerung. Tagsüber wird durch Fotosynthese Energie produziert. Nachts wandeln die Pflanzen diese in Wachstum um. Ist dies nicht möglich, wird immer mehr Zucker eingelagert.“

Im Grunde genommen kann jedes Pferd auch im Winter Rehe bekommen, denn die Auslöser für die Erkrankung sind vielfältig – und oft spielen auch mehrere Faktoren zusammen. Deshalb können auch normalgewichtige Pferde von Winterrehe betroffen sein. In der Hauptsache trifft es laut Schmid jedoch „Pferde mit Insulinresistenz, die meistens zu dick sind. Cushingpatienten haben ebenfalls ein erhöhtes Risiko“.


Winterrehe vorbeugen

Grundsätzlich sollte man vor allem darauf achten, das Pferd in einem optimalen Futterzustand zu halten: Für Schmid heißt das „nicht zu dick füttern, auf eine gute Futterqualität mit qualitativ hochwertigem Heu achten und ein dazu passendes Mineralfutter geben. Kraftfutter sollte nur bei Bedarf gefüttert werden, und Futtermittel mit hohem Zucker- und Stärkegehalt wie Äpfel, Karotten oder Mais sind zu vermeiden.“

Lieber ansatzweise die Rippen sehen als ein fetter Speckhals.


Karin Schmid, Pferdetierärztin

Besonders wichtig ist laut Schmid auch die regelmäßige fachgerechte Hufkorrektur. Sonst kann es, vor allem bei Pferden, die bereits Rehe hatten, alleine über hebelnde Zehen und Wände auf gefrorenem Boden zu einem mechanisch ausgelösten Reheschub kommen.

„Zusätzlich ist regelmäßige Bewegung auch im Winter wichtig“, betont Schmid. „Zu beachten ist jedoch, dass gefrorener, unebener Boden dazu nicht geeignet ist. In einem Offenstall mit befestigtem Boden ist am ehesten eine gleichmäßige Bewegung gegeben. Bei Fühligkeit darf ein Pferd jedoch niemals zwangsbewegt werden, da dies einen Schub auslösen kann.“ Es müssen jedoch geeignete Maßnahmen ergriffen werden, damit sich das Pferd möglichst schmerzfrei bewegen kann: „Dies kann ein Hufschutz sein oder noch besser ein geeigneter Boden. Sandboden hat sich gerade bei einer Hufbeinsenkung gut bewährt, weil er eine gleichmäßige Belastung von Tragwand, Sohle und Strahl ermöglicht.“


Therapiemaßnahmen

Die schulmedizinische Behandlung von Hufrehe zielt in erster Linie darauf ab, die entgleisten Entzündungsmechanismen zu hemmen, indem nichtsteroidale Entzündungshemmer verabreicht werden. Zusätzlich wird oft Eingipsen oder ein Rehebeschlag empfohlen, um die Entzündung abklingen zu lassen und das Hufbein zu entlasten. Alternative und ergänzende Behandlungsmethoden sind phytotherapeutische Entzündungshemmer, Hufverbände oder polsternde Stalleinlagen, etwa weiche Matten.

Schmid nutzt die schulmedizinischen Diagnosemöglichkeiten und unterstützende Maßnahmen wie Futterumstellung und Hufschutz, hat aber bei der Behandlung die besten Erfahrungen mit Homöopathie gemacht. „Eine ordnungsgemäße homöopathische Behandlung führt oftmals zu erstaunlich schneller Regeneration. Immer muss aber, um eine dauerhafte Genesung zu erreichen, an die Akutbehandlung eine sogenannte chronische Behandlung angeschlossen werden.“

Dazu gehört für sie in erster Linie, die Fütterung zu optimieren: „Auch ein anscheinend qualitativ hochwertiges Heu kann zu viel Zucker enthalten. Hier sind vor allem die Einfachzucker ausschlaggebend. Eine Heuanalyse kann darüber Aufschluss geben.“ Zudem rät sie bei gefährdeten oder bereits betroffenen Pferden zur regelmäßigen Kontrolle der Huftemperatur, da diese Hinweise auf eine Erkrankung gibt (im Krankheitsfall ist die Temperatur erhöht, daher wäre es vorteilhaft, die normale Huftemperatur seines Pferdes zu kennen). Ein Röntgenbild ist am aussagekräftigsten, wenn es ein Vergleichsbild aus gesunden Zeiten gibt. Die beste Vorsorge ist für Schmid aber „die regelmäßige Bewegung und angepasste Fütterung. Leider leiden Pferde, genau wie wir Menschen, immer mehr an Zivilisationskrankheiten. Oftmals werden Pferde, die eine gute Körperkondition aufweisen, als zu dünn empfunden und aus falscher Fürsorge zu reichlich gefüttert. Lieber ansatzweise die Rippen sehen als ein fetter Speckhals.“