Gesundheit

Equines Coronavirus, SARS-COV-2 und was sie voneinander unterscheidet

Ein Artikel von Dr. Sabine Brandt | 18.03.2020 - 17:17
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Auch Pferde können Coronaviren in sich tragen - sie aber nicht auf den Menschen übertragen.
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Wir alle befinden uns inmitten einer SARS-COV-2-verursachten Pandemie, deren Ausmaß, Dauer und Ausgang wir noch nicht vorhersehen können. Auch Pferde können Coronavirus-induzierte Erkrankungen entwickeln, was aktuellzu großer Verunsicherung führt und zahlreiche Fragen aufwirft. Dies ist der Fakten-basierende Versuch, möglichst viele dieser Fragen zu beantworten, um Ihnen allen, liebe Pferdefreundinnen und -freunde, ein bisschen Sicherheit zu geben.
 

Was sind Coronaviren?

Es handelt sich dabei um kugelförmige Viren, die ganz allgemein aus einer Virushülle bestehen, die einzelsträngige Ribonukleinsäure (RNS) als Erbsubstanz enthält, und zur Familie der Coronaviridae gehören. Prinzipiell werden Coronaviren auf Basis ihrer genetischen Eigenschaften als Alpha-, Beta-, Gamma- und Deltacoronaviren klassifiziert. Sowohl SARS-CoV-2 als auch das Pferdecoronavirus ECoV gehören den Betacoronaviren an. Betrachtet man Coronaviren unter dem Elektronenmikroskop, wirkt es, als würden die Viren Krönchen tragen - daher ihre Bezeichnung in Anlehnung an das lateinische Wort für Krone: Corona. Dieses Aussehen ergibt sich daraus, dass viele kleine Spitzen, so genannte Spikes, aus den Viruspartikeln herausragen.

Diese Spikes erfüllen eine für das Virus entscheidende Aufgabe. Sie ermöglichen die Infektion, das heißt, das Einschleusen des Virus in die Zellen ihres Wirts.


Infektion hängt davon ab, ob der Schlüssel passt

Das Eintreten eines Coronavirus in eine Wirtszelle erfolgt dadurch, dass ein Schlüssel in ein zugehöriges Schloss passen muss: Die sogenannte "Rezeptorbindungsdomäne" (Schlüssel) am Spike muss mit einem Rezeptormolekül, das sich an der Zelloberfläche befindet (Schloss), eine Bindung eingehen können. Nun haben die unterschiedlichen Coronavirustypen zum Teil sehr unterschiedliche Schlüssel und die Zellen der verschiedenen Lebewesen ganz unterschiedliche Schlösser. Darum ist man ursprünglich davon ausgegangen, dass Schweine-CoV eben nur Schweine, Fledermaus-CoV eben nur Fledermäuse, Rinder-CoV eben nur Rinder usw. infizieren.

Aber dann musste man feststellen, wie gierig und schlau Coronaviren sind. Durch leichte Umbaumaßnahmen in der Rezeptorbindungsdomäne waren sie in der Lage, neben ihrem angestammten Wirt auch andere Spezies zu infizieren, ein Ereignis, das in der Virologie als "Kreuzinfektion" bezeichnet wird. Sie hatten also Schlüssel, die nun mehrere Schlösser sperrten.


SARS-CoV-2 hat vermutlich in Fledermäusen seinen Ursprung

Neueste Forschung im Angesicht der Pandemie hat in China dazu geführt, dass Hufeisennasen und andere Fledermäuse als initiale Quelle von SARS-CoV-2 festgemacht werden konnten. Man hat durch genetische Analysen erkannt, dass sich der Schlüssel - die Rezeptorbindungsdomäne - der Fledermaus-Coronaviren dahingehen verändert hatte, dass sie auch ins Schloss der Zellen von Zibetkatzen, die auf chinesischen Fischmärkten herumstreunen, und Menschen passten. Damit war die Basis für den Ausbruch der SARS-CoV-2 Pandemie geschaffen.


Pferde-ECoV-Schlüssel passt nicht ins menschliche Schloss

Zweifellos sind ECoV und SARS-CoV-2 eng miteinander verwandt. Und doch unterscheiden sie sich voneinander. Zum einen sind die Schlüssel sehr unterschiedlich. ECoViren, von denen heute insgesamt vier Isolate (eines aus den USA und drei aus Japan) näher erforscht wurden, hat man bislang in Pferdeäpfeln und selten auch Kuhfladen nachgewiesen, ein Zeichen, dass das Virus neben Pferden auch Rinder infizieren kann. Aber bislang passt der ECoV-Schlüssel nicht ins Schloss menschlicher Zellen.

Für uns Pferde-affine Menschen bedeutet das, dass wir uns sehr wahrscheinlich nicht mit ECoV anstecken können. Dies gilt auch umgekehrt: Es gibt bislang keinerlei Belege dafür, dass sich Pferde und andere Haustiere mit SARS-CoV-2 infizieren können. Auch die Tatsache, dass ECoV Erkrankungen des Verdauungstrakts auslöst, SARS-CoV-2 hingegen zu Atemwegserkrankungen führt, stützt die Annahme, dass es zwischen Menschen und Pferden derzeit zu keinen Coronavirus-Kreuzinfektionen kommen kann.

Liebe Pferdefreundinnen und -freunde!

In meinem Beruf als Wissenschaftlerin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien arbeite ich täglich mit Viren - wenn auch Papillomviren. Dies hilft mir sehr, die derzeit getroffenen Maßnahmen zumindest zu verstehen und zu befolgen. In meiner Freizeit halte ich mich normalerweise im schönen Illmitz bei meinem nun schon etwas älteren Isländerwallach auf.

Derzeit arbeite ich hauptsächlich von zu Hause und vermeide es strikt, ins Burgenland zu fahren, mein Pferd zu besuchen und zu bewegen und meine lieben Freundinnen und Freunde am Hof zu treffen. Stattdessen wird viel telefoniert und geschrieben. Für mich ist das ein großer persönlicher Verzicht. Aber eines ist mir sehr wohl bewusst: Ein Pferd ist kein Hund. Letzterer begrüßt mich wie nach einer langen Reise, selbst wenn ich ohne ihn nur zehn Minuten einkaufen gehe. Meinem Pferd sind vor allem der tägliche Kontakt mit Artgenossen, ausreichend Futter, Wasser und Platz sowie ein gutes Stallklima wichtig. Damit ist der wichtigste Mensch im Leben meines Pferdes vermutlich jene Person, die tagaus tagein für ihn sorgt, und das bin nicht ich. Es ist der Pferdepfleger. Was für ein unbefriedigendes Dreiecksverhältnis!

Liebe Einstellerinnen und Einsteller, bitte bleiben auch Sie zu Hause, sofern Sie nicht selbst für die Basisversorgung Ihrer Pferde verantwortlich sind. Wir werden von unseren Pferden bei weitem nicht so sehr vermisst, wie sie uns fehlen. Unterstützen wir den Einstellbetrieb, indem wir wegbleiben, und vertrauen wir auf gute Versorgung - und überlegen Sie, dass genau diese zusammenbricht, wenn wir die Infektion auf nur einen der Stallangestellten übertragen - denn dann muss das gesamte Personal zumindest in Hausquarantäne oder ins Spital. Je besser wir uns alle an die derzeitigen Maßnahmen halten, desto besser können wir uns und unsere Mitmenschen schützen, desto eher können wir zur Normalität zurückkehren, auch wenn uns derzeit die Decke auf den Kopf fällt.

Bleiben Sie gesund, üben Sie sich in Geduld und halten Sie durch!

Das wünscht Ihnen von ganzem Herzen,

Dr. Sabine Brandt

Zur Person

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Dr. Sabine Brandt

Sabine Brandt, Dipl.-Ing. Dr.nat.techn. Priv.-Doz, arbeitet in der Abteilung für Kleintiere und Pferde an der Veterinärmedizinischen Universität Wien mit Schwerpunkten in den Bereichen Krebsforschung, Virologie und Molekularbiologie.