Gesundheit

Plötzlicher Weidetod: Schreckgespenst Atypische Myopathie bei Pferden

Ein Artikel von Pamela Sladky | 28.02.2020 - 10:10
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Das tödliche Gift steckt in den Samen von Berg- und Eschen-Ahorn, die im Herbst auf den Boden fallen und von dort aufgenommen werden. Aber auch im Frühjahr, wenn die Samen zu keimen beginnen, besteht ein Risiko für weidende Pferde.
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Kennzeichnend für die Atypische Myopathie sind sogenannte outbreaks, also das Erkranken mehrerer Tiere innerhalb einer kurzen Zeitspanne. Die Symptome sind dabei oft gar nicht so eindeutig: Schwitzen, Zittern und eine erhöhte Herfrequenz lassen oft fälschlicherweise auf eine Kolik schließen, eindeutiger wird es, wenn sich zu diesen Symptomen noch ein steifer Gang und braungefärbter Urin gesellen. So plötzlich die Krankheit eintritt, so rasch schreitet sie voran. Ein Großteil der Pferde – Experten sprechen von bis zu 95 Prozent – stirbt innerhalb von 12 bis 72 Stunden nach Ausbruch.

Behandelbar sind lediglich die Symptome – und doch „kann durch die Verabreichung von Antioxidantien und Vitaminen die Überlebenschance signifikant gesteigert werden“, erklärt AM-Expertin Dominique Votion von der Universität Lüttich in Belgien. Als Erste-Hilfe-Maßnahme bewährt haben sich insbesondere Selen sowie die Vitamine E, B12. In einem frühen Stadium kann außerdem Aktivkohle verabreicht werden, die laut einer wissenschaftlichen Studie das Toxin binden und daher präventiv auch noch nicht betroffenen Begleitpferden verabreicht werden kann. Ziel ist damit eine Vergiftung rechtzeitig abzuwenden. Harntreibende Mittel können gegeben werden, um die Abbauprodukte auszuschwemmen.
 

Kritische Jahreszeiten

AM kommt vorwiegend im Herbst und im Frühjahr vor. Im Spätherbst steigen die Fallzahlen insbesondere nach plötzlichem Wetterwechsel, den ersten Frühfrösten, Herbststürmen oder bei hoher Feuchtigkeit an. Laut Dominique Votion sollen mehrere Tage Frost sowie Schnee die Gefahr wieder reduzieren – warum das so ist, sei allerdings noch nicht geklärt. Die Anzahl der Erkrankungen schwankt von Jahr zu Jahr, vor allem überdurchschnittlich heiße und trockene Sommer scheinen den plötzlichen Weidetod zu schüren.

Auch im Frühjahr werden Erkrankungen registriert. Doch: „AM-Ausbrüche im Frühling wurden nur dann beschrieben, wenn im jeweils vorangegangenen Herbst auch AM-Fälle aufgetreten waren“, so Dominique Votion.
 

Ursache lange unklar

Viele Jahre rätselten Forscher über den Auslöser dieser mysteriösen Krankheit. Verdächtigt wurden Vitamin- und Mineralstoffmangel der Pferde, Bodenbakterien oder pflanzliche Gifte. Erst 2012 kam Licht ins Dunkel: Amerikanische Wissenschafter wiesen Hypoglycin A als Ursache des plötzlichen Weidetods nach. Diese Aminosäure war keine Unbekannte: Beim Menschen verursacht sie die Jamaikanische Brechkrankheit, eine durch den Verzehr unreifer Früchte des Ackee-Fruchtbaums hervorgerufene Krankheit, die unbehandelt zu Koma und Tod führen kann und in ihren Symptomen der Weidemyopathie ähnelt. Einmal im Körper, wird Hypoglycin A beim Menschen wie beim Pferd in die giftige Verbindung Methylencyclopropyl-Essigsäure (MCPA) umgewandelt, die den Energiestoffwechsel beeinträchtigt.

Im Fall der Atypischen Myopathie machten die Forscher Eschen-Ahorn als Quelle des Hypoglycin A aus. Aber auch im Berg-Ahorn ist die problematische Aminosäure zu finden. Das Gift steckt insbesondere in den Samen, die in den Monaten Oktober und November zu Boden fallen, und in den Keimlingen, die im Frühjahr ihr Wachstum beginnen – eine Erklärung für das saisonale Auftreten der Erkrankung.

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© Pferdeklinik Tillysburg

Nicht alle Ahornarten gefährlich

Nach derzeitigem Wissensstand sind Berg-Ahorn, Eschen-Ahorn und Fächerahorn als problematisch einzustufen (Institut für Veterinärpharmakologie und -toxikologie, Zürich). Berg-Ahorn ist in Österreich heimisch und weit verbreitet. Der aus Kanada stammende Eschen-Ahorn wird aufgrund seines schnellen Jugendwachstums als Zier- und Parkpflanze geschätzt. Laut Österreichischen Bundesforsten ist er jedoch mittlerweile „in Österreich verbreitet in den March-, Thaya- und Donauauen zu finden“, es ist sogar von einer „Massenvermehrung“ die Rede. Der Fächerahorn ist als Zierbaum beliebt, von ihm könnte auf gartennahen Weiden eine Gefahr ausgehen. Laut der Universität Zürich variiert die Konzentration von Hypoglycin A stark, bereits 30 bis 40 Samen könnten toxisch sein. Zum Vergleich: Ein Ahornbaum trägt bis zu 500.000 Samen!  

Weitere heimische Arten sind der Spitz- und der Feldahorn, bei denen laut einer Studie niederländischer Wissenschaftler kein Hypoglyzin A nachgewiesen werden konnte.

Info: Auf baumkunde.de findet man mit wenigen Klicks eine Übersicht über die Ahornarten und Details zu den einzelnen Arten.

Vorbeugen bedingt möglich

Einen absoluten Schutz vor der AM gibt es nicht, auch weil noch nicht alle Ursachen geklärt sind. Und dennoch gibt es einige Empfehlungen, die das Risiko zumindest reduzieren können:

  • Pferde nicht auf Weiden grasen lassen, auf denen Ahornbäume stehen oder die an Ahornbäume angrenzen.
  • Die Weidezeit in kritischen Phasen auf maximal sechs Stunden täglich beschränken.
  • Zufüttern von hochwertigem Heu, allerdings nicht auf der Weide (Ahornsamen könnten sich darin verfangen)
  • Tränken von Weidepferden im Herbst mit Leitungswasser (mögliche Kontamination von natürlichen Wasserquellen).

Besondere Vorsicht ist natürlich geboten, wenn auf einer Weide schon einmal Pferde erkrankt sind. Mitunter wird empfohlen, Pferde ab Ende August gar nicht mehr auf die Weide zu lassen. Doch das Ausweichen auf Allwetterpaddocks kann nicht garantieren, dass dorthin keine Ahornsamen gelangen. Schließlich sind die Propellerfrüchte wahre Flugkünstler und können mehrere hundert Meter fliegen, vor allem an stürmischen Tagen. Selbst in Paddockboxen sind Pferde daher nicht absolut sicher.


Weiterer Forschungsbedarf

Noch immer sind nicht alle Details zur AM geklärt. Dominique Votion ist sich beispielseise nicht sicher, „ob AM-Pferde die Flügelfrüchte tatsächlich aufnehmen müssen, um sich zu vergiften“. Vorstellbar sei ein Übertritt des Toxins ins Weidegras oder Wasser, mutmaßt die Wissenschaftlerin. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass eventuell noch andere samentragende Bäume wie Hasel oder Buche das Toxin in sich tragen.

Da auch im Blut gesunder Pferde Hypoglycin A nachgewiesen wurde, sei es zudem eventuell möglich, dass bei manchen Pferden keine Umwandlung in das toxische MCPA stattfindet. Außerdem seien Studien notwendig, „um die Faktoren zu bestimmen, welche die Toxinbildung einerseits und das Verschwinden des Toxins aus den Samen andererseits beeinflussen. Dann wäre es möglich, AM-Ausbrüche vorherzusagen bzw. nach solchen wieder Entwarnung zu geben.“