Gesundheit

Lungentraining: Atemübungen für Pferde

Ein Artikel von Eva Schweiger | 09.11.2023 - 13:10
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Der flotte Galopp im Gelände stärkt die Lungenfunktion gesunder Pferde optimal und befreit nebenbei den Kopf!

© Christiane Slawik www.slawik.com

Haben Sie Ihr Pferd jemals beim Atmen beobachtet? Genau hingesehen, welche Muskeln es beim Ein- und Ausatmen einsetzt, wie schnell und wie tief es nach einem Galopp Luft holt und wie sich die Atmung während einer genüsslichen Massage am Putzplatz verändert? Falls Sie eine:r von den vielen Pferdebesitzer:innen sind, die ein Pferd mit Atemwegserkrankungen betreuen, wahrscheinlich ja. Die Ursachen und Symptome dieser Erkrankungen sind divers, aber eins haben sie alle gemeinsam: Sie betreffen eines der wichtigsten Organsysteme im Pferdekörper, das für die Gesundheit des ganzen Pferdes eine zentrale Rolle spielt.

Auch darum ist die Diagnose einer chronischen Atemwegserkrankung entmutigend für uns Pferdebesitzer:innen: Sehr viele Faktoren spielen eine Rolle, nicht nur der Staub im Heu oder die Pilzsporen im Reithallenboden. Optimierte Haltung, hochwertige Fütterung, medizinische Therapie – diese wichtigen Grundpfeiler müssen für den Atemwegspatienten zu allererst gesichert sein.

Darüber hinaus lässt sich mit zielgenauer Gymnastizierung dazu beitragen, dass der Vierbeiner wieder tiefer und freier atmen kann. Das Credo dafür lautet: Genau beobachten und durchdacht bewegen.
 

Der gesamte Körper atmet

Die Sache mit dem Atmen ist die: Der gesamte Körper ist daran beteiligt. Über die Atemmuskulatur und Atemhilfsmuskulatur sowie ihre Verbindungen zum Skelett beeinflussen sich die Lungenfunktion und der restliche Pferdekörper wechselseitig. Ganz zu schweigen von der Sauerstoffversorgung, die den gesamten Organismus von der Lunge abhängig macht. Diese steht über die Atemluft unmittelbar mit der Außenwelt in Verbindung und ist äußeren Einflüssen daher stark ausgesetzt.

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Bewegung hilft oft bei Husten, aber nicht immer! ©www.Slawik.com

Weil ihre Funktion so überlebenswichtig ist, sind ihre Schutzmechanismen gegen eindringende Fremdkörper und Giftstoffe zum Glück höchst ausgeklügelt und funktionstüchtig. Wenn sie jedoch durch ein schwaches Immunsystem, ständig verschmutzte Umgebungsluft und dergleichen überfordert sind, werden die Atemwege anfällig für Erkrankungen. Das Spektrum reicht vom relativ harmlosen Infekt mit Husten bis zum allergischen Asthma und zur chronischen Bronchitis.

Das Problem: Ein einfacher Infekt kann, wenn falsch behandelt und nicht ausgeheilt, sehr leicht chronisch werden. Die von Natur aus sensiblen Atemwege des Pferdes werden dann überempfindlich und verlieren ihre Fähigkeit zur Selbstheilung. Die Pferde entwickeln die gefürchteten chronischen Erkrankungen mit verlegten Atemwegen, wiederkehrendem Husten und allergischen Reaktionen.

Darum: Auch kleine Hinweise ernst nehmen und Ursachen ausfindig machen!

Husten ist als kaum zu überhörendes Symptom oft das erste Anzeichen, das wir von einer Atemwegserkrankung bemerken. Dann ist genaue Beobachtung gefragt: In welchen Situationen hustet das Pferd? Hustet es Schleim aus oder eher trocken? Wird der Husten während der Arbeit stärker oder bleibt es bei einem einmaligen Abhusten am Beginn des Trainings? Die zugrunde liegende Erkrankung kann die Lunge oder die Bronchien, genauso aber auch die Kehle oder den Kehlkopf betreffen, mit vermehrter Schleimbildung einhergehen oder auch ohne. Je nachdem wird die Behandlung durch den Tierarzt, die Tierärztin unterschiedlich sein. Der aus dem Gleichgewicht geratene Organismus braucht die Möglichkeit, wieder in Balance zu kommen – und dabei hilft ein sanftes Bewegungsprogramm.

Dabei gilt:  Ob zum Beispiel gymnastische Übungen im Schritt oder eher Konditionstraining im Galopp weiterhelfen, ist wesentlich von den aktuellen Symptomen abhängig.


Atmung ist Muskelsache

Vor allem bei lang anhaltenden Atemwegsproblemen können sich auf Dauer (muskuläre) Verspannungen und Blockaden einschleichen, die nicht auf die Atemwege beschränkt bleiben. Umgekehrt kann es ebenso passieren, dass Erkrankungen in anderen Körperteilen die Beweglichkeit des Rumpfs und damit auch das freie Atmen einschränken. Die Auswirkungen sieht und spürt man dann in vielen Bereichen: „Zicken“ beim Satteln und Gurten, wenig raumgreifender Galopp oder Anlehnungsproblemen haben meistens (auch) physiologische Ursachen. Um die normale, gesunde Funktion aller Organe und Muskeln wiederherzustellen, ist gesunde Bewegung zentral. Dabei sollen einerseits die Atmungsorgane und der Stoffwechsel allgemein sanft angeregt, andererseits die verspannte Muskulatur aktiviert und gelöst werden.

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Gymnastik, die die Rumpfmuskulatur lockert und dehnt, am besten in  angenehmer Trainingsatmosphäre, fördert die tiefe Atmung auf  körperlicher und psychischer Ebene. © www.slawik.com

Die muskulären Auswirkungen von besonders hartnäckigem Husten oder Atemnot kennen viele von uns aus eigener Erfahrung: Rücken und Bauch schmerzen beim Husten, die Atmung wird flach. An eine aufrechte Haltung mit weitem Brustkorb und starkem Rumpf ist nicht zu denken. Schuld sind die Verspannungen der Atemmuskeln: Die Zwischenrippenmuskeln und das Zwerchfell müssen schwerer arbeiten, wenn die Atmung nicht reibungslos funktioniert.

Bei starker Belastung (zum Beispiel auch im Training) und beim Husten sind die Bauchmuskeln ebenfalls gefordert. Nicht umsonst entsteht die bekannte „Dampfrinne“, wenn ein Pferd verstärkt über den Bauch atmet, um Atemnot zu kompensieren. Verbunden mit diesen Atem(hilfs)muskeln sind unter anderem Brust- und Lendenwirbelsäule, Brustbein, Rippen, Schultern und Halswirbelsäule. Deshalb hat die Verspannung der Atemmuskeln auch eine Einschränkung der Beweglichkeit des ganzen Körpers zur Folge – und umgekehrt!


Tiefe Atmung trainieren

Während eines akuten Atemwegsinfekts mit Husten, eventuell auch mit erhöhter Temperatur und Erschöpfungsanzeichen, ist von sportlichem Training natürlich keine Rede. Nichtsdestotrotz muss sich auch ein akut hustendes Pferd bewegen, und zwar vor allem im Schritt. Ohne diese sanfte Anregung können sich die belasteten Atemwege nicht reinigen und letztlich heilen. Gehen Sie vorsichtig vor und beobachten Sie: Trockener Reizhusten kann sich durch Bewegung verstärken, weil mehr Luft an den gereizten Schleimhäuten vorbeiströmt. Fordern Sie nicht zu viel!

Soll Schleim abgehustet werden, kann das Husten in der Bewegung aber auch hilfreich sein. Beeinträchtigte Atmung bedeutet oft auch schlechte Sauerstoffversorgung des Körpers, die Leistungsfähigkeit ist daher geringer! Während bei einer akuten Erkrankung die Schonung des Organismus und die Unterstützung des Abheilens im Zentrum stehen, geht es bei chronischen Erkrankungen eher um die Erhaltung eines möglichst funktionstüchtigen Atmungssystems. Auch zur Prophylaxe ist es übrigens sinnvoll, die Rumpfmuskulatur durch gezieltes Training zu lösen und zu kräftigen. Eine eingeschränkte Lungenfunktion kommt oft (auch) durch schwache und zugleich verkrampfte Atemmuskulatur zustande.

Petra Gastl (www.pferdinharmonie.at), die sich mit ihrem Pferdesportzentrum „Zur Friedrichslinde“ in Inzing ganz der optimalen Betreuung und dem sinnvollen Training vierbeiniger Atemwegspatienten verschrieben hat, weiß, wie man mit Gymnastizierung Platz für die Lunge schafft: „Wenn eine chronische Erkrankung besteht, stellen wir die Pferde gerne regelmäßig aufs Laufband mit Vibrationsplatte. Das lockert die Muskeln. Die meisten haben Blockaden im Rippenbereich – das merkt man zum Beispiel daran, dass sie abhusten, wenn sie sich biegen. Um den Rippen- und Lendenbereich zu entspannen, hilft ein Langmachen der Oberlinie in starker Biegung sehr, vor allem im Schritt. Dann geht das tiefe Atmen leichter.“

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Lange Oberlinie, freie Schulter- und Brustmuskeln, gut gedehnte Bauchmuskulatur: So hat die Lunge viel Platz. © www.slawik.com

Die Biegung führt zur Dehnung der Rumpfmuskulatur auf der einen und zur Kontraktion auf der anderen Körperseite – baut man sehr häufige Handwechsel ein und wechselt gebogene mit geraden Linien immer wieder ab, wird die gesamte Atemmuskulatur damit richtiggehend durchgeknetet. Übergänge zwischen Gangarten und Versammlung und Verstärkung aktivieren besonders die Bauchmuskulatur und die Hebung der Vorhand, was wiederum den Brustkorb freier und weiter werden lässt. Denn ein „durchgesackter“ Brustkorb zwischen verspannten Schulter- und Brustmuskeln nimmt den Atemorganen den Raum. „Besonders bei Freizeitpferden sieht man häufig Atemwegsprobleme, weil das Grundtraining fehlt. Ein gleichmäßiges Bewegungsmaß, Intervalltraining und Konditionsaufbau beugen Problemen des Bewegungsapparats und damit auch der Organe, wie zum Beispiel der Lunge, vor“, erklärt Gastl.

Mit Bodenarbeit und Zirkuslektionen, die Brust, Schultern und Wirbelsäule mobilisieren, lässt sich da viel bewirken. Ohne Sattel und einengenden Gurt, ohne Reiter:in auf dem Rücken, dessen/ deren Gewicht und (klemmender) Sitz die Atmung zusätzlich beeinträchtigen könnten, finden die Pferde oft leichter zum tiefen, freien Atmen zurück.

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Das Langmachen der Oberlinie in deutlicher Biegung - besonders im Schritt - hilft den Lenden- und Rippenbereich zu dehnen und erleichtert das tiefe Atmen.
© Christiane Slawik www.slawik.com

Frei atmen beginnt im Kopf

Gesunde Pferde dürfen und sollten hin und wieder außerdem ganz nach Lust und Laune laufen: Ein sehr wirkungsvolles Lungenfunktionstraining ist das „flotte Galoppieren am langen Zügel, am besten über lange Strecken geradeaus, damit die Pferde sich lang machen und tief durchatmen“, weiß Gastl.

Im Galopp sind Atmung und Bewegung des Pferdes nämlich gekoppelt – pro Galoppsprung ein Atemzug. Raumgreifende Sprünge mit kräftig schiebender Hinterhand und freier Vorhand führen daher automatisch zu tiefer Atmung.

Vorsicht: Zieht sich ein Pferd eher aus der Vorhand voran, kehrt sich der Effekt um – und die Vorhandmuskeln verspannen sich umso mehr!

Cavaletti- oder Springtraining können helfen, den Raumgriff im Galopp zu verbessern. Außerdem machen sie Spaß und bringen frischen Wind in den Trainingsplan. Denn eines darf man nicht vergessen: Pferde wie Menschen atmen dann tief und frei, wenn sie sich auch im Kopf frei fühlen. Vergessen Sie auch sich selbst nicht! Durch unseren Sitz und unsere Ausstrahlung haben wir beim Reiten einen großen Einfluss auf die Atmung des Pferdes. Probieren Sie es aus: Tiefe, entspannte Atmung ist ansteckend!