HOCHWASSER

Pferde als Flutopfer: Worauf es nach der Rettung ankommt

Ein Artikel von Pamela Sladky | 20.07.2021 - 16:53
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Auch nach einer erfolgreichen Rettung leiden viele Pferde an den Folgen einer Hochwasserkatastrophe.
© imago/ZUMA Press

Überschwemmte Orte, fortgerissene Straßen, verwüstete Landstriche: Die Bilder, die den Westen Deutschlands nach der Hochwasserkatastrophe zeigen, sind bedrückend und verstörend. Innerhalb weniger Stunden verloren unzählige Menschen ihr gesamtes Hab und Gut, zumindest 160 gar ihr Leben. Immer noch werden Menschen vermisst, das gesamte Ausmaß der Tragödie ist längst noch nicht abzusehen.

Zahlreiche Opfer gibt es auch unter den Pferden der Region zu beklagen. Als die Wassermassen mit unerbittlicher Wucht heranrauschten, standen sie in ihren Boxen, waren auf Paddocks, der Koppel oder auf der Weide untergebracht. Für viele von ihnen gab es keine Rettung, sie wurden von der Strömung einfach mitgerissen und ertranken in den Fluten.
 

Umgang mit Flutopfern

Für jene, die in Sicherheit gebracht werden konnten, beginnt jetzt die Zeit der Nachsorge. Denn auch nach einer erfolgreichen Rettung sind nicht alle Gefahren gebannt.

Stress, stunden- oder gar tagelanges Ausharren in verschmutztem Wasser, Verletzungen und Erschöpfung können vierbeinigen Flutopfern selbst Tage nach der Katastrophe schwer zu schaffen machen. Das weiß man an der Universität in Louisiana (LSU) nur zu gut. Der Bundesstaat im Süden der USA wird vor allem in der Hurrikan-Saison immer wieder von schweren Unwettern heimgesucht, großflächige Überflutungen sind regelmäßige Begleiter. Als Hilfestellung für Pferdehalter:innen gefährdeter Gebiete hat die LSU ein Merkblatt mit den wichtigsten Informationen für den Umgang mit Hochwasseropfern herausgegeben, aus dessen Inhalt wir mit freundlicher Genehmigung der Universitätsleitung im Folgenden zitieren dürfen.

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Hochwasseropfer sollten rasch gründlich gewaschen werden um Gitstoffe, Schmutz und schädliche Bakterien zu entfernen. 
© www.Slawik.com

Eine der ersten und zugleich wichtigsten Maßnahmen sollte die gründliche Reinigung der vierbeinigen Flutopfer sein. Hochwasser führt eine Vielzahl an Mikroorganismen, Schmutz, Chemikalien und Giftstoffen mit sich, die negative Auswirkungen auf die Pferdegesundheit haben können. Nach einer sanften Wäsche mit einem milden Shampoo lassen sich etwaige Verletzungen besser erkennen und versorgen. Auch die Beine und Hufe sind sorgfältig von Schmutz und Schlamm zu befreien und auf Blessuren zu untersuchen.

Bei schwer traumatisierten und sehr nervösen Pferden kann es sinnvoll sein Medikamente zur Beruhigung zu verabreichen. Sie erleichtern die Untersuchung und Behandlung und helfen dem stark gestressten Pferd zur Ruhe zu kommen. Die Entscheidung, ob eine beruhigende Medikation zum Einsatz kommen sollte, muss immer durch den Tierarzt erfolgen, da einige Präparate unter bestimmten Bedingungen kontraindiziert sind. 

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Bei offenen Wunden kommt durch den Kontakt mit verschmutzem Wasser häufig zu Infektionen.   © www.Slawik.com

Haut und Bewegungsapparat

Verletzungen wie Schnitte und Abschürfungen an den Gliedmaßen sowie am Kopf-, Hals- und Rumpfbereich sind häufig bei Pferden zu beobachten, die Opfer von Hochwasserkatastrophen geworden sind. Bei Lahmheiten gibt eine detaillierte Untersuchung Aufschluss über ihren Ursprung. So kann verhindert werden, dass sich der Zustand ggf. weiter verschlechtert. Besteht der Verdacht auf eine Fraktur, ist eine Stabilisierung des betroffenen Bereiches noch vor dem Transport erforderlich. Als geeignete Hilfsmittel haben sich neben gepolsterten Bandagen halbierte PVC-Rohre, Bretter oder Besenstiele als Schienenmaterial bewährt.

Weil die Barrierefähigkeit der Haut durch längeres Stehen in verschmutztem Wasser mit der Zeit beeinträchtigt wird, entwickeln Flutopfer gehäuft Hautinfektionen und Phlegmone, die bei unsachgemäßer Behandlung zu Komplikationen wie septischer Arthritis und Lahmheit führen können. Phlegmone macht sich durch Schwellungen und Hitze in den betroffenen Bereichen bemerkbar, die Pferde zeigen Anzeichen von Schmerzen und Lahmheit.

Keimbelastetes Wasser ist ein idealer Nährboden für Pilzinfektionen, die sich bei Hochwasseropfern  aufgrund der geschwächten Hautbarriere und dem allgemein belasteten Immunsystem besonders leicht ausbreiten können. Typische Symptome sind geschwürige und nässende Läsionen, die – abhängig vom Schweregrad – von einem fauligen Geruch begleitet sein können. Übrigens muss sich Hautpilz nicht gleich bemerkbar machen. Bis zu sechs Wochen kann es dauern, bis sich erste Symptome einstellen.

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Chronische Nässe kann Mauke auslösen.
© www.Slawik.com

Hufe

Pilzinfektionen betreffen nicht nur die Haut, auch die Hufe können nach längerem Stehen im Schlamm oder Wasser angegriffen sein. Zusätzlich begünstigen aufgeweichtes Sohlenhorn und Strahlfäule andere Hufprobleme wie Rehe. Und auch Hufgeschwüre werden durch stark aufgeweichtes Hufhorn begünstigt.


Augen

Aufgrund von beschädigter Stall- und Weideumgebungen sind Pferde während Hochwasserkatastrophen anfällig für Verletzungen und Entzündungen im Bereich der Augen. Typische Symptome sind übermäßiges Tränen oder Schwellungen. Sobald die Tiere in Sicherheit gebracht sind, gilt es die Augen erst mit einer sterilen Lösung zu spülen und zu reinigen. Im Anschluss sollten sie durch einen Tierarzt sorgfältig untersucht werden.  


Magen-Darm-Trakt

In Krisensituationen kommt es bei Pferden vermehrt zu Stressbelastungen, Koliken sind eine typische Reaktion darauf. Die Aufnahme von verschmutztem Wasser zieht zudem häufig leichte bis starke Durchfälle nach sich, auch das Risiko für Blutvergiftungen ist durch die keimbelastete Umgebung erhöht. Achten Sie auf Anzeichen von Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Koliken und Fieber um mögliche Probleme rechtzeitig zu erkennen.


Nervensystem

Pferde aus Hochwassergebieten haben ein erhöhtes Risiko für Kopf- und Halsverletzungen und sind anfälliger für Infektionskrankheiten, insbesondere für virale Enzephalitiden (Tollwut, Herpes, Borna, West-Nil) und Clostridieninfektionen (Tetanus, Botulismus). Während der Erstversorgung sollten Sofortmaßnahmen ergriffen werden, die neben einer Notfallbehandlung auch die Verhinderung des weiteren Fortschreitens neurologischer Anomalien zum Ziel haben. Wenn der Impfstatus unbekannt ist, kann eine Auffrischung mit Tetanustoxoid zusätzlich zum Tetanus-Antitoxin von Vorteil sein.


Atemwege

Gerät Wasser in die Lunge des Pferdes, besteht die Gefahr, dass es ein akutes Lungenödem oder Lungenentzündungen entwickelt – jedes Problem für sich ein lebensbedrohliches Szenario. Zudem können Pferden, die in tiefem Schlamm oder Hochwasser stecken geblieben sind und über längere Zeit mit dieser Situation kämpfen, Entzündungen der oberen Atemwege ausbilden, die zu Schwellungen führen und das Atmen behindern.

Die Erfahrung in anderen Ländern hat gezeigt, dass Pferde in Folge einer Hochwasserkatastrophe mit einer ganzen Reihe an negativen Auswirkungen konfrontiert sein können. Gerade weil sich das Überschwemmungsrisiko in manchen Gebieten vermutlich nie zur Gänze ausschalten lässt, sollten Pferdebesitzer:innen in gefährdeten Regionen einen Notfallplan zur Hand haben, damit nicht nur die eigene Existenz vor gröberen Schaden bewahrt werden kann, sondern auch die der Pferde.