Forschung

Die Wissenschaft schreibt die Geschichte der Pferdedomestikation neu

Ein Artikel von Redaktion | 03.09.2024 - 11:18
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Eine Herde mongolischer Pferde   © yavuzsariyildiz | stock.adobe.com

Alle heute lebenden Hauspferde, ob Rennpferde, Ponys oder Zugpferde, haben ihren Ursprung in den westlichen russischen Steppen des dritten Jahrtausends v. Chr. Die genaue Chronologie der Pferdedomestikation und die weitreichende Integration der Pferdekraft in menschliche Gesellschaften blieb jedoch lange umstritten. Eine neue Studie, die von „Nature“ veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Verbreitung von Hauspferden erst gegen Ende des dritten Jahrtausends v. Chr. begann, etwa vor ~4.200 Jahren. Dieser Zeitpunkt markiert den Beginn einer neuen Ära, in der Pferde das Leben der Menschen in ganz Eurasien revolutionierten. Durch neue Techniken konnten Pferde plötzlich in großer Zahl gezüchtet werden, was zu einer schnellen Verbreitung der Tiere führte.

"Die Züchter kontrollierten die Fortpflanzung der Tiere so gut, dass sie das Zeitintervall zwischen zwei Generationen fast halbierten. Einfach ausgedrückt: Sie konnten den Zuchtprozess beschleunigen und somit ihre Produktionsrate effektiv verdoppeln", sagt Ludovic Orlando, Leiter des internationalen Forschungsteams, das die Genome von Hunderten archäologischen Pferdeüberresten untersuchte, um mehr über die gemeinsame Geschichte von Pferd und Mensch zu erfahren.


Warum das Pferd die Menschheit schneller machte

Vor etwa 4.200 Jahren wurden Pferde in so großer Zahl gezüchtet, dass sie weite Teile des eurasischen Kontinents eroberten. Diese Zeit markiert den Beginn einer Ära, in der Pferde die schnellste Art des Landtransports waren. Die Mobilität auf dem Rücken von Pferden ermöglichte eine raschere Kommunikation und den Austausch von Waren und Ideen zwischen verschiedenen Kulturen, von Europa bis Asien.

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© Ludovic Orlando

Die Überraschung: Pferde spielten keine Rolle bei frühen Migrationen

Bisher nahm man an, dass die großen indoeuropäischen Migrationen, die vor etwa 5.000 Jahren aus den Steppen nach Europa und Asien führten, eng mit der Verbreitung des Pferdes verbunden waren. Doch die neuen Untersuchungen belegen das Gegenteil. Pferde wurden erst etwa 800 Jahre später in großem Stil domestiziert und verbreitet. Die frühen Migrationen wurden also nicht durch Reitpferde ermöglicht, sondern vermutlich durch andere Faktoren wie Viehhaltung oder den Einsatz von Ochsenkarren.

„Da sich die genetische Pferdelandschaft viel später zu ändern begann, konnten wir Reiten als treibende Kraft hinter diesen menschlichen Migrationen ausschließen“, erklärt Pablo Librado, einer der Hauptautoren der Studie. Trotz der späteren Verbreitung des Pferdes gibt es jedoch in den meisten indoeuropäischen Sprachen Begriffe, die auf Pferde zurückgehen – ein Hinweis darauf, dass die Tiere dennoch einen kulturellen Einfluss hatten.

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© Ludovic Orlando

Eine neue Methodik enthüllt die Geschichte der Pferdezucht

Die Forschenden entwickelten eine neue Methode, um die Generationszeiten von Pferden zu messen. Durch die Untersuchung alter Pferde-DNA konnten sie verfolgen, wie sich Mutationen im Laufe der Zeit angesammelt haben und wie häufig Generationenwechsel stattfanden. Diese Methode half nicht nur dabei, den Beginn der massenhaften Pferdezucht vor 4.200 Jahren zu datieren, sondern könnte auch in anderen Bereichen der Archäologie eingesetzt werden.

„Unsere Methodik zur Messung zeitlicher Veränderungen in den Generationszeiten birgt großes Potenzial“, erklärt Librado. „Sie kann helfen, die Entwicklung kontrollierter Zucht auch bei anderen Haustieren zu überwachen und sogar Einsichten in das Leben unserer Jäger-Sammler-Vorfahren geben.“


Zwei getrennte Domestikationen

Interessanterweise konnten die Forschenden zwei getrennte Domestikationen von Pferden nachweisen. Die erste fand vor etwa 5.500 Jahren in Zentralasien statt. Damals begannen Menschen in den Steppen, Pferde für Fleisch und Milch zu nutzen, was ihnen half, in dieser rauen Umgebung zu überleben. Diese Pferde blieben jedoch lokal und breiteten sich nicht über Eurasien aus.

Erst die zweite Domestikation vor etwa 4.200 Jahren veränderte die Menschheitsgeschichte nachhaltig. Diese Pferde wurden gezüchtet, um schnelle Mobilität zu ermöglichen – ein revolutionärer Schritt, der die Grundlage für weite Handelsnetze und kulturellen Austausch bildete.

Orlando fasst es so zusammen: „Das Hauspferd, wie wir es heute kennen, entstand vor etwa ~4.200 Jahren aus der zweiten Domestikation. Diese veränderte die Menschheitsgeschichte entscheidend, indem sie erstmals schnelle Mobilität ermöglichte.“