FÜTTERUNG

Hafer – besser als sein Ruf

Ein Artikel von Sven & Peggy Morell | 16.05.2024 - 10:10
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Hafer ist in der Pferdefütterung in den vergangenen Jahren in Verruf geraten - zu Unrecht.
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Den sticht der Hafer – dieses Sprichwort suggeriert, dass die Fütterung von Hafer Pferde nervös und übermütig macht. Und tatsächlich berichten so einige Pferdebesitzer:innen, wie schwierig ihre Schützlinge nach einer Hafermahlzeit würden. Was ist dran an dieser Behauptung?
 

Superfood oder Teufelszeug?

Für die menschliche Ernährung wird Hafer gerade als das „Superfood“ oder „Wundergetreide“ angepriesen: Ob als Flocken im Müsli oder Brot, für Porridge, als Milch- oder Butterersatz – in den Supermärkten begegnet man dem Hafer überall. Manche sprechen gar von einem regelrechten Hafer-Hype.

Ganz anders in der Pferdefütterung: Hafer landet nur noch sehr selten im Trog. In den meisten Kraftfuttermitteln sucht man ihn vergebens, viele Hersteller bieten explizit „haferfreie“ Produkte an. Der größte österreichische Futtermittelproduzent Garant – Pegus Horse Feed – wirbt sogar damit, dass alle Produkte seiner Pferdefutterlinie ohne Hafer sind. Futtermittelhersteller, die den Hafer teilweise oder ganz aus ihrem Sortiment verbannt haben, reagieren damit lediglich auf die Nachfrage der Pferdebesitzer: innen – denn viele wollen auf keinen Fall Hafer füttern.

Etwa seit den 1980er- Jahren wurde Hafer für die Pferdefütterung immer unbeliebter, Gerste oder Mais als Ersatz eroberten die Futtersäcke. Dabei war Hafer als Pferdefutter einst sehr gebräuchlich, die Vierbeiner wurden gar als „Hafermotoren“ bezeichnet.
 

Die Vorteile von Hafer

Und das nicht zu Unrecht, schließlich hat Hafer (botanisch Avena sativa) viele gute Eigenschaften vorzuweisen: Es ist ein schmackhaftes, bei Pferden in der Regel sehr beliebtes Getreide. In ihm stecken zahlreiche wertvolle Substanzen wie etwa Minerale oder Ballaststoffe. Hafer hat im Vergleich zu Mais und Gerste einen höheren Fettgehalt. Er enthält Schleimstoffe, die gut für die Verdauung sind, und Lysin, eine essenzielle Aminosäure. Hafer kann, anders als Mais oder Gerste, in der Regel als ganzes Korn verfüttert werden: Der hohe Spelzenanteil bedingt gründliches Kauen und reichlich Speichelbildung – der erste Schritt zu einer problemlosen Verdauung.

Vor allem bei der Dünndarmverdaulichkeit kann Hafer punkten: Sie liegt bei über 80 Prozent und damit deutlich höher als bei Gerste oder Mais, wenn diese unbehandelt sind. Grund sind die nur locker gebundenen Stärkekörner im Hafer, die leichter angreifbar für die Verdauungsenzyme sind. Bei Mais und Gerste hingegen sind diese fester verbunden und benötigen zum Aufschluss hohe mechanische Einwirkung (walzen, quetschen, schroten) oder Wärme. Die Dünndarmverdaulichkeit ist ein Maß dafür, wie viel Stärke des Korns im Dünndarm abgebaut wird. Je höher der Wert, desto besser – denn umso weniger Stärke gelangt in den nachfolgenden Dickdarm. Das ist sehr wichtig, denn wenn zu viel unverdaute Stärke den Dickdarm erreicht, wird das dortige Mikrobiom empfindlich gestört. Kotwasser, Durchfall, Koliken oder gar Hufrehe sind die möglichen Folgen.

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Walzhafer wird schneller ranzig als das ganze Korn, deswegen sollte er nach dem Quetschen innerhalb von zwei Tagen verbraucht werden.   ©www.Slawik.com

Doch auch von Hafer darf nicht zu viel gefüttert werden. Als Faustregel gilt: pro Kilogramm Körpergewicht maximal ein Gramm Stärke pro Fütterung sowie pro Tag nicht mehr als zwei Gramm. Das bedeutet: Ein 500 Kilogramm schweres Pferd darf pro Mahlzeit höchstens 500 Gramm Stärke zu sich nehmen, diese Menge wird bereits mit 1,25 Kilogramm Hafer erreicht. Da Gerste und Mais mehr Stärke enthalten, sind die Höchstmengen entsprechend kleiner anzusetzen: nicht mehr als 1,1 Kilogramm Gerste beziehungsweise 0,9 Kilogramm Mais pro Mahlzeit für das 500 Kilogramm schwere Pferd. Um die Dünndarmverdaulichkeit der Stärke deutlich zu verbessern, sollten Mais und Gerste immer gewalzt oder besser noch thermisch behandelt gefüttert werden. Ansonsten würde der Dickdarm bei gleicher Stärkezufuhr übermäßig belastet.

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Grünhafer heißt die samt unreifen Körnern ganz geerntete Haferpflanze. ©www.Slawik.com

Bunte Farbpalette

Hafer ist nicht gleich Hafer, es gibt ihn in unterschiedlichen Farben: Die Spelzenfarbe entscheidet darüber, ob es sich um Gelbhafer (von Futtermittelproduzenten auch gerne „Goldhafer“ genannt), Weißhafer oder Schwarzhafer handelt. Schwarzhafer gilt oft als besonders hochwertig und frei von Schimmel – häufig wird er damit beworben, im idealen Anbauklima Frankreichs zu gedeihen. Per se ist Schwarzhafer aber nicht besser, es kommt immer auf die tatsächliche Qualität an. Und diese ist zunächst einmal unabhängig von der Spelzenfarbe. Ein guter Gelbhafer ist dem Schwarzhafer absolut ebenbürtig. Übrigens: Mitunter wird auch „Schwarz-Weiß-Hafer“ angeboten, hier werden lediglich Gelb- und Schwarzhafer miteinander vermischt.

Hafer sollte stets gereinigt und entstaubt sein. Das sogenannte Litergewicht ist ein guter Anhaltspunkt für die Qualität. Um dieses zu bestimmen wird ein Liter Hafer auf die Waage gestellt. Gewichte über 500 Gramm gelten als hoch-, darunter als minderwertig. Denn leichte Körner enthalten im Verhältnis wenig „Inhalt“, dafür reichlich Spelzen. Selbstverständlich darf Hafer keine grauen Verfärbungen aufweisen, diese können auf Schimmelbefall hindeuten. Staub, Dreck oder Milben haben ebenfalls nichts in dem Getreide zu suchen, zudem ist ein ranziger oder muffiger Geruch ein Alarmzeichen. Eine weitere Möglichkeit für die Beurteilung der Qualität ist der Wassertest: Eine Handvoll Hafer wird in ein Glas Wasser gegeben. Nach etwa zwanzig Minuten wird nachgeschaut, wie viele Körner gesunken sind. Je mehr Hafer am Boden liegt, desto schwerer – und somit hochwertiger – ist er. Klares Wasser ist ein gutes Zeichen, trübes Wasser hingegen deutet auf einen hohen Schmutz- und Staubgehalt hin.

Trend „low carb“

Kraftfutter, die ohne Getreide oder Melasse beziehungsweise mit wenig Zucker und Stärke auskommen, gibt es mittlerweile zuhauf. Diese als Light, Leicht, Struktur, Faser, Low Carb usw. bezeichneten Produkte enthalten als Hauptzutat oft gehäckseltes Heu oder Luzerne. Damit die Pferde die Mischung trotzdem gerne fressen, werden unter anderem oft Obsttrester oder getrocknete Karotten beigemischt. Kann ein Pferd seinen Energiebedarf über das Heu decken, braucht es kein Kraftfutter – auch keines ohne Getreide. Sinnvoll ist die Fütterung solcher Produkte eigentlich nur, wenn beispielsweise Medikamente untergemischt werden sollen oder alle anderen Pferde in der Boxenreihe Kraftfutter erhalten und das eigene Pferd sehr unruhig wird, wenn es als einziges nichts bekommt. Um auch ohne Kraftfutter an ausreichend Nährstoffe zu kommen, hat sich die gezielte Gabe von Mineralfutter bewährt. Dieses gibt es auch in Leckerli-Form, was das Füttern direkt aus der Hand erleichtert. Für Pferde, die die zusätzliche Energie aus Kraftfutter benötigen, kann die getreidefreie Variante bei einer Unverträglichkeit zum Einsatz kommen.

Sticht er – oder sticht er nicht?

Trotz aller positiven Eigenschaften wollen viele Pferdebesitzer:innen auf gar keinen Fall Hafer an ihre Schützlinge füttern, da sie übermütiges Verhalten fürchten. Leda Emmerich erklärt: „Bei einigen Pferden ist tatsächlich zu beobachten, dass sie bei einer haferreichen Ernährung eher zu Energieausbrüchen neigen.“ Doch die Tierärztin und Fütterungsexpertin gibt keinesfalls dem Hafer an sich die Schuld, dieser sei lediglich „der variable Teil der Fütterung, der das Fass zum Überlaufen bringt.“ Denn der Energiebedarf von Pferden wird oft falsch eingeschätzt. Die Tierärztin rechnet vor: Täglich 30 Minuten Schritt, 10 Minuten Trab und 5 Minuten Galopp entsprechen gerade einmal geringfügiger Arbeitsleistung. „Der Energiebedarf ist in der Regel bereits mit zwei Kilogramm Heu pro 100 kg Körpergewicht gedeckt – je nach Heu kann das sogar schon zu viel Energie sein.“ Komme nun noch Kraftfutter on top, gebe es einen Energieüberschuss – der je nach Charakter des Pferdes in Fett oder eben in zusätzliche Bewegung umgewandelt werde.

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Zu viel des Guten lässt Pferde "lustig" werden - das gilt für Hafer wie für Gerste, Mais und Co. ©www.Slawik.com

Zu reichliche Energiezufuhr könne es auch bei Mais oder Gerste beziehungsweise Müslis geben. Beim Hafer komme jedoch eine Besonderheit dazu. Durch die gute Verdaulichkeit der Stärke bereits im Dünndarm „steigt nach der Fütterung der Blutzuckerspiegel relativ rasch an. Dieser Effekt hält ungefähr drei Stunden an, bevor der Blutzucker zunächst unter seinen Ausgangswert fällt“, so die Ernährungsexpertin von IWEST. Annette Zeyner von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg fand gemeinsam mit Kollegen heraus, dass der Insulin-Response-Index, also der Insulinanstieg als Reaktion auf eine Erhöhung des Glukosespiegels, bei Hafer ausgeprägter ist als beispielsweise bei Gerste oder Mais. Ein hoher Insulingehalt im Blut wiederum erleichtere das Eindringen der Aminosäure Tryptophan ins Gehirn, wodurch die Bildung von Serotonin angeregt werde. Dieser Botenstoff gilt allgemeinhin als beruhigend, bei Pferden gebe es aber Hinweise auf einen gegenteiligen Effekt – je nach Dosis. „Der Einfluss hoher Insulinspiegel auf den Tryptophan-Einstrom ins Gehirn, mit möglichen Folgen für den Serotonin-Stoffwechsel, könnte eine Erklärung für die anekdotisch ermutigende Wirkung von Hafer sein, zumindest teilweise“, vermuten die Wissenschaftler:innen.

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Hafer liefert schnelle Energie für große Leistungen © www.Slawik.com

Leistungsfähig mit Hafer

Obwohl sich das Gerücht „Den sticht der Hafer!“ in Pferdeställen hartnäckig hält, vertreten viele Fütterungsexpert:innen die Meinung, dass Hafer eben nur dann „sticht“, wenn eine zu große Menge auf zu wenig Bewegung trifft. Die dem Hafer manchmal nachgesagten speziellen Inhaltsstoffe, die sich positiv auf das Gemüt auswirken sollen, konnten bisher noch nicht nachgewiesen werden. Weil Hafer dem Pferd rasch Energie zur Verfügung stellt, kann dieser Energiekick beim Vierbeiner durchaus zu Bewegungsfreude führen. Doch genau das ist ja das eigentliche Ziel von Kraftfutter – die Bereitstellung von ausreichend Energie für körperliche Leistungen. Deshalb lautet das Fazit von Tierärztin Leda Emmerich: „Zusammenfassend kann man sagen: Zu viel Energie und leichtverdauliche Kohlenhydrate können Pferde spinnig machen, egal ob durch Hafer, (thermisch behandelten) Mais, Gerste oder andere Futtermittel“.

Neigt ein Pferd also bei der Fütterung von Hafer zu Temperamentsausbrüchen, kann es oftmals schon helfen, die Menge zu reduzieren – eben dem tatsächlichen Energiebedarf anzupassen. Paradox hingegen sei die oft gebräuchliche Praxis, „Pferden, die auf Hafer mit schwer zu kontrollierenden Energieausbrüchen reagieren, haferfreies, aber immer noch mindestens genauso stärke- und zuckerreiches Kraftfutter zu füttern“, so Leda Emmerich. Der Energiegehalt sei gleich, die Stärke aber schlechter verdaulich – und somit belastend für den Dickdarm. Wenn die Stärke entsprechend aufgeschlossen wurde, gebe es im Vergleich zum Hafer keinen Vorteil.  Pferdebesitzer:innen sollten Hafer deshalb nicht verteufeln, sondern ihn als Bereicherung für den Futterplan ihrer Vierbeiner sehen – ob pur oder als Zutat im Mischfutter. Aber immer in der richtigen Dosis.