Auf überfüllten Abreiteplätzen können im Eifer des Gefechts schnell Unfälle passieren. Gegenseitiges Rücksichtnehmen und vorausschauendes Reiten sind hier besonders gefragt. © CSschmuck - Fotolia.com
Wer sich auf dem Abreiteplatz falsch verhält, riskiert nicht nur eine Verwarnung von der Turnieraufsicht, sondern bei einem Unfall auch verminderten Schadensersatz. Das zeigt ein Urteil des Oberlandesgericht Koblenz.
Auslöser für den Vorfall war eine Situation, wie sie auf im Warm-Up-Bereich tagtäglich vorkommt: Eine Reiterin wärmte ihr Pferd im Galopp für die bevorstehende Springprüfung auf. Dabei passierte sie auf dem dritten Hufschlag eine Reiterin, die wiederum ihr Pferd im Schritt auf dem ersten Hufschlag bewegte. Das Schritt gehende Pferd erschrak, keilte aus und traf die herannahende Reiterin am Bauch, an der rechten Hand, am rechten Oberarm und am rechten Unterarm. Die Verletzungen, die sie dabei erlitt machten schließlich sogar einen operativen Eingriff vonnöten. Die Geschädigte forderte in der Folge Schadensersatz und Schmerzensgeld und die Angelegenheit landete vor Gericht.
Dort sah man den Anteil am Unfall bei beiden Pferd-Reiter-Paaren als gleichwertig an. Weil sich die Klägerin mit ihrem Pferd im Galopp von hinten dem Pferd des Beklagten genähert hatte, hatte sie selbst eine Gefahrensituation ausgelöst. Das Auskeilen war als Teil der klassischen Tiergefahr die typische Reaktion eines Pferdes, das sich bedroht fühlt. Nach Ansicht des Gerichtes gab es damit weder ein Verschulden auf der einen noch auf der anderen Seite.
Auch die Tatsache, dass sich beide Reiterinnen nicht an die allgemein gültigen Bahnregeln gehalten hatten, wonach sich das Schritt gehende Pferd im Bahninneren hätte aufhalten müssen und das galoppierende Pferd auf dem ersten Hufschlag, spielte für den Unfall und damit für die Haftungsfrage keine Rolle.
Die Einschätzung der beiderseitigen Verwirklichung der Tiergefahr hatte schließlich zur Folge, dass sich die Klägerin mit der Hälfte des Schadensersatzes zufrieden geben musste.
Noch geringer wäre der Anspruch übrigens ausgefallen, hätte das auskeilende Pferd eine rote Schleife am Schweif getragen, die für alle erkennbar anzeigt, dass das betreffende Pferd zum Austreten neigt.
Jeder Fall ist anders
Dass es völlig einzelfallabhängig ist, wer bei einem Unfall auf dem Abreiteplatz für eingetretenen Schaden haftet, zeigt ein weiteres Beispiel aus der Praxis.
Auch dieser Fall ereignete sich bei der Vorbereitung zu einem Springbewerb. In ihrer Funktion als freiwillige Helferin verstellte die Klägerin auch Wunsch der abreitenden Turnierteilnehmer Höhe und Weite der Trainingshindernisse. Kurz vor Beginn des Wettbewerbs veränderte sie ein letztes Mal den Oxer nach Anweisung des Beklagten. Dessen Pferd hatte bereits mehrfach den Probesprung verweigert und war zur Seite hin ausgebrochen.
Nachdem sie den Sprung wie geheißen angepasst hatte, schickte sich die Klägerin an den Reitplatz in Richtung Ausgang zu verlassen. Doch dazu kam es nicht mehr. Das Pferd des Beklagten verweigerte abermals den Sprung, brach nach links aus und galoppierte am Hindernis vorbei. Dabei rannte es die Klägerin um und schleuderte sie zu Boden. Die Frau, die dem Pferd den Rücken zuwandte und deshalb die gerannahende Gefahr nicht gesehen hatte, wurde dabei lebensgefährlich verletzt. Es folgte ein achtwöchiger Krankenhausaufenthalt und monatelange Arbeitsunfähigkeit.
Die Klägerin gab dem Beklagten die Schuld an ihrer Verletzung und verklagte ihn auf Schmerzensgeld und Schadensersatz. Der wiederum sah sich keiner Schuld bewusst. Er habe den Unfall weder voraussehen noch verhindern können, zudem habe die Klägerin sich ihr Missgeschick selbst zuzuschreiben, da sie die gefährliche Situation eigens heraufbeschworen und sich trotz seiner Warnrufe nicht in Sicherheit gebracht habe.
Dieser Argumentation konnte sich das verhandelnde Oberlandesgericht Nürnberg nicht anschließen. Die Richter sahen die Hauptschuld eindeutig beim Beklagten, und argumentierten diese Ansicht wie folgt:
„Unter den gegebenen Umständen hätte der Reiter damit rechnen müssen, dass sein Pferd seitlich ausbricht und einen der neben dem Hindernis befindlichen Helfer erfasst. Er hätte deshalb nicht zum Sprung anreiten dürfen, ohne sich vorher zu vergewissern, dass die gefährdeten Personen sich entweder in Sicherheit gebracht hatten oder ihre Gefährdung bewusst in Kauf nahmen. Denn jedenfalls in der konkreten Situation, vor allem aufgrund des vorangegangenen Verhaltens seines Pferdes, hätte der Beklagte keinesfalls mit voller Geschwindigkeit auf das Hindernis zureiten und die Umherstehenden in Gefahr bringen dürfen. Auf einem Abreiteplatz, auf dem sich - wie hier - zehn oder gar zwanzig Reiter mit ihren Pferden sowie eine Anzahl von Helfern tummeln, fällt es einem Reiter ohnehin schwerer als sonst, sein Pferd zu beherrschen. Gerade deshalb weil es auf einem betriebsamen Abreiteplatz so hektisch zugeht, muss aber der Reiter auf einem solchen Übungsgelände besondere Vorsicht walten lassen.“
Weil sein Pferd zuvor bereits zweimal den Sprung verweigert und zur Seite hin ausgebrochen war, hätte der Reiter mit einer Wiederholung dieses Verhaltens rechnen und deshalb besonders vorsichtig sein müssen. Das Gericht sah sein unbedarftes Handeln als in hohem Maße fahrlässig an, gab der Klage deshalb statt und verurteilte den Beklagten zu einem Schadensersatz in sechsstelliger Höhe.
Wer von seinem Turnierwochenende in erster Linie schöne Erinnerungen und positive Erfahrungen anstelle von langwierigen Rechtsstreitigkeiten mitnehmen möchte, sollte auf dem Abreiteplatz deshalb lieber besonders vorsichtig sein. Auch im Hinblick auf das eigene gesundheitliche Wohl und das des Pferdes.
Quelle/Quelle/ps