Vielseitigkeits-WM Pratoni

Michael Jung verliert WM-Gold am letzten Sprung, Yasmin Ingham neue Weltmeisterin, Deutschland verteidigt Titel

Ein Artikel von Redaktion | 18.09.2022 - 18:17
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Die neue Weltmeisterin in der Vielseitigkeit: Yasmin Ingham aus Großbritannien
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Spannender hätte man sich ein WM-Finale wohl kaum ausdenken können. Der schwere Parcours mit 13 Hindernissen und 16 Sprüngen forderte viele Abwürfe – auch unter den weltbesten Paaren. Entsprechend wurden die Klassierungen noch einmal ordentlich durchgemischt, im Teambewerb änderte sich das vorläufige Medaillenranking beinahe mit jedem gestarteten Paar.

Vor den sechs besten Kombinationen nach dem Gelände lag das Team der USA auf Goldkurs, die Briten auf dem Silberrang und Deutschland auf Rang drei, nachdem Sandra Auffarth auf Viamant du Matz drei Abwürfe hatte hinnehmen müssen.

Die Goldträume der Amerikaner platzten, als Boyd Martin im Sattel seines kleinen Trakehners Tsetserleg TSF vier Stangen ins Gras purzeln ließ. Danach brachten die Olympiasieger Julia Krajewski und Amande de B‘Néville mit einer fabelhaft gerittenen Nullrunde die Deutschen auf Silberkurs, hinter die nun auf Platz eins liegenden Briten.

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Super Ritt: Olympiasiegerin Julia Krajewski und "Mandy" brachten Deutschland wieder auf nach vorne.
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Die britische Führung hielt nicht lange. Ausgerechnet der Weltranglistenerste Oliver Townend verzeichnete mit seinem nicht mehr ganz so frisch wirkenden irischen Schimmel Ballaghmor Class vier Abwürfe. Damit verloren die Briten nicht nur die mögliche Goldmedaille, sondern rutschten sogar aus den Medaillenrängen auf Rang vier hinter die Reiter:innen aus Neuseeland zurück.

Ohne Fehler ging es auch nicht für Tara Smith mit ihrem 16 Jahre alten DSP-Rappen Mai Baum. Das Paar patzte an einem der mächtigen Oxer und am überbauten Wasser. Trotz der beiden Abwürfe war den US-Reiter:innen zu diesem Zeitpunkt Silber jedoch bereits sicher.
 

Ingham beweist Nerven aus Stahl

Unter britischer Flagge, allerdings als Einzelreiterin, ging im Anschluss Yasmin Ingham mit ihrem französischen Fuchswallach Banzai du Loir an den Start. Für die 25-Jährige ist die WM in Pratoni das erste Championat in der Allgemeinen Klasse. Ihren bislang größten Erfolg feierte die Pony-Europameisterin von 2013 im vergangenen April, als sie sich bei ihrem ersten Fünf-Sterne-Start in Lexington (USA) lediglich dem Deutschen Michael Jung auf fischerChipmunk geschlagen geben musste.

Es sollte erneut zum Showdown zwischen der jungen Britin und dem deutschen Superstar kommen, denn Ingham zauberte mit unfassbarer Coolness eine sensationelle Nullrunde in das Reitstadion, die das Publikum von den Sitzen riss.

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Yasmin Ingham und Banzai du Loir auf dem Weg zum Weltmeistertitel bei ihrem Championatsdebüt
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Drama am letzten Sprung

Damit konnte nur noch Michael Jung die britische WM-Debütantin abfangen. Jung und sein 14 Jahre alter Hannoveraner Chipmunk gingen mit einem Polster von 4,4 Minuspunkten in die Entscheidung. Einen Abwurf durfte sich das Paar also leisten. Lange sah es so aus, als würde das Paar diesen Polster gar nicht benötigen, denn Chipmunk sprang sicher und souverän. Nur vier Sprünge trennten den vierfachen Einzel-, zweifachen Olympiasieger und Weltmeister des Jahres 2010 von seinem zweiten WM-Titel. Doch beim Einsprung in die Zweifache klapperte es und eine Stange folgte der Schwerkraft. Den Aussprung nahm Chipmunk ohne Probleme, auch am vorletzten Sprung, einem über Wasser gebauten Oxer, blieben alle Stangen liegen. Doch der letzte Steilsprung machte Jungs Goldambitionen zunichte. Ein Abwurf warf ihn auf Rang fünf zurück, für sein Team reichte es aber immer noch locker zur erfolgreichen Titelverteidigung.

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Michael Jungs Titelambitionen scheiterten am letzten Sprung. © holcbecher.com

Hinter der neuen Weltmeisterin Yasmin Ingham durfte sich Olympiasiegerin Julia Krajewski zusätzlich zu Team-Gold über Einzel-Silber freuen. Tim Price schloss punktegleich mit der britischen Weltmeisterin von Tryon 2018, Ros Canter, auf einem Gesamtergebnis von 26,2 Minuspunkten. Weil er im Gelände näher an die Idealzeit herangeritten war, ging die Bronzemedaille an den Neuseeländer.

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Bronze für Tim Price (NZL) und Falco © holcbecher.com

Kein Glück für Österreich

Für Lea Siegl und Harald Ambros verlief das Finale im Parcours nicht wie erhofft. Der auf diesem Niveau noch recht grüne Mountbatton nahm auf seinem Weg ins Ziel vier Stangen mit und kam zusätzlich mit etwas Verspätung an. Unterm Strich beendete das Duo die WM mit 89,7 Minuspunkten auf dem 57. Rang.

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Harald Ambros und Mountbatton © holcbecher.com

Auch bei Lea Siegl und Fighting Line erwies sich das Springen nach ihrem sensationellen Geländeritt als kostspielige Angelegenheit. Das Paar musste zwölf Fehlerpunkte und 0,4 Strafpunkte aus der Zeit in Kauf nehmen und schloss mit gesamt 46,2 Minuspunkten auf dem mehr als respektablen 25. Platz. Nach Rang 15 bei den Olympischen Spielen in Tokio (JPN) 2021 und Platz 16 bei der EM in Avenches (SUI) im selben Jahr ein weiteres Top-Ergebnis für die erst 24-jährige Heeressportlerin aus Oberösterreich.

Lea Siegl hätte sich freilich trotzdem etwas mehr erhofft, allerdings war die Vorbereitung heute nicht optimal verlaufen. „Fighti hat sich am Abreiteplatz vor einem Sprung mit Wasserplane drunter erschreckt. Das hat uns beide etwas aus dem Konzept gebracht. Im Parcours haben wir versucht, das Beste zu geben, aber er war einfach nicht ganz so locker, wie er sonst springt und das führt in einem so schwierigen Springen dann eben zu Abwürfen“, resümiert Lea Siegl im Pferderevue-Gespräch.

„25. bei der Weltmeisterschaft ist ein sehr respektables Ergebnis, das für die weitere Zukunft hoffen lässt“, findet indes Bundesreferent Thomas Tesch, der mit Blick auf Reiter wie Michael Jung und Oliver Townend meint: „Natürlich sind die Abwürfe enttäuschend, aber am Ende des Tages ist es uns so wie allen anderen auch gegangen. Der Parcours war auf Maximallänge mit allen technischen Rafinessen ausgestattet gebaut, da haben sich unsere Pferde im Grunde gut präsentiert.“

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Lea Siegl und Fighting Line beendeten die WM auf Platz 25.   © holcbecher.com

Vier Nationen, drei Olympiatickets

Zuversichtlich ist Tesch auch im Hinblick auf die Olympiaqualifikation für Paris 2024. Im Kampf um die verbliebenen drei Tickets muss sich Österreich mit den Equipen aus Belgien, Italien, und Spanien messen. „Bei der Euro werden zwei Plätze vergeben, über den Nationenpreis zusätzlich einer. Wenn unsere Pferde über den Winter alle wieder fit sind, auch diejenigen, die jetzt zum Schluss ausgefallen sind, dann sind wir guter Dinge, dass wir ein bis zwei Nationen im Griff haben werden, damit wir einen der drei Plätze ergattern können.“

Fix dabei sind dank ihrer Leistungen bei der WM Deutschland, die USA, Neuseeland, Großbritannien, Irland, Schweden und die Schweiz sowie Gastgebernation Frankreich, die die WM auf Platz 14, vor Österreich auf Rang 15, beendete.

Alle Ergebnisse der WM im Detail finden Sie hier.