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Zu schwer fürs Pferd: Ein Problem mit vielen Gesichtern

Ein Artikel von Pamela Sladky | 09.03.2018 - 11:46
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Warum braucht es diese Studie?
Obwohl es naheliegend ist, dass ein Reiter, der zu schwer für sein Pferd ist, dessen Wohlbefinden negativ beeinflussen kann, gibt es keine wissenschaftlichen Studien die diese These unter lebensnahen Bedingungen stützen. Ebenso wenig gibt es Richtlinien für die Praxis was zu schwer ist und was nicht. Vorangegangene Studien haben in der Regel die Auswirkungen von „totem Gewicht“ untersucht, allerdings gibt es hier große Unterschiede zu einem sich bewegenden Reiter. In der vorliegenden Forschung haben wir zusätzlich in Betracht gezogen, dass Reiter unterschiedlicher Größe und unterschiedlichen Gewichts denselben Sattel nutzen, was wiederum Auswirkungen auf die Gewichtsverteilung hat, weil er mit großer Wahrscheinlichkeit nicht allen Reitern passt.

Wird die Tragfähigkeit nicht von der Größe des Pferdes und dessen Röhrbeinumfang vorgegeben?
Das spielen mehrere Faktoren hinein. Die Länge des Pferderückens bestimmt wie lange der Sattel sein kann. Das wiederum gibt die Größe des Reiters und seinen Umfang vor, wenn man berücksichtigt, dass er in der Mitte des Sattels zum Sitzen kommen sollte und nicht dahinter.

Gemeinhin wird der Röhrbeinumfang als Indikator für die Belastbarkeit eines Pferdes herangezogen. Allerdings gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse, die diese Annahme bestätigen. Pferd Nummer 5 in unserer Studie hatte einen Röhrbeinumfang von 29 cm und lag damit mehr als 6 cm über den anderen Versuchpferden (19-23 cm). Die Testläufe mit dem schweren und dem sehr schweren Reiter mussten dennoch auf allen Pferden abgebrochen werden.

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Das Reitergewicht steht in direktem Zusammenhang mit den Kräften, die über den Sattel auf den Pferderücken wirken. © AHT - Animal Health Trust

Warum hat das Gewicht einen größeren Einfluss als der Body Mass Index (BMI)?
Sie können korpulent sein ohne übermäßig schwer zu sein. Die Auswirkungen auf das Pferd werden vor allem durch das Gewicht und seine Verteilung beeinflusst. Ein wesentlicher Faktor ist hier auch die Körpergröße, weil sie direkten Einfluss auf Position des Reiters im Sattel hat. Vergessen sie nicht, dass Kraft gleich Masse (Gewicht) mal Beschleunigung ist. Entsprechend hat das Gewicht direkten Einfluss auf die Kräfte, die über den Sattel auf den Pferderücken wirken. Deshalb ist es auch die Balance des Reiters und seine Fähigkeit, aufrecht im Sattel zu sitzen, so wichtig.  

Sind Sie der Meinung, dass größere Pferde größere Pferde benötigen?
Ja, und dazu einen Sattel, der Pferd und Reiter gleichermaßen passt – wenngleich es hierzu noch weitere Forschungsarbeit benötigt um zu bestätigen, dass sich dadurch die Belastbarkeit eines Pferdes tatsächlich erhöht.

Ich bin durchschnittlich groß und nach meinem BMI nicht übergewichtig – also brauche ich mich mir keine Sorgen zu machen, oder?
Das hängt einzig und allein von der Größe ihres Pferdes ab. Durchschnittlich sind die Menschen heute größer als früher, ein kleines Pferd ist möglicherweise nicht passend. Stellen Sie sich die Fragen: Sieht die Kombination harmonisch aus? Wenn nicht, ist der Reiter möglicherweise zu groß/und oder zu schwer.

Wie sieht es mit der Tragfähigkeit eines Pferdes aus, das selbst übergewichtig ist?
Dicke Pferde sind aufgrund ihrer eigenen Körpermasse in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Bei der Beurteilung des optimalen Größenverhältnisses zwischen Reiter- und Pferde muss immer das Idealgewicht des Pferdes als Ausgangswert dienen. Unter- oder Übergewicht verfälschen das Ergebnis.

Wie haben Sie Lahmheit und Unbehagen während ihres Versuchs festgestellt?
Lahmheiten wurden subjektiv von einem auf Orthopädie spezialisierten Veterinär festgestellt und objektiv mithilfe von Messgeräten, die am Genick, am Widerrist und am Becken angebracht waren. Unbehagen haben wir während der Reiteinheiten anhand eines Verhaltensprotokolls für gerittene Pferde ermittelt – dieses Protokoll beschreibt verschiedene Verhaltensmerkmale, die wir zuvor als mögliche Anzeichen für Schmerzen des Bewegungsapparats definiert haben.  

Gleich weiterlesen: Zu schwere Reiter können Lahmheiten beim Pferd hervorrufen

Mehr zur Studie von Dr. Sue Dyson und ihrem Team lesen Sie hier.

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Diese Reiterin wurde für die Studie als normalgewichtig eingestuft. © AHT - Animal Health Trust

Hat es sie beunruhigt, dass einige der Pferde zeitweise lahm waren?
In Anbetracht der klinischen Beobachtungen der vergangenen Jahre hatte ich schon damit gerechnet. Ich habe viele Pferde gesehen, die der Reihe nach von unterschiedlich schweren Reitern geritten wurden und konnte dabei unmittelbar Veränderungen in ihren Bewegungsabläufen feststellen. Schon früher habe ich beobachtet, dass Pferde, die in voller Arbeit standen und klinisch völlig unauffällig waren plötzlich eine temporäre Lahmheit zeigten, wenn sie von einem schweren Reiter geritten wurden. Pferde, die unter einem leichten Reiter geringgradig lahm gingen, zeigten eine deutlich verstärkte Lahmheit, wenn ein schwerer Reiter im Sattel saß.

Weil sie eine direkte Folge des Reitergewichts war, war die Lahmheit stets vorübergehend. Innerhalb von 45 Minuten legte sie sich und die Pferde bewegten sich am Ende der Studie gleich gut oder besser als am Anfang, wenn sie vom leichten oder normalgewichtigen Reiter geritten wurden. Nichtsdestotrotz, würde ein ähnlich schwerer Reiter wie unsere Testperson das Pferd regelmäßig reiten, würde die Lahmheit zu einem ständigen Begleiter werden.   

Warum haben sie einen sehr schweren Reiter in die Studie mit aufgenommen?
Es gibt viele schwere Reiter – wir müssen die Auswirkungen, die sie auf ihr Pferd haben, deutlich machen. Wir hatten im Vorfeld keine Ahnung, ob die Grenze in unserer Studie zwischen dem normalgewichtigen und dem schweren Reiter oder dem schweren und dem sehr schweren Reiter liegen würde.

Wurde die Ausrüstung der Pferde vorher überprüft?
Ein Sattlermeister hat die gesamte Ausrüstung vor dem Projekt, am Tag vor dem Beginn der Studie und an jedem einzelnen Tag unseres Versuchs kontrolliert.

Wäre es wünschenswert gewesen, wenn alle Sättel perfekt gepasst hätten?
In einer idealen Welt ja. Wir wissen jedoch aus einer vorangegangenen Studie, dass über 50 Prozent von 506 normal gearbeiteten Pferden schlecht passende Sättel hatten. Etwa 34 Prozent der Pferde, die ich wöchentlich vorgestellt bekomme, haben Sättel, die nicht richtig sitzen. Folglich müssen wir wissen, ob ein schwerer Reiter mögliche Passformprobleme des Sattels verstärkt. Davon abgesehen ist es sehr unwahrscheinlich, dass ein einziger Sattel auf einem Pferd allen vier Reitern hätte passen können. Das imitiert was auch in der realen Welt passiert, etwa wenn ein Turnierpony in der Vorbereitung von einem erwachsenen Reiter geritten wird.

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Und was ist nun das ideale Verhältnis zwischen Reiter- und Pferdegewicht?
Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten, weil sie von so vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist. Da spielen Faktoren hinein wie Gebäude, Fitness und Kraft des Pferdes, das Vorhandensein etwaiger klinischer Probleme, die Größe und Passform des Sattels, das Können und die Fitness des Reiters, deren gemeinsame Balance und Symmetrie, die Dauer und Intensität des Trainings aber auch die Boden – und Geländebeschaffenheit.

In unserer Studie wurden Probleme während des 30-minütigen Trainings in einer Reithalle unter dem schweren Reiter (durchschnittlich 16,7 Prozent des Pferdegewichts) in einem nicht an den Reiter angepassten Sattel sichtbar. Das heißt nicht, dass dieser Wert bereits eine zuverlässige Höchstgrenze darstellt. Wir müssen berücksichtigen, ob die Pferd-Reiter-Kombination passend ist, ungeachtet von Körpergröße und BMI. Ist der Rücken des Pferdes lang genug für einen dem Reiter passenden Sattel, in dem dieser auch korrekt mittig sitzen kann?  

Vorausgesetzt der Pferderücken ist lang genug, kann es durchaus sein, dass sich diese Höchstgrenze mit einem ausreichend langen Sattel, der den Reiter optimal positioniert, deutlich erhöht. Es bedarf weiterer Forschung um die einflussnehmenden Faktoren noch detaillierter zu untersuchen und einen Leitfaden für die Gewichtsfrage zu entwickeln.

Was können wir in der Zwischenzeit tun, um einen möglicherweise zu schweren Reiter zu identifizieren und das Problem zu adressieren?
Fragen Sie sich, ob das Bild harmonisch wirkt. Wenn es so aussieht, als sei der Reiter zu groß für sein Pferd, ist er es vielleicht auch. Sehen sie sich an, ob er in der Mitte des Sattel zum Sitzen kommt oder am Hinterzwiesel oder sogar darüber. Sitzt der Reiter nicht in der Mitte, ist der Sattel zu klein für den Reiter – aber hätte ein längerer Sattel auf dem Rücken dieses Pferdes überhaupt Platz? Befinden sich Schulter, Hüfte und Absatz in einer Linie? Falls nicht, liegt es am Sattel, der den korrekten Sitz des Reiters verhindert oder mangelt es am Können des Reiters?

Lassen Sie den Sattel regelmäßig auf seine Passform für Pferd und Reiter überprüfen. Ein gesundes, leistungsfähiges Pferd kann das Gewicht eines schweren/großen Reiters besser wegstecken als ein nicht fittes. Und natürlich sollte auch der Reiter so fit wie möglich sein. Das Pferd sollte keineswegs zunehmen um das Verhältnis zwischen Reiter- und Pferdegewicht aufzubessern. Ein dickes Pferd ist weit weniger in der Lage effizient zu arbeiten als eines mit Idealgewicht.  

ps