Justin Verboomen und sein neunjähriger Tanzpartner Zonik Plus haben auch im Kür-Finale begeistert. © Lukasz Kowalski
89,964 % standen am Ende auf der Anzeigetafel – eine Winzigkeit mehr als bei der Konkurrenz, aber genug für die zweite Goldmedaille. Nur zwei der sieben Richter setzten den Belgier auf Rang eins, doch in der Summe reichte es. Ein weiteres Mal zeigte das Paar, wie moderner Dressursport aussehen kann: harmonisch, fein geführt, getragen von einer tänzerischen Leichtigkeit, die selbst die schwersten Lektionen selbstverständlich wirken ließ.
Nur einmal zogen Verboomen und sein Hengst nicht am selben Strang, in der Rechtstraversale galoppierte Zonik Plus wiederholt an, es dauerte, bis das Paar in den Takt fand. Die Spannung aus diesem Fehler nahm der Rappe auch in den nachfolgenden Schritt mit. Doch danach war der erst neunjährige Zonik-Sohn wieder zu 100 Prozent bei seinem stets dezent einwirkenden Reiter. Was dann folgte, war ein Feuerwerk an Pirouetten, wie sie besser kaum zu reiten sind, taktmäßige Piaffen, Piaffe-Pirouetten und Passagen. Das Publikum feierte das Paar mit Standing Ovations. Verboomen selbst wirkte fassungslos – und haderte eher mit seinem kleinen Schnitzer, als dass er sein Glück fassen konnte: „Das war natürlich mein Fehler“, brachte er noch hervor, ehe ihm die Worte fehlten.
Silber für Laudrup-Dufour - es ist wie verhext!
Cathrine Dufour und Mount St John Freestyle mussten sich hauchdünn geschlagen geben. 89,821 % bedeuteten Silber – eine Winzigkeit unter Gold, obwohl fünf von sieben Richterstimmen die Dänin auf der Eins hatten. Der ganz große Titel bleibt dem Paar damit weiter verwehrt. Einmal mehr waren es die Galoppwechsel, die Punkte kosteten, trotz Jokerlinie und Ausbessern.
Ansonsten präsentierten Dufour und ihre nun 16-jährige Stute eine Vorstellung von größter Feinheit. Übergänge wie aus einem Guss, durchlässig und geschmeidig, Trabverstärkungen mit echter Rahmenerweiterung – Freestyle zeigte einmal mehr, warum sie zu den besten Pferden ihrer Generation gehört. Doch am Ende bleibt für die Dänin die bittere Erkenntnis: Für den Platz ganz oben reicht selbst ein nahezu makelloser Ritt nicht, wenn das letzte Quäntchen Glück fehlt.
Sie waren als Gold-Favoriten nach Crozet gekommen - zwei Silbermedaillen sind es für Cathrine Laudrup-Dufour und Mount St John Freestyle geworden.
Werth holt Bronze
Die Bronzemedaille ging wie schon im Spécial an Isabell Werth und Wendy de Fontaine. Die deutsche Rekordreiterin zeigte heute ihre beste EM-Prüfung in Crozet. Die Kür – perfekt zugeschnitten auf die Stärken der Sezuan-Tochter – sorgte für Begeisterung beim Publikum. Besonders die Piaffe-Passage-Tour war erstklassig. Fehler in den Wechseln und in der Trabtraversale kosteten Punkte, doch Werths musikalisches Timing und ihr unnachahmliches Kürgespür brachten Höchstnoten in der Choreografie: siebenmal die 10. 88,046 % bedeuteten Bronze – ein Ergebnis, das Werth durchaus zufrieden entgegennahm: „Wendy war so gut in den Piaffen und in den Übergängen. Das freut mich ungemein. Wir haben keine zwei Prozent Unterschied zwischen den drei besten Paaren.“
Harmonie bei Moody, Spannung bei Fry
Dicht dran an den Medaillen: Becky Moody (GBR) und ihr charmanter Jagerbomb, deren feiner, harmonischer Auftritt mit 86,982 % belohnt wurde - und den der niederländische Richter bei F gar mit 90,475 % und Platz drei adelte.
Weit weniger gut lief es für Moodys Teamkollegin Lottie Fry. Vor zwei Jahren hatte die in den Niederlanden ansässige Britin mit ihrem Glamourdale in der Kür noch Silber geholt – mit 92,379 %, nur hauchdünn hinter Jessica von Bredow-Werndl und Dalera. Vor der EM in Crozet zählten die Doppel-Weltmeister von 2022 zu den Mitfavoriten. Doch diesmal wollte es nicht recht laufen: Rang 6 im Grand Prix, Platz 9 im Spécial – weit entfernt von den eigenen Ansprüchen. In der Kür wollte das Paar wieder in die Spur finden, das Gegenteil war der Fall. Die Trabtour glich einem Ritt auf dem Vulkan: Spanntritte, Taktfehler, fehlende Losgelassenheit. Erst im Galopp kam der Hengst besser in den Rhythmus, doch die Schlusslinie mit Piaffe und Passage wurde erneut zum Krampf. Dass das Paar dennoch von zwei Richtern Noten im mittleren 80-Prozent-Bereich erhielt, wirft Fragen auf – und liefert neuen Zündstoff für eine alte Debatte: Sollten die Maßstäbe im Viereck nicht konsequent Harmonie und Losgelassenheit über Spektakel und Showeffekte stellen?
Dass Harmonie über Spektakel siegen kann, haben einige Paare bei dieser EM eindrucksvoll gezeigt. Manche wurden sogar mit einer Medaille belohnt.
Alle Ergebnisse im Detail gibt es hier.