Dressur

Ab 2026 ohne Kandarenpflicht: Was der FEI-Testlauf für die Dressur bedeutet

Ein Artikel von Pamela Sladky | 22.11.2025 - 08:57
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Ab 1.1.2026 auch auf FEI-Turnieren möglich: Grand-Prix-reiten auf Trense © Alice Benes Fotografie

In den Niederlanden darf man es seit über 15 Jahren, in Schweden seit zehn, in Großbritannien schon viel länger – und auch in Kanada und den USA ist es längst keine große Sache mehr: ein Grand Prix auf Trense. Ab dem 1. Januar 2026 hält diese Freiheit nun auch offiziell Einzug in den internationalen Dressursport. Zumindest ein bisschen. Auf CDI3*- und CDIO3*-Turnieren darf im Grand Prix, im Spécial und in der Kür künftig wahlweise mit Trense oder auf Kandare geritten werden. Es ist ein Testlauf, der zeigen soll, ob und wie die Wahlmöglichkeit den Sport beeinflusst – und ob sie eine echte Option für die Zukunft sein kann.


Ein langer Weg

Bis zu diesem Schritt war es ein langer Weg. In der Dressur wird über kaum etwas so gern und so heftig gestritten wie über Gebisse. Die einen schwören auf die Wahlfreiheit – und einige würden die Kandare am liebsten gleich komplett aussortieren. Die anderen halten am Doppelgebiss fest wie an einem letzten Relikt wahrer Reitkunst. Dazwischen gibt es nicht viel. Im Tauziehen zwischen beiden Fronten hatte die Gruppe der Traditionalisten lange die Oberhand.

Doch der Druck von außen wurde größer. Der Ton immer schärfer, die Argumente nicht zwingend besser. Nun hat die FEI reagiert und die Tür einen Spalt weit aufgemacht. Für die einen ein Meilenstein. Für die anderen das Ende der Klassik, herbeigeführt von Leuten, die das alles sowieso nie verstanden haben.

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Die Kandare nimmt samt Unterlegtrense viel Platz im Maul ein. Nicht alle Pferde können gut damit umgehen.  © www.slawik.com

Ein Mangel an Ausbildung?

Ein Satz fällt im Zusammenhang mit dieser Diskussion regelmäßig: „Wenn ein Pferd die Kandare nicht akzeptiert, ist es nicht gut genug ausgebildet.“ Doch was ist dran an dieser Behauptung?

Sicher gibt es genug Fälle, in denen sie zutrifft. Nicht ohne Grund sollte ein Pferd kandarenreif sein, bevor man ihm das doppelte Gebiss ins Maul legt. Also losgelassen im Rücken mit gut durchschwingenden Hinterbeinen, sicher in der Anlehnung, mit einem vertrauensvollen Zug zur Hand und der Bereitschaft, mit der Hinterhand Last aufzunehmen.

Der Reiter wiederum sollte wissen, was er da eigentlich tut. Und wie wenig er tun sollte. Denn eine Kandare kann mit ihrer Hebelwirkung ausgesprochen deutlich sprechen. Wer sich auf dem Pferderücken nicht sauber ausbalancieren kann, wer mit der Hand arbeitet statt aus dem Sitz heraus, sollte tunlichst die Finger von dieser Zäumung lassen. Denn der Leidtragende ist bei Ausbildungs- und Anwendungsfehlern stets das Pferd. Bilder von Schmerzgesichtern, offenen Mäulern und leider auch blauen Zungen zeigen das nur zu deutlich.


Wenn trotz Reife die Harmonie fehlt

Und dann gibt es Fälle, in denen die vierbeinigen Partner trotz sorgfältiger Ausbildung und fachkundiger Anwendung klar signalisieren: „Nein, danke.“ Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl kennt solche Exemplare. Unee BB zum Beispiel, mit dem sie vor gut zehn Jahren in die Große Tour aufgestiegen ist, war ein ausgemachter Kandarenmuffel. Er mochte die Trense viel lieber – und lief auch besser damit. „Manche Pferde fühlen sich mit der Kandare einfach nicht wohl. Da wäre es nur im Sinne der Pferde, die Zäumung frei wählen zu dürfen“, meinte von Bredow-Werndl, als wir sie damals zu diesem Thema befragten.

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Luise Wesselys Trakehner Ippon fühlt sich auf Trense deutlich wohler als mit Dressurkandare - und kann Versammlung auch problemlos ohne.

Auch Luise Wessely, erfolgreiche Dressurreiterin und -ausbilderin aus Gutenstein in Niederösterreich, hat ein solches Exemplar im Stall. „Mein Ippon zeigt mir schon beim Aufzäumen, dass er die Kandare nicht mag.“ Und damit ist er sicherlich nicht allein, wie FEI-Richter Thomas Lang bestätigt: „Es gibt Pferde, für die sind Kandare und Unterlegtrense einfach viel im Maul.“ Manche gewöhnen sich dran, andere nicht. Luise Wessely fand nach langem Suchen endlich ein Kandarenmodell, dessen bloße Anwesenheit ihr Schimmel nicht mit vehementem Abwehrverhalten quittiert. Wirklich glücklich werden damit aber weder Pferd noch Reiterin.

„Natürlich könnte ich alles Mögliche unternehmen, damit er das Gebiss vielleicht noch etwas besser akzeptiert. Aber es wird immer schlechter bleiben als mit Trense. Mit einfacher Trense ist er zufriedener, er ist schöner zu reiten. Ich habe die bessere Anlehnung – es ist insgesamt einfach harmonischer.“

Harmonie ist in der Dressurreiterei das höchste Gut – Pferd und Reiter im stillen Einklang, selbst in Lektionen von höchster Schwierigkeit. Die Kandare kann dabei helfen, dieses Ideal zu erreichen. „Bei denen, die’s können, wird die Hilfengebung feiner, kleiner und wirkungsvoller“, sagt FEI-Dressurrichter Thomas Lang, früher selbst im Grand-Prix-Sport erfolgreich. Ein Folterwerkzeug, als das sie oft hingestellt wird, ist die Kandare per se ganz sicher nicht. Dressur-Bundesreferentin Dr. Ursula Barth meint sogar: „Wenn ich eine Kandare verwende, mit kurzem Baum, richtig eingestellt, und mit wenig Zug drauf reite, bin ich nicht schärfer unterwegs als mit einer Trense.“

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Anna Kleindienst-Jilly (im Bild auf ihrem Oldenburger BA Brad) veranstaltete im Juli den ersten Trensen-Grand-Prix Österreichs - als Sonderprüfung. Ob Österreich auf nationaler Ebene dem FEI-Beispiel folgen wird, steht noch nicht fest.  © Alice Benes Fotografie

Ein Gewinn für das Pferdewohl

Auch das technische Dressurkomitee der FEI hält unbeirrt an seiner Einschätzung fest, die Kandare sei im Spitzensport kein „welfare issue“. Ganz folgenlos fürs Wohlbefinden mancher Pferde ist sie dennoch nicht – das zeigen die Beispiele aus der Praxis deutlicher als jede Grundsatzdebatte. Genau deshalb hält Grand-Prix-Reiterin Anna Kleindienst-Jilly die Wahlfreiheit für überfällig: Wer sein Pferd am besten kennt, sollte auch entscheiden dürfen, welche Zäumung ihm bekommt. Im vergangenen Juli setzte sie ein Zeichen und schrieb auf ihrer Anlage, dem Equestrian Center Austria in Gerasdorf bei Wien, Österreichs ersten Trensen-Grand-Prix als Sonderprüfung aus. Mit nur drei Starterinnen war die Beteiligung überschaubar, die Resonanz in der Community hingegen überwältigend – und überwiegend positiv. Neben Pferdeenthusiast:innen aus dem Freizeitbereich meldeten sich auch Größen des Sports zu Wort, darunter Deutschlands Dressur-Ikone Nicole Uphoff. Die vierfache Olympia-Goldmedaillengewinnerin gestand: „Toll, das hatte ich mir damals schon für Rembrandt gewünscht. Da wurde ich nur belächelt.“

Kleindienst-Jilly ging es nie darum, „dass man die Kandare verbietet oder verteufelt – es ist ja auch überhaupt nichts Verwerfliches an der Kandare an sich.“ Doch mit der Wahlfreiheit könne man besser auf die individuellen Bedürfnisse und Befindlichkeiten der einzelnen Pferde eingehen. „Pferde sind genau wie wir Menschen verschieden, sie haben unterschiedliche Vorlieben. Wenn das Pferdewohl an allererster Stelle stehen soll – und bei den meisten Sport- und Freizeitreiter:innen tut es das – dann ist alles, was man tun kann, um es zu verbessern, ein Schritt in die richtige Richtung: ein Gewinn für die Pferde und für den Sport.“


Von Äpfeln und Birnen

Doch gerade im Sport gibt es nach wie vor viele Vorbehalte gegenüber der Wahlfreiheit. Häufiges Argument: die Schwierigkeit der Bewertung beider Gebisse in einer Prüfung. Das sei wie der Vergleich von Äpfeln und Birnen. „Trensengebisse haben eine andere Wirkung als Kandarengebisse, und ich kann eine korrekte Anlehnung nicht einmal auf Trense und einmal auf Kandare beurteilen“, meint etwa der deutsche Reitmeister Martin Plewa. Auch sein Bruder, Dressurrichter Dietrich Plewa, ortet „eine begrenzte Vergleichbarkeit“.

Sein französischer Richterkollege Raphaël Saleh sieht das deutlich entspannter. „Beim Bewerten eines Pferdes macht es keinen Unterschied, ob mit Trense oder Kandare geritten wird. Das Thema ist ja nicht das Werkzeug, sondern wie wir es verwenden und wie das Pferd damit läuft.“ Falsch angewandt sei beides falsch – und führe gleichermaßen zu Problemen.

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In den Nachwuchsklassen - hier ein Bild aus einer FEI-Junge-Reiter-Prüfung - existieren Trense und Kandare seit längerem nebeneinander. Probleme bei der Bewertung der unterschiedlichen Gebissvarianten scheint es in der Praxis nicht zu geben.  © Alice Benes Fotografie

Wo es schon funktioniert

Anna Kleindienst-Jilly wundert sich sowieso, warum die Diskussion im Grand Prix so groß ist. „In der Kleinen und der Mittleren Tour scheint das kein Problem zu sein, ebenso wenig bei den Junioren und bei den Jungen Reitern. Dort werden seit Jahren beide Gebissvarianten nebeneinander gerichtet. Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich besser oder schlechter bewertet wurde, weil ich auf Trense oder Kandare geritten bin. Ausschlaggebend ist doch, ob das Pferd einen zufriedenen Eindruck macht, ob es eine feine, stabile Anlehnung hat, ob das Maul schön ist. Da sollte es letztendlich doch völlig egal sein, ob auf Trense oder auf Kandare geritten wird.“


Was macht Österreich?

Wie Österreich national mit der neuen Freiheit umgehen wird, ist derzeit noch offen. Geht es nach Bundesreferentin Dr. Uschi Barth, wird es für Sichtungen auf Großer-Tour-Ebene aber weiterhin Kandarenpflicht geben. „Eine Sichtung ist im Prinzip der allererste Schritt für eine Kader- und Championatsteilnahme. Und Championate auf Trense – davon sind wir noch weit entfernt. Wir warten erst einmal ab, wie es international ankommt.“

Wer in Österreich einen internationalen Trensen-Grand-Prix reiten will, wird um die Kandare also vorerst nicht herumkommen. Noch nicht. Die Tür ist geöffnet und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis sie ganz aufschwingt.