Tierschutz

Deutschland: Neue Leitlinien für Tierschutz im Pferdesport erteilen Rollkur, engen Nasenriemen und Schlaufzügeln klare Absage

Ein Artikel von Pamela Sladky | 06.10.2020 - 11:31
14454187422741.jpg

Der rüde Einsatz von Schlaufzügeln und das starke Beizäumen des Pferdehalses (Rollkur/Hyperflexion) ist gemäß den neuen Leitlinien als tierschuztwidrig einzustufen.   © www.slawik.com

Gut Ding braucht Weile. Das gilt wohl auch für die kürzlich vom deutschen Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft veröffentlichten Leitlinien „Tierschutz im Pferdesport“. Denn eigentlich hätte die überarbeitete Version des Papiers aus dem Jahr 1992 bereits deutlich früher erscheinen sollen. Dass sich Veröffentlichung derart hingezogen hat, lag an einigen strittigen Punkten, in denen die Interessensvertreter aus Pferdesport, Tierschutz und Medizin erst einen Konsens erzielen mussten.

Nach gut drei Jahren Überarbeitungszeit ist es dafür jetzt endlich so weit. Und das Warten hat sich durchaus gelohnt. Die neuen Leitlinien bringen viele positiven Veränderungen für das Pferdewohl mit sich. Aber nicht nur.

Zwar ist der Leitfaden des BMEL kein Gesetz, dennoch definiert er eindeutig die Mindestanforderung für den Tierschutz im Pferdesport, sodass sich Justiz und Behörden in ihrer Arbeit stark an seinen Vorgaben und Empfehlungen orientieren.
 

Zwei-Finger-Regel festgelegt

Eng verschnallte Nasenriemen sind in den vergangenen Jahren zunehmend in den Fokus wissenschaftlicher Untersuchungen gerückt. Und das aus gutem Grund. Die Unsitte der stramm angezogenen Lederriemen ums Pferdemaul ist weit verbreitet, obwohl sie für die Tiere zumindest mit Stress und Unbehagen verbunden ist, oft sogar mit Schmerzen. Diesem Umstand tragen die Leitlinien nun Rechnung. In der überarbeiteten Version heißt es, dass die Zäumung passend und richtig verschnallt sein muss. Sie darf „weder die Atmung beeinträchtigen noch die Maultätigkeit des Pferdes unterbinden.“ Erstmals wird nun auch definiert, dass „zwei Finger eines Erwachsenen auf dem Nasenrücken“ passen sollen. Allerdings hat man sich darauf verständigt, dass die Finger dabei nebeneinander liegen. Ursprünglich war die Regel mit zwei übereinanderliegenden Fingern gelehrt worden.


Schlaufzügel und Rollkur in der Kritik

Schlaufzügel sind als Hilfsmittel in der Pferdeausbildung umstritten, in der Schweiz sind sie seit 2016 auf Turnieren generell verboten. Auch die neuen Leitlinien greifen das Thema auf. Sie empfehlen, auf Schlaufer in der Ausbildung und beim Training grundsätzlich zu verzichten. Wenn, sollten sie nur in Ausnahmefällen von erfahrenen Reitern mit feiner Hilfengebung eingesetzt werden.

Eine klare Position beziehen die Leitlinien in Bezug auf das systematische Einrollen des Pferdehalses: „Maßnahmen, die zu einer Hyperflexion des Genicks oder Halses (sogenannte Rollkur) führen, sind tierschutzwidrig, da sie zu erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden bei den betroffenen Pferden führen.“


Bessere Haltungsbedingungen auf Turnieren

Ein strittiger Punkt bei der Ausarbeitung der Leitlinien war das Thema Pferdehaltung auf Veranstaltungen. „Hier forderte der Tierschutz, dass freier Auslauf auch Pflicht sein muss, wenn das Pferd auf einer Veranstaltung untergebracht ist. Das ist aber in den meisten Fällen nicht möglich und zuweilen sogar gefährlich für das Pferd, weil nicht überall genug Platz ist und sichere Zäune vorhanden sind. Es wäre also unverhältnismäßig gewesen und hätte das Aus für viele Veranstaltungen bedeutet, wenn diese Forderung durchgekommen wäre“, erklärt FN-Generalsekretär Sönke Lauterbach in einer Aussendung.  

Nach eingehenden Interventionen durch die FN konnte eine kurzzeitige Abweichung von den Leitlinien für Veranstaltungen erreicht werden. Dort muss die freie Bewegung vorübergehend durch alternative Bewegung wie longieren, grasen oder spazieren gehen ersetzt werden. „Das ist dann neben dem Reiten Pflicht, damit das Pferd auch auf der Veranstaltung ausreichend Bewegung bekommt. Auch müssen die Boxen in den Stallzelten den Leitlinien entsprechen. Nur in dieser Kombination ist es vertretbar, wenn auf Veranstaltungen beim Thema freie Bewegung kurzzeitig von den Leitlinien abgewichen wird“, so Lauterbach


Ausbildungsbeginn frühestens mit 30 Monaten – außer im Rennsport

Ein sehr umstrittenes Thema war auch die Festlegung eines Mindestalters für den Ausbildungsbeginn. Insgesamt hat es zwei Jahre gebraucht, um einen gemeinsamen Nenner zu finden. Geeinigt hat man sich letztlich auf 30 Monate. Bis zu diesem Alter gelten Pferde als Jungpferde, erst mit zweieinhalb Jahren dürfen sie in eine zielgerichtete Ausbildung genommen werden. Diese Neuregelung stellt insbesondere Zuchtverbände vor eine Herausforderung. „Der Bereich Zucht der FN ist mit unseren Zuchtverbänden gerade dabei, vor dem Hintergrund der neuen Leitlinien das Kör-und Vorbereitungssystem hinsichtlich Vorbereitung, Vorauswahl, Dauer und Intensität zu überdenken“, kommentiert Soenke Lauterbach.

Doch nicht für alle Pferde gilt die 30-Monats-Grenze. „Bei Galopp- und Trabrennpferden mit ausschließlichem Training auf Schnelligkeit kann das Mindestalter bei Trainingsbeginn ausnahmsweise herabgesetzt werden, wenn ein maßvolles, auf den Entwicklungsstand sowie das Leistungsvermögen abgestimmtes und schonend gestaltetes Training sichergestellt wird“, heißt es in den Leitlinien. Während die Rennsportlobby die Beibehaltung des alten Status als großen Erfolg feiert, beurteilen mitwirkenden Tierschutzverbände die Ausnahmeregelung als „tierschutzfachlich völlig inakzeptabel“. „Diese Ausnahme hat rein wirtschaftliche Gründe. Um auf den Rennbahnen international wettbewerbsfähig zu bleiben, wird das stark leistungsorientierte Training der Tiere aus Gründen des Profits seit Jahren über das Wohl der Tiere gestellt. Bekannt ist, dass im Rennsport-Bereich mit einem erhöhten Risiko für Früh-und Spätschäden - etwa einer Veränderung der Knochenstabilität oder Knorpelschädigungen - bei den Pferden zu rechnen ist. Den Leitlinien konnten folglich keine objektiven wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Grunde gelegt werden, die eine Ausnahme für die Trab-und Galopprennpferde rechtfertigen würden. Somit hat sich wieder bestätigt, dass Tierschutz im Rennsport keine prioritäre Rolle spielt“, kritisieren die Tierschutzverbände und die Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer in Deutschland e.V. (VFD) in einer Pressemitteilung. Das Ministerium hätte nach einem langen und konstruktiven Prozess „seine neutrale Moderatorenrolle in der Schlussphase der Leitlinienerstellung verlassen und letztlich dem Willen der Rennsportverbände nachgegeben“.
 

Studie soll Klarheit bringen

Doch in dieser Sache ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. In der Leitlinie hat sich das BMEL verpflichtet hat, zeitnah umfassende wissenschaftliche und praktische Untersuchungen zu initiieren und zu unterstützen, bei denen vor allem die Trainingsbedingungen, die Auswirkungen eines frühen Nutzungsbeginns, die Haltungsumwelt sowie die Durchführung der tierärztlichen Beurteilung der physischen und psychischen Belastbarkeit der betroffenen Pferde im Vordergrund stehen. Nach Abschluss der betreffenden Untersuchungen sollen die Leitlinien auf der Basis der erzielten Forschungsergebnisse nochmals überprüft werden.

Die Leitlinien für Tierschutz im Pferdesport können hier heruntergeladen werden.