Gesundheit

Neue Studie zum Reitergewicht bringt überraschende Erkenntnisse

Ein Artikel von Pamela Sladky | 07.01.2020 - 13:38
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Über das maximal verträgliche Gewicht, das ein Reiter auf die Waage – oder vielmehr auf den Rücken seines Pferdes – bringen darf, wird viel und häufig sehr emotional diskutiert. Zahlreiche Studien der vergangenen Jahre kamen zu dem Schluss, dass ein Reiter samt Ausrüstungen 15 Prozent des Pferdegewichts möglichst nicht überschreiten sollten. Auch die deutsche Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT) führt die 15-Prozent-Grenze in ihrem im Herbst 2019 neu veröffentlichten Merkblatt zum Thema Reitergewicht als Ideal an.

Richtig problematisch werde es, wenn dieser Richtwert deutlich überschritten wird: „Gewichtsbelastungen von 25 % oder gar 30 % der Körpermasse eines Pferdes gehen zunehmend mit Schäden an der Muskulatur einher und können auf lange Sicht dauerhafte Schäden am Rücken und dem gesamten Bewegungsapparat verursachen. Sie sind somit nach derzeitigem Wissensstand als tierschutzwidrig anzusehen“, heißt es im Merkblatt der TVT.

Die Tierschutzvereinigung stützt sich bei ihrer Empfehlung unter anderem auf eine Studie aus Großbritannien (Dyson et al.), bei der sechs Pferde mit unterschiedlich schweren Reitern belastet wurden. Sämtliche Versuche, bei denen die Gewichtsbelastung 20 % und mehr betrug, mussten vorzeitig abgebrochen werden, weil die Testpferde deutliches Unwohlsein und Schmerzen signalisierten. Sogar Lahmheiten wurden festgestellt.

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Kurzfristig kein Problem

Zu einem deutlich anderen Ergebnis kommt nun eine Anfang Jänner veröffentlichte Arbeit einer Gruppe europäischer Forscher, darunter Rupert Palme von der Veterinärmedizinischen Universität Wien.

In ihrer Studie untersuchten die Wissenschaftler die Frage was passiert, wenn sich das Gewicht des gewohnten Reiters plötzlich stark erhöht. Dazu wurden 20 Reit- bzw. Turnierpferde an drei aufeinanderfolgenden Tagen unter ihrem Reiter beobachtet. Training und Reiter waren jedes Mal dieselben, lediglich beim Gewicht im Sattel gab es Änderungen. Während das anfängliche durchschnittliche Körpergewichtsverhältnis von Reiter zu Pferd durchschnittlich 15,3 % betrug und zwischen 12 und 19 % lag, wurde die Belastung am Folgetag um 15 % erhöht, was den Durchschnittswert auf 17,2 % klettern ließ und die Bandbreite auf 14 bis 21 % anhob. Am dritten Tag wurde das Reitergewicht um 25 % erhöht. Der Durchschnittswert lag danach auf 18,5 % mit einem Bereich von 15 bis 23 %.

Für die Extra-Kilos sorgte jeweils eine mit Gewichten bestückte Reitweste.

Das Team hielt alle Ritte zur späteren Analyse mit der Videokamera fest, auch wurden von jedem Pferd Speichelproben entnommen, um über das Hormon Cortisol die Stressreaktion des Körpers auf die unterschiedlichen Belastungen feststellen zu können. Die Auswertung der Ergebnisse fiel durchaus überraschend aus: „Der Cortisolspiegel stieg als Reaktion auf das Training an, aber wir fanden keinen Effekt durch die Gewichtsbelastung“, berichten die Forscher im Open-Access-Journal Animals. Im Klartext heißt das: der Cortisolspiegel – und damit auch der Stress – nahmen nicht zu, wenn sich das Reitergewicht erhöhte. Passend zu dieser Beobachtung blieben auch Veränderungen im Verhalten, bei der Herzfrequenz und in der Gangsymmetrie aus. „Wir kommen zu dem Schluss, dass eine Gewichtserhöhung des regulären Reiters um 15 % und 25 % kurzfristig keine signifikanten Veränderungen von Cortisol, Herzfrequenz, Verhalten und Gang-Symmetrie bei Pferden während eines Trainings mit geringer Intensität zur Folge hatte“, so das Fazit des Forscher.

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Gewohnter Reiter vs. Fremdreiter

Doch wie ist es zu erklären, dass die Pferde in der zuvor erwähnten britischen Studie von Orthopädieexpertin Dr. Sue Dyson deutlich mehr Unbehagen bei mehr Gewicht im Sattel zeigten, während die Probanden der vorliegenden Arbeit die zusätzlichen Pfunde offenbar locker wegsteckten?

Ein möglicher Grund könnte in der unterschiedlichen Sitzposition liegen. Denn während die Testreiter hier den Trab ausgesessen ritten, wurde in der Dyson-Studie leichtgetrabt. „Es ist bekannt, dass Leichttraben beim Pferd Bewegungsasymmetrien hervorruft, die möglicherweise nicht mit Schmerzen zusammenhängen“, spekuliert das europäische Forscherteam.

Viel entscheidender könnte jedoch ein anderer Faktor sein: „Unsere Studie war eine Crossover-Studie, bei der jeder Reiter bei jeder Behandlung sein eigenes Pferd ritt, während bei Dyson vier Reiter mit unterschiedlichem Gewicht die Tests durchführten.“ Da verschiedene Faktoren wie die Fähigkeiten des Reiters, das Vertrauensverhältnis zwischen Pferd und Reiter nebst der individuellen wichtige Faktoren bei der Entstehung von Konfliktverhalten und die für Belastbarkeit eines Pferdes sind, sei es notwendig, die Auswirkungen des Reitergewichts isoliert zu betrachten. Nur, wenn alle anderen Faktoren gleich blieben, ließen sich die Auswirkungen der Gewichtsveränderungen eindeutig erkennen, ist das Forscherteam überzeugt.


Langzeitfolgen ungewiss

Auch wenn die Pferde in der Studie eine kurzfristige Gewichtszunahme ihrer Reiter problemlos tolerierten: als Freibrief für eine übermäßige Belastung des Pferderückens will man die Studie nicht verstanden wissen. „Angesichts der geringen Trainingsintensität in der vorliegenden Arbeit sollte man die Ergebnisse nicht auf andere Trainingsintensitäten und -disziplinen übertragen“, warnt das Studienteam. Nicht abschätzbar sei außerdem, wie sich die erhöhte Gewichtsbelastung langfristigen auswirken. „Es sind weitere Studien erforderlich, um die Langzeiteffekte auf die Gesundheit und Leistung von Pferden zu untersuchen.“

Die Studie "Increased Rider Weight Did Not Induce Changes in Behavior and Physiological Parameters in Horses" von J.W. Christensen, S. Bathellier, M. Rhodin, R. Palme und M. Uldahl können Sie hier im englischen Originalwortlaut nachlesen.