Der letzte weg

Abschied vom Pferd: Wann ist der richtige Zeitpunkt?

Ein Artikel von Redaktion | 09.02.2023 - 14:04
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Endgültig Abschied nehmen von einem geliebten Wesen, ist eine der schwierigsten Aufgaben, die uns in unserem Leben zuwächst. © Christiane Slawik, Würzburg, Germany

In den seltensten Fällen entschläft der geliebte Freund friedlich während der Nacht, tief auf weichem Stroh gebettet und wohlig umsorgt. Einen solchen Abschied wünscht sich wohl jeder für seinen Schützling. In der Realität ist es aber meist der Besitzer, der entscheiden muss, wann das Leben des Pferdes zu Ende geht. Doch wann ist „der richtige“ Zeitpunkt für einen Abschied gekommen?


„Unbrauchbarkeit“ ist kein Kriterium

Nutzbarkeit und Leistungsfähigkeit jedenfalls sind nicht die entscheidenden Kriterien, obwohl "Unbrauchbarkeit" für manche Grund genug ist, eine Tötung in Erwägung zu ziehen, wie FEI-Tierärztin Dr. Constanze Zach weiß. "Dabei geht es meist darum, sich die Mühen des Alters zu ersparen. Ein Pferd nicht unnötig leiden zu lassen - dies wird nur allzu oft als Vorwand verwendet."

Sicher ist: Weder darf ein Tier aufgrund seiner (Un-)Brauchbarkeit, seines Aussehens oder weil seine Haltung schlicht zu teuer ist, getötet werden. Der Nutzwert eines Tieres entscheidet nicht über dessen Recht zu leben. Dies regelt das Tierschutzgesetz eindeutig, indem es besagt, dass ein Tier nur dann getötet werden darf, wenn ein "vernünftiger Grund" vorliegt.


Schlafen, wälzen, Sozialleben

Was aber ist ein "vernünftiger Grund"? Klinisch betrachtet ist es dann an der Zeit, sein Pferd zu erlösen, wenn "es keine Chance mehr darauf hat, ein pferdegerechtes Leben zu führen", so Dr. Sonja Berger von der Vetmeduni Vienna. Ähnlich sieht es die Pferde-Praktikerin Dr. Bernadette Linsbichler: "Der Zeitpunkt, zu euthanasieren, ist beim alten wie beim jungen Pferd dann erreicht, wenn der Gesundheitszustand nicht mehr mit einem Weiterleben vereinbar ist."

Was für das Pferd lebenswert und artgerecht ist, fasst Sonja Berger so zusammen: "Ein Pferd muss tief schlafen können. Das bedeutet, dass es sich hinlegen, sich in Seitenlage erholen und wieder aufstehen können muss. Pferde müssen im Liegen schlafen!", betont die Tierärztin. "Wenn Pferde tagelang nicht abliegen, kann das Krankheitsbild Sleeping Disorder auftreten, eine Schlafstörung, die wirklich eine Gefahr für das Leben des Pferdes darstellt."

"Weiters soll sich das Tier wälzen können, es muss sich nicht mehr vollständig von einer Seite auf die andere rollen können, aber sich Wälzen ist wichtig. Auch ein Sozialleben muss möglich sein. Und eine annähernd normale Ernährung", führt Berger aus. "Bei der Fütterung spielt die Raufaser die Hauptrolle. Sie ist wesentlich für einen gesunden Pferdedarm. Manchmal muss nur das Fütterungsmanagement angepasst werden, damit das Pferdeleben wieder Spaß macht."

Dass ein Pferd „immer noch frisst und trinkt“ kann hingegen nicht als alleiniges Argument herangezogen werden, vom finalen Schlusspunkt Abstand zu nehmen. Denn selbst unter starken Schmerzen und erheblichem Unwohlsein stellen Pferde die Futteraufnahme nur selten ein. Unter wildlebenden Pferden existiert sogar soetwas wie Scheinfressen. Um für Raubtiere "intakt" und gesund zu wirken, tun alte und kranke Pferde so, als würden sie grasen während sie in Wirklichkeit nur Gras hin und her bewegen. Pferde sind darauf programmiert, normal zu wirken. Auch dann, wenn das Leid bereits beträchtlich ist.

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Alte Pferde bauen trotz ausreichend Futter körperlich oft deutlich ab. Solange sie noch Freude am Leben haben und gesundheitlich nicht stark beeinträchtigt sind, ist das kein Grund für einen endgültigen Abschied.   © www.slawik.com

Körperlicher Abbau

Die körperlichen Veränderungen, die alternde Pferde durchmachen, führen oft zu Verunsicherung und Missverständnissen - auch mit der Außenwelt. "Häufig sind sich Besitzer gerade bei sehr alten Pferden, die aufgrund ihrer Altersgebisses häufig nur noch Weichfutter zu sich nehmen können und auch bei ausreichend Futteraufnahme körperlich abbauen, unsicher, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist", erzählt Bernadette Linsbichler. "Diese Pferde sehen oft nicht mehr gesellschaftstauglich aus, und die Besitzer haben immer wieder mit Angriffen von vermeintlichen Tierschützern zu kämpfen. Ich vergleiche diese Pferde mit sehr alten Menschen, die auch ab einem gewissen Alter ohne eine dramatische Erkrankung an Substanz verlieren, aber trotzdem noch gerne leben. Der Zeitpunkt, diese Pferde zu euthanasieren, ist genauso wie beim jungen Pferd dann erreicht, wenn der Gesundheitszustand nicht mehr mit einem Weiterleben vereinbar ist."


Schmerzen

Leidet das Pferd unter Schmerzen „sollte man sich immer überlegen, was man sich als Pferd selbst wünschen würde“, so Dr. Zach. „Als Mensch denkt man auch noch lange nicht ans Sterben, nur weil man Kopfwehmittel nimmt. Ich kenne viele Pferde, die zwar nicht mehr reitbar sind, aber mit einer geringen Dosis Schmerzmittel pro Tag ein erfülltes und glückliches Koppelleben führen.“

Erst wenn die negativen Aspekte des Pferdedaseins die positiven überwiegen, muss man daran denken, das Pferd zu erlösen. Ein Tierarzt darf der Forderung nach Euthanasie übrigens nicht nachkommen, wenn ein Tier mit "zumutbarem Aufwand" therapiert werden kann. Bernadette Linsbichler erinnert sich: "Ich selbst habe auch schon einmal eine Euthanasie verweigert. Es handelte sich um ein etwa 18-jähriges Pferd mit einem orthopädischen Problem. Das Pferd war im Schritt lahmheitsfrei, klinisch vollkommen in Ordnung und auch sonst bester Dinge. Der Besitzer konnte das Pferd nicht mehr brauchen, weil er ausreiten gehen wollte. Ich hatte ihm angeboten, ihn bei der Suche nach einer geeigneten Pensionskoppel zu unterstützen. Das wollte er aus Kostengründen nicht. Ich habe später erfahren, dass sich ein anderer Tierarzt gefunden hat, der das Pferd euthanasiert hat."

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Wenn die negativen Aspekte - wie Schmerzen - die positiven überwiegen, muss man daran denken, das Pferd zu erlösen.   © www.slawik.com

Eine individuelle Entscheidung

Die Entscheidung, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist, kann immer nur im Einzelfall getroffen werden, hier hilft keine pauschalierende Formel. Was zählt, ist Verständnis und Mitgefühl für das Tier und seine naturgegebenen Ansprüche an ein tiergerechtes Leben. Hier hilft es, einen Tierarzt seines Vertrauens zu Rate zu ziehen.

Klar ist: Kein Pferd sollte um jeden Preis und mit allem erdenklichen Aufwand am Leben gehalten werden, wenn keine Verbesserung seiner Situation in Aussicht ist oder wenn es seinem Herden- und Fluchtinstinkt nie wieder nachkommen wird können. "Ein Pferd zeigt, wann es gehen will." Davon sind Experten wie Pferdebesitzer überzeugt - ganz besonders jene, die ein inniges Verhältnis zu ihrem Tier haben. Diesen Zeitpunkt zu erwarten und zu erkennen, danach sollten wir trachten.

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In vielen Fällen zeigen Pferde, wenn sie gehen wollen. Es liegt an uns, diesen Zeitpunkt zu erkennen umd zu respektieren.
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