Mensch-Pferd-Beziehung

Übungsserie „Persönlichkeiten“ – Teil 4: So bittet dich dein Pferd um gemeinsame Zeit

Ein Artikel von Eva Schweiger | 09.01.2022 - 08:00

Pferde kommunizieren ständig. Sie drücken ihre Stimmungen und ihre Meinungen zu unseren Wünschen und Vorschlägen aus, und es ist meistens nicht schwer, sie zu verstehen. Wünscht man sich ein Pferd, das offen und mit Spaß mitarbeitet, kommt man nicht daran vorbei, seine Jas und Neins ernst zu nehmen. Denn entscheiden wir uns dafür, sie zu übergehen, verschließen sich die Pferde nach und nach.

Es ist oft nicht einfach, in der Pferdeausbildung den richtigen Weg zu finden. Aber zu lernen, die Pferde zu sehen und zu schätzen, wie sie sind, und mitzuhelfen, ihre Besonderheit zum Strahlen zu bringen, ist ein großer Schlüssel zum Glück des Pferdemenschen – und des Pferdes.


aus: „Persönlichkeiten auf vier Beinen“, Pferderevue Dezember 2021

Weil Pferde grundsätzlich soziale, friedliche und neugierige Wesen sind, sagen sie gerne „ja“. Sie freuen sich normalerweise über soziale Kontakte und Gelegenheiten, Neues zu lernen und zu erforschen. Wir Menschen sind dabei sozusagen ihre Assistent:innen – nur an unserer Seite können sie sich in unserer Welt relativ „frei“ bewegen, jenseits von Zäunen und Mauern. Arbeitet man mit einem Pferd auf Augenhöhe, baut man darauf auf, dass es diese Freiheit mit dem Menschen verbindet und sich deshalb aus freien Stücken für ihn entscheidet.

Aber Achtung: Des Pferdes Meinungen zu respektieren bedeutet nicht, dass der Mensch keine Regeln für das Zusammenleben vorgibt. Beißen, treten und dergleichen sind natürlich absolut tabu: Es sind nicht die Spielregeln des Pferdes allein, nach denen die Arbeit miteinander funktioniert, sondern solche, die Mensch und Pferd gleichermaßen schützen und respektieren.

271440159_4823293101095830_2161061622603879329_JuliaMariaHaas-HengstwalderHof.jpg

© Julia Maria Haas / Hengstwalder Hof

Übung 4: Selbst aufhalftern

Nachdem du nun weißt, wie du mit deinem Pferd in Kontakt trittst und es zuallererst einmal nach seinem „ja“ oder „nein“ fragen kannst, seid ihr bereit für ein gemeinsames Erlebnis.

Kleiner Tipp: verzichte auf Leckerlis in der Tasche. Sie lenken dich und dein Pferd ab und verändern auch eure Kommunikation. Es fällt euch beiden schwerer, euch aufeinander zu konzentrieren und unvoreingenommen miteinander umzugehen, wenn ihr im Hinterkopf das Konzept „Belohnung für gewünschte Aktionen“ habt. Die Persönlichkeit deines Pferdes ist weder richtig noch falsch, sondern verdient Respekt, wie sie ist. Sobald du belohnst, beurteilst du automatisch! Das kann in Trainingssituationen hilfreich sein, aber nicht, um dein Pferd wirklich kennenzulernen.

  • Nimm ein Halfter und einen Strick mit auf die Koppel oder in die Box. Tritt mit deinem Pferd über das „Kennenlern-Spiel“ in Kontakt. Finde heraus, ob es heute „ja“ oder „nein“ zu einem gemeinsamen Erlebnis mit dir sagt. Wenn es „ja“ sagt, mach weiter mit dem selbst Aufhalftern (siehe unten).
  • Sagt es „nein“, kannst du dich für eine Weile in eine Ecke setzen oder weggehen und euch beiden die Möglichkeit geben, etwas später einen passenderen Moment füreinander zu finden. Falls dein Pferd zwar offenbar interessiert an dir ist, aber nicht auf dich zukommt oder dir ausweicht, wenn du zu nahe kommst, versuch Folgendes: Mach irgendetwas, das deine Aufmerksamkeit ganz von deinem Pferd ablenkt. Entweder du beschäftigst dich mit einem anderen Pferd, du untersuchst einen Gegenstand oder du unterhältst dich zum Beispiel mit jemandem. Das wirkt oft unwiderstehlich interessant und nimmt deinem Pferd zugleich die Sorge, sofort etwas leisten müssen, sobald es mit dir in Kontakt tritt.
  • Bleibt es beim Nein und du musst „unverrichteter“ Dinge wieder nachhause zu fahren, nimm’s nicht so schwer! Du hast deinem Pferd heute vielleicht zum ersten Mal gezeigt, dass du seine Wünsche verstehst und respektierst. Das ist die wichtigste Voraussetzung für einen Dialog zwischen euch. Und nur durch diesen Dialog wird es dir gelingen, die Persönlichkeit deines Pferdes wirklich zum Strahlen zu bringen! 

Übung "selbst aufhalftern"

gezeigt und zur Verfügung gestellt von Sandra Klein © Sandra Klein

Sandra Klein vom Hengstwalder Hof hat uns diese wunderbare Übung gezeigt, mit der du jeden Tag sicherstellen kannst, dass dein Pferd „ja“ zu eurer Zusammenarbeit sagt. 

  • Geh auf dein Pferd zu, aber bleib ein oder zwei Schritte entfernt davon stehen. Warte auf sein Entgegenkommen – zumindest einen Schritt sollte es auf dich zu machen. Wenn es schon von weitem auf dich zukommt, bleibt ruhig stehen und warte, bis es bei dir still steht.
  • Stell dich dann neben seine Schulter und achte auf seine Reaktion: Lässt es dich dorthin gehen oder blockiert es dich, indem es den Hals zur Seite nimmt, dir den Weg versperrt, dich wegstupst oder selbst ausweicht? All das bedeutet „nein“.
  • Bleibt der Hals gerade oder nimmt es freundlich mit dir Kontakt auf und interessiert sich für das Halfter, halte dieses offen etwa auf Hüfthöhe, sodass es seine Nase selbst hineinstecken kann. Der Pferdekopf ist dabei relativ tief und der Hals seitlich zu dir gebogen.

Nimm dir Zeit, diese neue Art des Aufhalfterns zu etablieren. Es kann dauern, bis dein Pferd sich dazu entscheidet. Jedes Mal, wenn es „nein“ sagt und nicht mitspielt, kannst du ihm wieder zeigen, dass du es respektierst (siehe oben!). Die Versuchung, ein Leckerli zu verwenden, um die Nase durch das Halfter zu bugsieren, ist groß – aber sei stark! Dein Pferd weiß genau, wozu das Halfter da ist und was passiert, wenn es seine Nase hineinsteckt. Macht es das aktiv und aus freien Stücken, ohne direkt etwas dafür zu bekommen, sagt es damit „Ja, lass uns bitte zusammenarbeiten!"

Die nächste Übung findet ihr in den kommenden Tagen wieder hier auf unserer Website. Wir wünschen viel Freude und freuen uns darauf, von euren Erfahrungen zu lesen! Schreibt uns an redaktion@pferderevue.at!