Prachtvolle äußere Bedingungen und ein restlos ausverkauftes Stadion waren die idealen Rahmenbedingungen beim letzten Bewerb der Dressureuropameisterschaft in Riesenbeck.
In der Gruppe der ersten neun Starter setzte die Norwegerin Isabel Freese mit ihrem Oldenburger Total Hope mit 82,593 % das erste Ausrufezeichen, kein Wunder bei dieser Abstammung: Vater Totilas, Mutter Weihegold! Lokalmatador Frederic Wandres und sein Bluetooth lockten das Publikum noch vor der Pause aus der Reserve: Leider mit kleinem Reiterfehler in der Linienführung („War die Schuld des Piloten!“) - trotzdem neue Führung mit 84,568 % und am Ende Platz 9.
In der Entscheidung kletterte das Thermometer auf über 30 Grad. Und auch die Qualität der Ritte und der Schwierigkeiten ging nach der Pause weiter steil nach oben. Die dänische Mannschaftsweltmeisterin Carina Cassøe Krüth und Heiline’s Danciera legten einmal 84,664 % vor (Platz 8), die Schwedin Therese Nilshagen und ihr Dante Weltino konterte mit 86,132 % (Platz 6).
Standing ovations holte sich dann die deutsche Dressurqueen Isabell Werth mit Quantaz. Denn die Kombinationen, welche die beiden ins Viereck zauberten, hatten es wahrlich in sich, etwa aus der Piaffe-Pirouette ein nahtloser Übergang in eine Galoppirouette begleitet von einem Raunen im Publikum, das bereits eine Minute vor Schluss begeistert mitklatschte. Doch Werth ließ sich mit all ihrer Routine auch dadurch nicht aus der Konzentration bringen: 88,407 % und Platz 5! Das hätte bei der WM im Vorjahr und der EM 2021 noch locker für Bronze gereicht!
Als nächste musste die Dänin Nanna Skodborg Merrald als erste der Medaillenanwärterinnen ins Viereck. Ihr Zepter präsentierte sich bei der erstmals gezeigten Musikkür so ausdrucksstark, sodass die Richter auch fehlerhafte Einerwechsel und eine wacklige Piaffe nicht daran hinderten das Paar mit 89,546 % an die Spitze zu hieven.
Dort blieb es allerdings nicht lange, denn die deutsche Titelverteidigerin Jessica von Bredow-Werndl ließ mit Dalera BB von Anfang an keine Zweifel daran aufkommen, dass der Weg zum Titel nur über sie führen kann. Elegant und mit maximaler Leichtigkeit tanzte die Trakehnerstute durchs Viereck, der Schritt auch verbessert, die Haltparade korrekt. Allerdings haben auch die Weltbesten Nerven und es gab einen Patzer bei den Einerwechseln. Aber 72 mal die Höchstnote 10,0 und ein „personal best“ von 92,818 % brachte das Dressurstadion zum Toben. Eine solche Wertung gab es bisher weder bei einer WM noch bei einer EM.
Spektakulär: Die Galopptour von Glamourdale und Charlotte Fry ist an Kraft und Energie nicht zu überbieten.
© FEI/Leanjo de Koster
Allerdings sollte gleich das nächste Highlight auf dem Fuß folgen. Denn Glamourdale zeigte sich mit seiner Reiterin Charlotte Fry in der Kür wesentlich besser als bei seinen beiden ersten Auftritten in Riesenbeck, ein kleiner Haspler beim Angaloppieren, aber ein starker Galopp mit einer glatten 10,0! Hier wollte man nicht in der Haut der Richter stecken! Es wurden schließlich 92,379 %, auch für Fry/Glamourdale „personal best“ und Platz 2 vorläufig. Das konnte man auch anders sehen, zwei der sieben Richter:innen hatten dieses Paar auf der Eins . „Ich bin froh, dass wir heute wieder vorne dabei waren und es ist ein Wahnsinn, wie dicht die Weltspitze ist! Das werden harte Konkurrenzen im nächsten Jahr!", meinte Charlotte Fry bei der anschließenden Pressekonferenz. Der Dreikampf um die Medaillen von Paris ist eröffnet!
Eine kleine Schnaufpause dann für alle bei Carl Hesters Ritt auf Fame: eine feine Vorstellung, reiterlich wieder ganz groß, aber mit den Medaillen hate der britische Meisterreiter und -trainer diesmal nichts zu tun, dafür ist der Wallach zu wenig Bewegungstalent. So blieb für den Routinier diesmal Platz 7.
Dafür sorgte zu Abschluss Charlotte Dujardin, die wohl coolste Reiterin der Dressurszene, mit dem erst zehnjährigen KWPN-Wallach Imhotep bei dieser EM nochmals für Furore. Auch wenn es diesmal für ganz vorne noch nicht reichen sollte. Aber ihre 91,396 % bringen der Britin die zweite Bronzemedaille bei dieser EM auf diesem noch blutjungen Pferd mit so großem Potenzial.
Mit zehn Jahren schon die 90 % bei einer EM geknackt: Charlotte Dujardins Wunderknabe Imhotep
© holcbecher.com
Im Nachhinein doppelt ärgerlich waren die rot-weiß-roten Patzer im Grand Prix Spécial. Die Analyse der Ergebnisse zeigte nämlich, dass Victoria Max-Theurer am Ende nur 0,395 % auf die Kürteilnahme gefehlt hatten, bei Florian Bacher war die Sache mit 1,033 % hinter dem 18. Startplatz des Portugiesen Joao Pedro Moreira doch schon klarer. Dennoch mussten die beiden als Reservereiter zum Vet-Check am Samstagmorgen. Aber alle in Frage kommenden Pferde präsentierten sich fit and well.
OEPS-Präsidentin Elisabeth Max-Theurer zog dennoch positive Bilanz. Im Pferderevue-Interview am Rande des Abreiteplatzes resümmierte sie nach den beiden Erfolgs-Europameisterschaften von Mailand und Riesenbeck: „Ich glaube, das ist nach zwanzig Jahren einzigartig, dass wir zwei vollständige Teams für Olympia qualifizieren konnten. Diesmal kommt auch die Besonderheit dazu, dass die Spiele in Europa stattfinden und dies sollte auch für viele Fans einen Anreiz bieten live dabei zu sein. Ich glaube, es wird eine einzigartige Atmosphäre geben vor dem Schloss von Versailles. Unsere Sportler sind jedenfalls auf einem guten Weg.“
Die Goldmedaillengewinnerin von Moskau 1980 war auch vom Springreitzentrum Ludger Beerbaums begeistert, wo die Dressurbewerbe ideale Bedingungen vorfanden. Ein Extralob gab es jedoch für die vier Mannschaftsreiter des Teams Austria: „Das war großartiger Sport. Die Vier haben sich wirklich gut geschlagen und waren sehr fokussiert im Grand Prix. Da hat keiner einen Fehler gemacht. Die sind erst im Spécial passiert, vielleicht war da auch die Konzentration nicht mehr so da, aber es hat ja nicht viel gefehlt. Man wird daran arbeiten, dass die nicht mehr passieren wird und wir müssen schauen, dass wir nächstes Jahr die drei besten nach Paris bringen!“