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Das Leben schreibt viele Geschichten

Ein Artikel von Österreichisches Kuratorium für Therapeutisches Reiten | 22.12.2023 - 08:34
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© horsense

Im letzten Artikel dieses Jahres nehmen wir Geschichten des Lebens auf. Wahre Begebenheiten (die Namen der Klient:innen wurden aus Datenschutzgründen geändert), die uns von unseren Mitgliedern zur Verfügung gestellt wurden. Wir möchten damit diese besondere Jahreszeit nutzen, um ein großes Dankeschön an alle Personen zu senden, die pferdegestützt arbeiten! Vor allem aber wollen wir den OKTR® Mitgliedern für ihr Engagement danken, speziell den Absolvent:innen, die 2023 ihre Ausbildungen (Fachassistenz pferdegestützte Interventionen, Lehrgang Hippotherapie, Lehrwart Integratives Reiten und Lehrgang Ergotherapie mit Pferd) bei uns abgeschlossen haben, und jenen, die noch mitten in der Ausbildung stecken (Heilpädagogische und therapeutische Förderung mit dem Pferd), alles Gute wünschen.

Und hier kommen die herzerwärmenden Geschichten ...

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Therapiepferd Joey. © horsense

Eine wahre Freundschaft – Markus & Joey

Seit Februar 2022 kommt der 14-jährige Markus im wöchentlichen Rhythmus zur heilpädagogischen und therapeutischen Förderung mit dem Pferd, kurz HTFP, beim Verein horSense in Ledenitzen/Kärnten. Markus wurde von seiner Familie vernachlässigt, misshandelt und wuchs ohne Freunde oder etwaige Bezugspersonen auf. Mittlerweile ist Markus fremd untergebracht. Geblieben sind viele Traumata aber auch eine leichte kognitive Behinderung.

Trotz der schlimmen Vorgeschichte steht Markus der Pferd-Mensch-Beziehung offen gegenüber. Er ist aufgeschlossen und freut sich mit dem Pferd Joey Zeit verbringen zu dürfen. Joey ist Markus‘ Freund und hört aufmerksam zu, wenn er ihm Geheimnisse ins Ohr flüstert. Markus umsorgt sein Lieblingspferd, fragt nach seinem Wohlbefinden und besonders, ob er genug Bewegung und Futter in seiner Abwesenheit bekommen hat.

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© horsense

Pferde kommunizieren immer im Hier und Jetzt, sind nicht nachtragend, haben keine Vorurteile.

Das hilft Menschen wie Markus, sich auf die aktuelle Situation zu konzentrieren und vor allem sich authentisch zu äußern. Markus stärkt im Umgang mit dem Pferd seine sozialen Kompetenzen. Die erlernten Handlungsstrategien unterstützen ihn im weiteren Kontakt mit seinen Mitmenschen. Markus hat schon viel erreicht: Er kann sich engen Bezugspersonen gegenüber mittlerweile authentisch verhalten und mit ihnen kommunizieren. Die Ruhe und Gelassenheit der Pferde übertragen sich schnell auf Markus. Selbst, wenn er aufgebracht und wütend zu seiner Einheit kommt, kann er sich nach kurzer Zeit beruhigen und sich ganz auf Joey einlassen und sein Zorn verschwindet. Immer wieder erwähnt Markus, dass Joey sein einziger Freund und immer für ihn da ist. 

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Denise Kolbitsch, BA MA
OKTR® Sektionsleitung Integratives Reiten
Sozialpädagogin, Dipl. Sozialbetreuerin (Behindertenbegleitung), Studium Disability and Diversity, Lehrwartin für Integratives Reiten; Lehrwartin für Voltigieren; Ausbildung HTFP © horsense

Aber nicht nur die sozialen Fähigkeiten von Markus werden gefördert. Durch gezielte Übungen am Boden bzw. auf dem Pferderücken hat sich sein Körpergefühl bereits verbessert und Markus kommt dank der regelmäßigen Therapie z.B. auf dem Klettergerüst ganz nach oben und natürlich auch wieder runter. Darüber hinaus ist Markus sehr kreativ, erfindet neue Übungen, Aufgaben oder Spiele mit dem Pferd und fördert so zusätzlich seine Selbstständigkeit, Selbstwirksamkeit und nicht zuletzt sein Selbstvertrauen.

Aktuell finden die Einheiten unter besonderen Bedingungen statt, denn Markus Lieblingspferd Joey hat sich bei einem Unfall auf der Weide schlimm verletzt. Die Therapeutin brachte den Vorschlag ein anderes Pferd zu wählen. Doch Markus erwiderte: „Wenn Joey immer für mich da ist, bin ich jetzt für ihn da!“ Also dreht sich in Markus Einheiten aktuell alles um die Bedürfnisse seines Lieblingspferdes. Es wird für Joey Futter gerichtet, er wird ausgiebig geputzt und sorgfältig umsorgt. Hoffen wir, dass Joey bald gesund ist!

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© KinderStärken

Wie Jaqui sprechen lernte

Jaqui konnte mit knapp vier Jahren noch immer nicht sprechen, weshalb das St. Anna Kinderspital den Eltern eine Therapie mit Pferden empfohlen hat. Dies wurde umgehend in die Tat umgesetzt. Dank der unendlichen Geduld von Andrea Bossler und mit Unterstützung der Pferde wurden aus Lauten Worte und in weiterer Folge auch kurze Sätze. Die wöchentlichen Einheiten haben Jaqui unheimlichen Spaß gemacht. Sie lernte sehr viel, und Andrea konnte sie gemeinsam mit den Pferden immer wieder motivieren noch mehr aus sich herauszuholen. Auch nach 20 Jahren, die Jaqui nun schon Therapien beim Verein Happiness in Anspruch nehmen darf, gibt es immer wieder neue Erfolge. Weiter so, Jaqui!

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© Verein Happiness

Die „ausgezeichnete“ Isabella

Bei Isabellas Geburt gab es Komplikationen, in Folge einen Notkaiserschnitt. Im Laufe der ersten Jahre zeigten sich die Probleme von Isabella immer deutlicher. Das Sprechen fiel ihr schwer, logisches Denken war fast unmöglich und es gab noch einige andere Herausforderungen zu meistern. Isabellas Eltern widmeten sich voll ihrer Tochter, lernten täglich mit ihr.

Im Oktober 2005 trafen sie auf Andrea Bossler und ihre Pferde. Mit Hilfe der Pferde und Andreas Betreuung wurde bald klar, dass sich Isabella in diesem Rahmen wohl fühlt und dadurch weiterentwickeln kann. Auch ihre Eltern lernten schön langsam wie man mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen „richtig und ganz unkompliziert“ umgeht.

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Andrea Bossler: Sonderschullehrerin und Sprachheilpädagogin, Stützlehrerin, Voltigiertherapeutin, Horse Assisted Life Coach (D) und Behindertensport Übungsleiterin (ÖBSV). © Verein Happiness

Durch das konsequente, fachlich immer am neuesten Stand geführte, Training hatte Isabella sensationelle sportliche Erfolge bei ihren Special Olympics Turnieren im In- und Ausland. Die Reisen nach China, Amerika, Griechenland und zuletzt nach Deutschland sind unvergessene Erlebnisse von denen sie noch lange zehren wird.

Als sie 2011 Sportlerin des Jahres wurde, konnte sie ihr Glück nicht fassen. All diese Erfolge stärkten Isabella dermaßen, dass sie seit 2013 allein in einer Wohnung lebt und diese selbstständig bewirtschaftet .

Bei allen pferdegestützten Interventionen lernen die Klient:innen, den Pferden mit Respekt und Liebe zu begegnen und auch, dass man als Reiter:in eine Verantwortung dem Tier gegenüber hat. Indem sie auch mit Gleichgesinnten zusammenkommen, stärkt sich das Wir-Gefühl und führt zu einem starken Miteinander. 

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© KinderStärken

Die Welt „begreifen“ mit Obelix

Baran ist ein unglaublich fröhlicher, autistischer Junge, der freudig hüpft, wenn sein Vater ihn zu Andrea Keglovits-Ackerer bringt. Baran kommt jeden Samstag um 08:00 Uhr, eine Uhrzeit, wo die meisten noch mit müden Augen durch die Gegend blicken. Aber Baran freut sich so sehr, dass er in kurzer Zeit alle anderen ansteckt und mit Energie erfüllt. Aber das war nicht immer so. Baran riss sich anfangs immer los und rannte, ohne auf seine Umwelt zu achten, herum. Kommunizieren, kooperieren – Fehlanzeige! In einem Reitstall ist das zu gefährlich und genau diese Situation hat Andrea als Therapeutin geholfen, selbst sehr konsequent zu werden – wie Baran sagen würde „Du bist ein lieber Chef“ – und das mit Hilfe des Therapiepferdes Obelix. 

 

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© KinderStärken

Der Noriker Mix ist der Chef der 6-köpfigen Herde, zwar das kleinste Pferd, aber innerlich ein riesiger Fels in der Brandung. Er ist auch ein lieber Chef, schaut auf seine gemischte Herde, braucht sich seinen guten Fressplatz an der Heurauffe nicht erkämpfen, denn er erscheint und das reicht. Seine klare Körpersprache, seine Ausstrahlung und sein guter Blick für das Ganze machen ihn zu einem Kommunikationsexperten und damit zum idealen Partner für das Heilpädagogische Begleiten mit Pferd mit sprachheilpädagogischem Schwerpunkt.

Um Barans Kommunikationskompetenzen zu stärken, gestaltet Andrea schöne Kontaktmomente, Treffen auf Augenhöhe. Baran konnte vor einem Jahr seine visuelle Wahrnehmung für Kommunikation kaum nutzen und war wie ein „Pfitschipfeil“ überall und nirgends. Da ist so ein sanfter Wallach, auf dem man unruhige Kinder sicher weiß, wie ein Lottogewinn. 

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© KinderStärken

Am Anfang saß Baran sehr unruhig auf dem Pferd, verlagerte seinen Oberkörper stark auf eine Seite und drohte fast zu fallen. Geduldig blieb Obelix stehen, Andrea sicherte das Kind, aber ohne Baran wieder in die Mitte zu rücken und dann machte Obelix, was er am besten kann: geduldig warten. Sobald Baran sich wieder selbst in die Mitte setzte, machte Andrea das mit fröhlicher Stimme ganz „groß“: „Gut gemacht!“ ist dann zu hören und ein freudiges „Los!“ ans Pferd. So kam es, dass Baran bald wusste, dass er lange reiten kann, wenn er aufrecht in seiner Mitte sitzt. So ein großer Gewinn! Jetzt springt er natürlich nicht mehr davon.

Der nächste Schritt war, dass Andrea benannte, wohin Baran sieht bzw. was er ansieht. Das ergibt nun eine Menge an therapeutischen Möglichkeiten: Baran merkt, dass Andrea sich zu 100% auf ihn fokussiert, er bekommt Wörter für die Dinge, die er anschaut. Das klappt bei fast allen nonverbalen Kindern und sie beginnen immer mehr Dinge bewusst anzusehen, damit der/die Therapeut:in sie benennen kann: „Ah, du schaust zum Baum! Du schaust dir die Mähne an! usw. Dieses Training bewirkt so unglaublich viel und Dank Obelix, bleibt Baran auch immer auch körperlich dabei. 

Damit Baran sich alles auch gut merken kann, reitet er einen Teil seiner Therapieeinheit mit einem Kopfhörer, wodurch er seine Stimme, aber auch die Geräusche der Umgebung nicht nur mit dem Luftschall, sondern auch mit dem Knochenschall gut wahrnehmen kann. Damit erzielt man eine unglaublich hohe Konzentration auf die auditive Wahrnehmung. Auch klassische Musikstücke hört Baran mit diesem Tomatis-Kopfhörer auf dem Pferd und der tolle Nebeneffekt: Mit Mozart marschiert der etwas bewegungsfaule Obelix gleich viel freudiger. 

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Andrea Keglovits-Ackerer: Sprachheilpädagogin, Tomatis-Trainerin Level 4, Marte meo Therapist, Ausbildung neurofunktionelle Reorganisation und heilpädagogisches und therapeutisches Begleiten mit dem Pferd. © KinderStärken

Wer profitiert von diesen Therapieeinheiten?

  • Baran ist inzwischen ein viel ruhigerer, schon gut mit den Augen kommunizierender Junge geworden, der die Einheiten mit Obelix wirklich richtig in sich aufsaugt. 
  • Obelix mag diese Einheiten und kann seine Stärken als Fels in der Brandung ausspielen und ist ein richtiger Mozartfan geworden.
  • Und Andrea? Sie ist unheimlich glücklich, dass sie ihren Erfahrungsschatz aus vielen Therapieausbildungen gemeinsam mit den Pferden ans Kind bringen darf.

Danke allen Klient:innen und Angehörigen für ihr Vertrauen, wir wünschen weiterhin viel Erfolg und vor allem Gesundheit und freuen uns über Geschichten, die das Leben schreibt. Abschließend noch ein großes Dankeschön auch jenen, die sich um das Wohl der Pferde kümmern beziehungsweise bei den therapeutischen Einheiten mitwirken. Dies sind z.B. die Pferdeführer:innen, die Pfleger:innen und einfach alle guten Geister, die für einen reibungslosen Ablauf und das Wohl aller Beteiligten wichtig sind.

Wir hoffen, dass wir Ihnen mit diesen Geschichten wertvolle Momente geschenkt haben. Wenn Sie die Arbeit der engagierten Therapeut:innen schätzen und „kleine Weihnachtswunder” ermöglichen möchten, bitten wir Sie die Vereine mit ihrer Spende zu unterstützen.

Stellvertretend für viele weitere Betriebe:

horSense – Verein für Therapeutisches Reiten

Verein Happiness – Glücklich mit Hilfe des Pferdes

Therapiezentrum KinderStärken

Nähere Informationen

OKTR®
Österreichisches Kuratorium für
Therapeutisches Reiten


E-Mail:office@oktr.at
Web: www.oktr.at
Infotelefon: +43 676 362 7130