Equines Sarkoid

Eine Impfung gegen Krebs

Ein Artikel von Dr. Sabine Brandt | 27.01.2023 - 19:08
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Sarkoide sind die häufigste Krebsart beim Pferd. © Sabine Brandt

Sarkoide sind häufig auftretende Hauttumoren, die zwar nicht metastasieren, jedoch lokal aggressiv wachsen und einen nicht unwesentlichen Teil der Haut in Mitleidenschaft ziehen können. Ausgehend von einer zunächst unscheinbaren Hautveränderung, die kaum auffallen mag, kann die Erkrankung im Laufe der Zeit dahingehend ausarten, dass betroffene Tiere letztlich mehrere bis zahlreiche, teils blutig ulzerierende Tumoren in mehreren Hautregionen aufweisen. Spätestens dann steht der Tierarzt vor einer großen Herausforderung, zumal es derzeit praktisch keine Strategie gibt, um multiple Sarkoide in fortgeschrittenen Stadien zu therapieren. Dies hat die Forschungsgruppe Onkologie (RGO) der Wiener Vetmeduni Pferdeklinik schon vor einigen Jahren dazu bewogen, neue Methoden zur Bekämpfung von Sarkoiden zu entwickeln.
 

Am Anfang steht ein Virus

Zunächst muss man wissen, dass Sarkoide auf einer Infektion durch eine kleine Gruppe eng verwandter Papillomviren basieren, die bei ihrem angestammten Wirt, dem Rind, zur Bildung von Hautwarzen (Papillome) führen. Da Rinder evolutionstechnisch gesehen schon sehr lange von diesen bovinen Papillomviren (BPV) heimgesucht werden, hat ihr Immunsystem offensichtlich gelernt, sie abzuwehren. In der Praxis bilden sich die Kuhwarzen mit der Zeit von alleine zurück und verschwinden wieder. Im Anschluss sind betroffene Rinder gegenüber einer nochmaligen Ansteckung mit diesen Viren in der Regel immun.

Anders sieht es bei Pferden aus. Hier bleibt eine Infektion mit den betreffenden Viren vom Immunsystem unerkannt und führt zu persistierenden Hauttumoren, den sogenannten Sarkoiden. Aufgrund einer speziellen Eigenschaften der Viren werden befallene Hautzellen dahingehend verändert, dass sie quasi unsterblich werden und sich ununterbrochen teilen. So entsteht aus einer infizierten Hautzelle in relativ kurzer Zeit ein großer infizierter Zellhaufen – der Tumor.

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Die Erstinfektion erfolgt über ein Trauma - es reicht schon eine Mikroverletzung der Haut. © www.Slawik.com

Ein Trauma als Auslöser

Infektiöse Papillomviruspartikel werden in der obersten Hautschicht gebildet und gelangen über abgestorbene Hautschuppen in die Umgebung, wo sie gegebenenfalls Wochen oder sogar Monate lang überdauern können, bis sie über eine (Mikro-)Verletzung Eintritt in die Haut eines neuen Wirts erlangen. Studien haben gezeigt, dass virushaltige Schuppen am Sarkoidpatienten selbst sowie in Bürsten und Striegeln, an Boxenwänden, Ausrüstung, Tränken und Trögen zu finden sind. Durch Aneinanderreiben bzw. Scheuern an kontaminierten Objekten dürfte es zu Mikroverletzungen der Haut und zum passiven Eindringen der Viren kommen. Darüber hinaus wird spekuliert, dass auch stechende/beißende Insekten bei der Übertragung eine Rolle spielen könnten.

Eine erfolgreiche Infektion ist unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sich das Virus mit der Zeit in der gesamten Haut ausbreitet, wo es dann aber in zu geringen Mengen vorliegen dürfte, um eine Sarkoidbildung bewirken zu können. Im Falle einer Verletzung, die einen Wundheilungsprozess nach sich zieht, der durch hohe Zellteilungsraten gekennzeichnet ist, kommt es synchron zu einer Vermehrung des viralen Genmaterials – ein neues Sarkoid entsteht. Ein Trauma – egal, ob verletzungsbedingt oder durch einen geplanten Eingriff – macht also nicht nur die Erstinfektion möglich, sondern fördert auch die Progression von einer milden zu einer aggressiveren Form der Sarkoiderkrankung, für die multiple Tumoren aggressiverer klinischer Ausprägung typisch sind.

Gerade dieser Umstand kann Tierärzt:innen Kopfzerbrechen bereiten. Sowohl die Entnahme einer Tumorprobe (Biopsie) zu diagnostischen Zwecken als auch die einfache chirurgische Entfernung eines Sarkoids mittels Skalpell können die Erkrankung massiv ankurbeln. Entsprechend wird dringend davon abgeraten, Sarkoide zu bioptieren, und empfohlen, die Tumoren unbedingt so früh, so aggressiv und so nachhaltig wie möglich zu therapieren – ein oftmals schwieriges, wenn nicht unmögliches Unterfangen.

Den Krebs wirksam bekämpfen

Viren und Krebsgeschwüre haben eines gemeinsam: Beide haben die Fähigkeit, das Immunsystem hinters Licht zu führen oder auszuschalten, um sich ungestört ausbreiten zu können. Virusinduzierte Krebserkrankungen haben jedoch zumindest den Vorteil, dass man sie unter Umständen besiegen kann, wenn man therapeutisch gegen die Virusinfektion vorgeht. Bei einer Papillomvirusinfektion, die unerkannt verläuft, weil das Immunsystem ausgetrickst wird, geht es also darum, letzteres dahingehend zu instruieren, die Infektion zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Aber wie kann ein derartiger immuntherapeutischer Ansatz gelingen? Mit dieser Frage hat sich auch das Team der Forschungsgruppe Onkologie (RGO) der Vetmeduni-Pferdeklinik auseinandergesetzt. Auf Basis einschlägiger Erfahrung und überzeugender Vordaten hat die RGO gemeinsam mit BlueSky Immunotherapies genetisch abgeschwächte Grippeviren entwickelt, die in der Lage sein sollen, eine robuste Immunantwort gegen BPV hervorzurufen.

Nachdem sich die veränderten Grippeviren beim Pferd in einer Vorstudie als gut verträglich und biologisch sicher erwiesen hatten, wurde beschlossen, deren therapeutische Wirkung im Rahmen einer Patientenstudie zu ermitteln. Dazu wurden ab März 2019 sukzessiv 30 Pferde mit milder (n = 3), moderater (n = 8) oder schwerer, hoffnungsloser Sarkoiderkrankung (n = 19) sowie nachgewiesener BPV-Infektion auf Wunsch der Besitzer:innen mit den neuen grippevirusbasierten Immuntherapeutika behandelt. Dies erfolgte durch mehrfache Injektion in einen Tumor bzw. maximal drei Tumoren bei Pferden mit vielen Sarkoiden und eine anschließende regelmäßige Überwachung von Allgemeinbefinden und Tumorgrößen.

Die ersten neun Patienten (acht schwere, ein moderater Fall) wurden in der ersten Woche dreimal mit dem Influenzavirus A- und in der zweiten Woche dreimal mit dem Influenzavirus B-Konstrukt intratumoral injiziert. Alle Pferde wurden in dieser Zeit engmaschig überwacht. Danach wurden sie nach Hause entlassen, jedoch weiterhin hinsichtlich Tumorgröße verfolgt. Von diesen neun Pferden sprachen anfänglich fünf eindeutig auf die Therapie an. Dies machte sich durch ein kontinuierliches Schrumpfen injizierter und – Achtung! – auch nicht injizierter Sarkoide bemerkbar. Die veränderten, Grippeviren lösten also eine sarkoidspezifische lokale (vor Ort) und systemische (im gesamten Organismus) Immunantwort aus. Bei den anderen vier Pferden blieb die Erkrankung unverändert und konnte bei einem Tier nicht weiterverfolgt werden.

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Erfolgreiche Therapien: Beim Rappen (li.) handelte es sich um eine schwere Erkrankung, gekennzeichnet durch ein Konglomerat gemischter Sarkoide teils aggressiven Typs unter dem linken Auge. Der Lichtfuchs (2. v. links.) litt ebenfalls an einer moderaten bis schweren Ausprägung der Erkrankung oberhalb und hinter dem linken Auge. Es wurde bei beiden Patienten jeweils ein Tumor wiederholt mit dem Wirkstoff injiziert. Nach zehn Monaten beim Rappen bzw. sechs Monaten beim Lichtfuchs waren die Tumoren nahezu vollständig zurückgegangen. Bei beiden Pferden ist inzwischen nur noch Narbengewebe erkennbar.
Das ganz rechte Pferd wurde mit gemischten Sarkoiden in der Achselregion und einem golfballgroßen nodulären Sarkoid im Bereich des Schenkelspalts vorgestellt. Lediglich ein Tumor in der Achselregion wurde in Woche 1 mit Influenza-A- und in Woche 2 mit Influenza-B-Viren jeweils dreimal injiziert. Nach 13 Monaten waren die Tumoren komplett zurückgegangen – ein äußerst beeindruckendes Ergebnis. © Sabine Brandt

Monate nach Behandlung wurden unterschiedliche Entwicklungen beobachtet: In dem moderaten Fall und zwei äußerst schweren Fällen wurden die Tumoren auch weiterhin kleiner und weniger. Bei zwei Pferden, die ursprünglich gut angesprochen hatten, begannen die Sarkoide wieder zu wachsen. Schlussendlich konnte mit alleiniger Immuntherapie ein kompletter Rückgang aller Sarkoide bei drei von den verbliebenen acht Pferden erzielt werden.

Um die Wirkung weiter zu verbessern und den notwendigen Klinikaufenthalt für die Patienten zu verkürzen, wurde für die Behandlung der weiteren 21 Patienten ein neues Behandlungsschema festgelegt. Die intratumoralen Injektionen erfolgten grundsätzlich an Tag 1, nach einem Monat und nach drei Monaten und wurden bei Bedarf im Abstand von zwei Monaten fortgesetzt. Entsprechend verbrachten die Patienten pro Behandlungszeitpunkt nur jeweils 25 bis 36 Stunden an der Klinik. Therapiert wurden nun drei Pferde mit milder, sieben Pferde mit moderater und elf Pferde mit schwerer Sarkoiderkrankung. Hinsichtlich ihrer Wirksamkeit konnte zwischen den Impfschemata kein signifikanter Unterschied festgestellt werden, wobei eine Tendenz zugunsten des neuen Impfschemas beobachtet wurde. Was das Konsortium besonders freute: Sarkoide in der Augenregion sprachen besonders gut auf die Therapie an – was auch insofern bedeutsam ist, weil in dieser Region die üblichen Standardtherapien (z. B. Operation, Chemotherapie) aufgrund der heiklen Lokalisation nur selten in Frage kommen.

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Bei 14 von 29 Pferden wurde per Juni 2022 eine komplette Regression der Tumoren (grüne Balken) erreicht. Bei weiteren vier Pferden (blaue Balken) wird eine komplette Regression erwartet. Bei vier anderen Patienten  (gelbe Balken) ist noch unklar, in welchem Ausmaß sie auf die Therapie ansprechen. In sieben schweren Fällen konnte kein nachhaltiger Erfolg erzielt werden (roter Balken).

Therapie wird weiter optimiert

Derzeit wird an der Vetmeduni Wien in Kooperation mit BlueSky an einer weiteren Optimierung der immuntherapeutischen Strategie gearbeitet. Eine umfassendere Patientenstudie ist in Vorbereitung, um einerseits die exakte Wirkungsweise der Behandlung auf immunologischer Ebene zu untersuchen, andererseits auch den Nutzen einer Kombination der Immuntherapie mit anderen Behandlungsformen (chirurgisch) zu ermitteln. Das Ziel ist klar: Es soll mittelfristig möglich sein, sämtlichen Sarkoiden den Garaus zu machen. Die bisherigen Ergebnisse stimmen zuversichtlich.