Die Augen des Pferdes sind die größten unter allen Landsäugetierarten. Man könnte also annehmen, dass Pferde besonders gut sehen. Doch das stimmt nur teilweise. Durch die Positionierung seitlich am Kopf haben die Tiere, mit Ausnahme zweier toter Winkel direkt vor und hinter dem Pferdekörper, nahezu einen Rundumblick. Diese umfassende Sicht ist überlebenswichtig für ein Beutetier, selbst in großer Ferne können kleinste Bewegungen (eines möglichen Angreifers) wahrgenommen werden. Der 330-Grad-Blick hat aber auch einen Nachteil, denn er geht zu Lasten der Sehschärfe. Ihre nähere Umgebung sehen Pferde stark verschwommen, besonders im Nahbereich können sie nur schwer fokussieren. Details lassen sich so kaum erkennen.
Nachteile im Vergleich zum Menschen haben Pferde auch bei der Adaption von Hell auf Dunkel und umgekehrt. Zwar sehen sie in der Dämmerung deutlich besser als wir, allerdings braucht das Pferdeauge beim Betreten der schummrigen Halle an einem sonnigen Tag weitaus länger, um sich auf die dunklere Umgebung einzustellen. Und auch Farben sehen Pferde anders. Lange Zeit dachte man, die Vierbeiner seien komplett farbenblind, inzwischen weiß man, dass Pferde ebenso wie Hunde oder Schweine rot-grün-blind sind, Gelb und Blau hingegen hervorragend erkennen.
So sehen Pferde
- Pferde sehen in einem 330°-Sichtbereich nach oben, unten und hinten.
- Räumliches Sehen ist nur in einem 30°-Bereich nach vorn gegeben.
- Die Augen der Pferde können – anders als etwa die Augen des Menschen – ihre Sehkraft nicht so gut auf unterschiedlich entfernte Objekte einstellen. Es gibt nur einen kleinen Nahbereich mit hoher Sehschärfe, ansonsten entspricht die Sehschärfe des Pferdes etwa 30 Prozent der menschlichen Sehschärfe.
- Das Sehfeld von Pferden ist im Frontbereich vertikal in einen Schärfe- und einen Unschärfebereich geteilt.
- Pferde sind Dichromaten (ausgeprägte Rot-Grün-Schwäche).
- Pferde nehmen Kontraste in höherem Maße wahr.
- Die Anpassung bei Veränderung der Beleuchtungsstärke ist deutlich verzögert.
- Pferde nehmen circa 30 - 60 Einzelbilder pro Sekunde wahr.
VR-Brille für besseren Verständnis
Die deutlichen Unterschiede im Sehvermögen zwischen Mensch und Pferd geben im Zusammenleben beider Spezies immer wieder Anlass für Probleme. Schon alleine deshalb sollten sich Pferdebesitzer:innen und –halter:innen eigehender mit der Sicht der Pferde auseinandersetzen. Genau zu diesem Zweck hat Benito Weise, Mitarbeiter am Landwirtschaftlichen Bildungszentrum (LBZ) der Landwirtschaftskammer (LWK) Niedersachsen in Echem, die Pferdebrille entwickelt. Dank Virtual-Reality-Technik können Anwender:innen ihre aktuelle Umgebung aus Sicht eines Pferdes sehen. Ein absolutes Novum, bislang hatte es lediglich von Kameras aufgezeichnete und am Computer nachbearbeitete Bilder gegeben.
Nutzer:innen des neuen Systems sind hingegen in der Lage, differenziert zu untersuchen, wie bestimmte Orte in der Haltungsumgebung und bestimmte Abläufe von den Pferden wahrgenommen werden. Derart ließen sich konkrete Rückschlüsse zu Verbesserungen in den Bereichen Tiergerechtheit, Tierwohl und Unfallvermeidung ziehen, hofft Weise, der 2018 bereits die Kuhbrille entwickelt hatte - eine Erfindung, die weltweit für großes Aufsehen gesorgt hat.
Bei seiner Pferdebrille will Weise nun noch einen Schritt weiter gehen. Weil Pferde nicht nur anders sehen, sondern auch deutlich anders hören als wir, wird derzeit an einer akustischen Ergänzung für das System gearbeitet. Der Sehsinn ist beim Menschen der vorherrschende Sinn, das Hören hätten wir hingegen verlernt, meint Weise. Aus diesem Grund sei es besonders interessant, das Hörvermögen der Pferde zu simulieren.