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Das Kühlen der Pferdebeine in einem fließenden Gewässer hat zusätzlich einen wohltuenden Massageeffekt. © Romo Schmidt

Mit Kälte heilen

Ein Artikel von DI Romo Schmidt / Stephanie Schiller | 07.08.2020 - 06:30

Das Kühlen der Pferdebeine kann Schmerzen lindern, Entzündungen hemmen und Schwellungen reduzieren. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass Wärmeentzug in den Zellstoffwechsel, die Blutdruckregulation und die neurale Steuerung eingreift. 

Die Temperatursenkung ruft demnach drei grundlegende Reaktionen hervor:
1. Auf Zellebene wird der Stoffwechsel gedrosselt, sodass die Zellen weniger Sauerstoff für ihre Funktionen benötigen und aufgrund des Sauerstoffmangels weniger geschädigt werden können.
2. Es werden die Durchblutung und damit die Durchlässigkeit der Blutgefäße verringert, wodurch sich weniger entzündungsbedingte Gewebsflüssigkeit ansammelt.
3. Die Kälte betäubt bis zu einem bestimmten Grad, indem sie die Schmerzweiterleitung in den Nervenfasern vermindert.

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Ein straffer Wasserstrahl sorgt für Kühlung und Massage in einem.  © Romo Schmidt

„Bei Lahmheiten und Schwellungen an den Gliedmaßen sollte natürlich unverzüglich der Tierarzt konsultiert werden“, rät der Fachtierarzt für Pferde, Dr. Martin Gundel aus dem nordrhein-westfälischen Ratingen. „Grundsätzlich ist das Kühlen aber etwa bei Prellungen eine gute Sofortmaßnahme. Im Zweifelsfall sollte man jedoch den Tierarzt abwarten und eine mögliche Kältetherapie mit ihm absprechen.“ Kühlen ist ideal zu begleitenden Behandlung von frischen stumpfen Verletzungen, Zerrungen oder akuten Entzündungsprozessen von Bändern, Gelenken, Sehnen und Schleimbeuteln sowie der Huflederhaut. „Gerade im Initialstadium einer Hufrehe ist Kühlen eine ganz wichtige und hochwirksame Maßnahme“, betont Gundel. 

Um eine Tiefenwirkung zu erzielen, müssen die betroffenen Bereiche allerdings mindestens 20 Minuten und wiederholt gekühlt werden. Im Fall einer Hufrehe sogar durchgehend, bis in der Zehenseitenarterie keine Pulsation mehr fühlbar ist. Das Zeitfenster für eine effektive Kühlung ist aber begrenzt und schließt sich nach etwa 72 Stunden. Als Reaktion auf den Kältereiz kommt es nach dem Kühlen zu einer verstärkten Durchblutung der Region, die durchaus erwünscht ist. Denn dadurch werden Entzündungsstoffe schneller abgebaut, der Zellstoffwechsel angekurbelt und die Regeneration beschleunigt.

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Wenig effektiv: In einen Kübel muss man öfter kaltes Wasser nachfüllen. © Romo Schmidt

Kryotherapie mit Wasser
Um Kälte therapeutisch anwenden zu können, bedarf es entsprechender Trägermedien. Das gängigste für die Kühlung von Pferdebeinen ist Wasser. Von einer Wasserkühlung bei bereits gereizter Haut oder spröden Hufen rät Dr. Gundel jedoch ab. „Eine Mauke kann sich durch das feuchte Milieu verschlimmern, und die ständigen Wechsel zwischen nass und trocken provozieren Hufrisse, weil das Horn zu schnell aufquillt und sich wieder zusammenzieht.“

Um einen effektiven Wärmeentzug zu erzeugen, sollte das Wasser möglichst kalt sein. In der Hydrotherapie erfolgt das Kühlen mit einer Wassertemperatur zwischen 0 und 18 Grad Celsius – Temperaturen, die auch Fließgewässer und Leitungswasser bieten. Das fließende Wasser in einem Bach hat den Vorteil einer konstanten Temperatur und zudem einen Massageeffekt. Die Kaltwasser-Temperatur aus der Leitung liegt auch im Sommer um zehn Grad, wenn man das Wasser eine Weile laufen lässt. Spritzt man die Beine mit dem Schlauch ab, kühlt es sich also automatisch herunter. Auf diese Weise kann sich das Pferd an das nasse Element gewöhnen, ohne dass es gleich unangenehm kalt ist. Denn bis die schmerzstillende Wirkung eintritt, dauert es einige Minuten. Da Kälte erwiesenermaßen am besten in Verbindung mit einem gewissen Druck wirkt, sollte man mit einem relativ straffen Wasserstrahl kühlen. Dabei sollte der Wasserdruck mittels entsprechender Schlauchaufsätze allmählich erhöht und individuell auf ein erträgliches Maß angepasst werden. „Auf keinen Fall darf der Wasserschlauch aber auf offene Wunden gehalten werden“, mahnt Dr. Gundel. „Der Wasserstrahl könnte Wundränder aufreißen und Schmutz in tiefere Schichten spülen.“

Wer nur die unteren Bereiche kühlen will, kann das betroffene Bein auch in einen Wasserkübel stellen und regelmäßig kaltes Wasser nachfüllen. Diese Methode ist aber wegen des geringen Massageeffekt längst nicht so effektiv und zudem ziemlich aufwendig. Außerdem: „Bei einem Pferd mit viel Fell und starkem Kötenbehang kommt man mit einer Wasserkühlung gar nicht bis auf die Haut durch“, weiß Gundel und empfiehlt in solchen Fällen das Kühlen mit Crushed Ice oder gefrorenen Erbsen. „Die passen sich dem Pferdebein super an und sind zudem preiswert.“ Gewebserfrierungen durch direkten Hautkontakt mit Eis oder gefrorenen Produkten muss man laut Dr. Gundel bei korrekter Anwendung auf normal behaarten Beinen nicht befürchten. Nur bei Pferden mit dünnem Fell, geschorenen Beinen oder vorgeschädigter haut muss man für eine zusätzliche Isolierung mit einem Frotteehandtuch sorgen.

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Diese Kühlgamasche wird mit einem Wasserbad aktiviert. © Romo Schmidt

Coole Helfer
Eine Reihe moderner Produkte erleichtert oder verbessert den Kühlvorgang erheblich. Für die Wasserkühlung gibt es beispielsweise Schlauchaufsätze mit unterschiedlichen Düsen – so kann man zwischen Duschbrause, V-Strahl, direktem Strahl und kraftvollem Powerstrahl wählen. Zusätzlich lässt sich der Wasserdruck über die abgegebene Wassermenge regulieren. 

Ein Kühlstiefel mit Schlauchanschluss hilft, den Huf oder das Pferdebein bis zum Vorderfußwurzelgelenk optimal zu kühlen. Den Boot einfach über den Huf ziehen und an einen Wasserschlauch anschließen. Das Wasser läuft durch ein Mehrstrahlsystem an das Pferdebein und kühlt es langsam und gleichmäßig ab, und frisches, kühles Wasser kommt nach. Alternativ kann man auch durch ein Einlegepad Staunässe für therapeutische Zwecke realisieren.

Auch im Stall sind die Zeiten umständlicher Angussverbände vorbei. Für diesen Zweck werden Kühlgamaschen in verschiedenen Varianten angeboten. Eine Möglichkeit sind Gamaschen mit einem Spezialgranulat, das sich durch ein Wasserbad aktivieren lässt und durch Verdunstung einen Kühleffekt erzeugt. Andere Kühlgamaschen sind aus mehreren separaten Kühlkammern gefertigt. Vor der Anwendung wird die Gamasche einfach im Kühlschrank gelagert oder kurz ins Gefrierfach gelegt. Eine dritte Variante sind Kühlgamaschen mit einer Einschubtasche für die Kühlpads. Für die Kältetherapie werden die Gelkissen im Kühlschrank vorgekühlt. Die vierte Variante verbindet die Kühlung mit einer Vibrationsfunktion. Durch die Vibrationen sollen Schwellungen zusätzlich reduziert und die Blutzirkulation angeregt werden. 

 

Kühlung to go
Für unterwegs gibt es verschiedene Einwegprodukte wie Kühlkompressen oder Kühlbandagen, die entweder bereits gekühlt aus der Verpackung kommen oder durch Drücken, Knicken oder Ziehen aktiviert werden. Von den mittels chemischer Prozesse kühlenden Einwegprodukten hält Dr. Gundel nichts: „An jeder Tankstelle bekommt man Crushed Ice umsonst, sodass man auch unterwegs an Kühlmittel kommen kann, ohne die Umwelt unnötig mit Wegwerfprodukten, die Chemikalien enthalten, zu belasten.“

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Dopingfrei mit Mehrfachwirkung: Topfenumschlag © Romo Schmidt

Kühlende Gels und Pasten
Kühlgels
sind ohne lange Vorbereitung schnell anzuwenden und lassen sich an jeder Stelle des Pferdebeins bequem auftragen. Frei erhältliche Produkte enthalten meist ätherische Öle oder Extrakte aus zum Beispiel Thymian, Arnika, Rosmarin, Minze oder Latschenkiefer, die zunächst eine kühlende und anschließend durchblutungsfördernde Wirkung haben. Durch diesen Doppeleffekt können stark beanspruchte Beine nach dem Training belebt und bei der Regeneration unterstützt werden. 

Heparinhaltige Gels vom Tierarzt fördern darüber hinaus die frühzeitige Resorption von Blutergüssen und ödematösen Schwellungen. Diese Gels dürfen aber nicht auf frische oder verschorfte Hautläsionen aufgebracht werden. Ätherische Öle können zudem die Haut reizen oder zu Kontaktallergien führen. Bei erkennbaren Reaktionen im Auftragbereich muss die Behandlung sofort abgebrochen werden. „Bei Turnierpferden müssen die Inhaltsstoffe außerdem auf ihre Dopingrelevanz hin überprüft werden“, gibt Dr. Gundel zu bedenken. Für ätherische Öle wie auch Heparin gilt in der Regel eine Karenzzeit von zwei Tagen. 

Eine langanhaltende Kühlung und abschwellende Wirkung lässt sich mit Tonerde, grünem Lehm oder Heilerde erzielen, die es als fertige Pasten oder Pulver zum Anrühren gibt. Diese Pasten werden fingerdick aufgetragen. Das verdunstende Wasser und der Eigendruck des Breis kühlen nachhaltig und die Saugwirkung der trocknenden Erde entfernt überschüssige Gewebsflüssigkeit und reduziert so Schwellungen. Bei Essigsaurer Tonerde wirkt die Essigsäure zusätzlich kühlend und entzündungshemmend. Manche Tonerdeprodukte enthalten Menthol oder Kräuterauszüge, um die Wirkung zu verstärken. Solche Zusätze können ebenfalls unter die Dopingregelungen fallen und dürfen genauso wie säurehaltige Produkte nicht auf geschädigte Haut aufgetragen werden. 

Für eine völlig dopingfreie Alternative rät Dr. Gundel zu Topfen, der viele positive Eigenschaften habe: „Die feuchte Masse wirkt kühlen, die Milchfette pflegen die Haut, und die Milchsäure regt die Stoffwechselvorgänge an. Beim Trocknen zieht der Topfen Flüssigkeit aus der Haut und hilft beim Abschwellen von Ödemen.“ Zur Anwendung gibt man handelsüblichen Magertopfen in eine Schüssel und verrührt ihn mit etwas Wasser, um ihn streichfähiger zu machen. Dann großzügig auftragen und einwirken lassen. Der getrocknete Topfen kann – wie auch die Erden – einfach abgebürstet oder abgewaschen werden.