Erst stinksauer, dann mit großem Teamspirit ein Nuller zur Eröffnung: Meredith Michaels-Beerbaum und Fibonacci. © Tomas Holcbecher
Mit einem Knalleffekt begann der Sonntagmorgen, als bekannt wurde, dass Marcus Ehnings Cornado verletzungsbedingt nicht starten kann und im deutschen Team durch Meredith Michaels-Beerbaum mit Fibonacci ersetzt werden muss. Ein enttäuschter Ehning: „Am Vortag war er noch richtig gut drauf, beim Trainingsspringen hat er sich aber offenbar vertreten und in der Früh trabte er unrein. Das Risiko eines Antretens scheint einfach zu groß, in erster Linie geht es ja ums Pferd. Es ist halt nur so, dass es bei mir die zweite Olympiade ist, wo mir das passiert.“ 2004 in Athen musste der Deutsche nach einer Verletzung seines For Pleasure ebenfalls in letzter Minute zurückziehen.
Eine Genugtuung jedenfalls für die ehrgeizige Amazone Michaels-Meredith, die nach Aachen mit ihrem Reservistendasein haderte, sich aber dennoch voll in den Dienst der Sache stellte und nach Rio mitflog. Im Gegensatz zur niederländischen Dressurequipe, bei denen die Ersatzreiterinnen Madeleine Witte-Vrees und Danielle Heijkoop zu Hause blieben, wodurch das Team nach dem Ausfall von Parzival auf drei Reiter schrumpfte.
In Europa fast unbekannt, bei Olympia fehlerfrei: Der Brasilianer Stephan de Freitas Barcha auf Landpeter do feroleto. © Tomas Holcbecher
Ein Wort zum Parcoursbau: Der Brasilianer Guilherme Jorge stellte bereits an Tag 1 gewaltige Anforderungen an die 75 Teilnehmer. Bei Olympia ist ja die erste Prüfung kein Zeitspringen, sondern eine Prüfung nur nach Punkten und ohne Stechen. Für den am Dienstag und Mittwoch ausgetragenen Nationenpreis wird lediglich die Startreihenfolge nach den Punkten des Eröffnungsspringens errechnet, die Ergebnisse zählen aber für die Einzelwertungsquali. Ins Einzelfinale am Freitag kommen die besten 35 nach drei Tagen, dann geht es wieder bei Null los.
Pénélope Leprevost musste schon zittern, ob ihre Flora de Mariposa fit wird, dann stürzte sie gleich am ersten Tag - bitter für die Französin! © Tomas Holcbecher
Apropos Nationenpreis: Die Schweizerin Jannika Sprunger meinte etwa, dass heuer einige Nationenpreise leichter gewesen wären als hier diese Auftaktprüfung. Das spiegelte sich auch in den Ergebnissen wieder, bei denen sich die Zahl der Nullfehlerritte in Grenzen hielt (24). Sensationellerweise gelang dies neben den Deutschen auch den Brasilianern. Entsprechend gute und laute Stimmung herrschte dementsprechend heute im Stadion.
Das Aus kam leider u.a. für die Einzelreiter Nicolas Philippaerts (BEL) und Emanuele Gaudiano (ITA). Jur Vrieling (NED) musste nach zwei Verweigerungen aus dem Parcours und ist im Einzel ebenso draußen wie die gestürzte Pénélope Leprevost (FRA) und Rolf Goran Bengtsson (SWE), im Mannschaftsspringen dürfen die drei dagegen am Dienstag dabei sein. Aufregung und Konfusion herrschte noch nach dem letzten Reiter über die Disqualifikationen. Unbestritten, dass man einige Ritte sah, die eines Olympischen Bewerbes nicht würdig waren und die Maßnahmen der Jury über den Peitschengebrauch wäre auch einmal zu überdenken.
Nur als Zuseher bekommt man in Rio de Janeiro Rodrigo Pessoa zu sehen. In London durfte er 2012 noch die Fahne seines Landes bei der Olympischen Eröffnungsfeier tragen, in seinem Heimatland stellte ihn Teamchef George Morris wegen fehlender Resultate nicht ins brasilianische Team. Zumindest Tag 1 gibt dem Ex-US-Coach recht!
Österreich am Zuckerhut
Am Samstag gab es bei den Reitbewerben den ersten Ruhetag. Abends stand daher eine Einladung der Pferdeleute ins Österreich-Haus auf der Tagesordnung. Dieses liegt im Stadtteil Botafogo in Sichtweite zum zuckerhut und wird täglich von den einheimischen Cariocas gestürmt. Das in London und Sotschi bewährte Prinzip Österreich in erster Linie kulinarisch zu präsentieren, bewährt sich auch in Rio. Eine endlose Schlange wartet jeden Abend vor dem Einlass, für mich gibt es amVIP-Eingang den Tagespass und schon ging es hinein ins Clubhaus des brasilianischen Fußballklubs Botafogo. Fußballfans sind sicherlich die Namen Garrincha, Jairzinho, Mario Zagallo, Julio Cesar, Didi, Nilton Santos, Bebeto und Jefferson ein Begriff, sie alle trugen die schwarz-weißen Clubfarben. Botafogo hatte erst unlängst den Wiederaufstieg in die höchste Spielklasse Brasiliens geschafft und ist einer von vier Vereinen, die in Rio zu Hause sind. Der Club verfügt über eine Fan-Basis von rund acht Millionen, die Facebook-Seite wird von 1,2 Millionen verfolgt.
Die Miete des Gebäudes ist allerdings auch kein Pappenstiel, 350.000 Euro kosten dem ÖOC diese 35 Tage, Locations an der Copacabana sind jedoch noch viel teurer. Finanziert wird das großteils privat und ohne sportöffentliche Fördermittel. Warum sich ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel, der fast 100 Möglichkeiten sondiert hatte, am Ende für das Fußball-Clubhaus entschied? „Wer zum Zuckerhut will, muss am Österreich-Haus vorbei.“ Als Magnet hilft ein angrenzendes Einkaufszentrum, das täglich von 40.000 Personen frequentiert wird. Dort errichtete das ÖOC eine Kletterwand, die natürlich nach der Aufnahme von Sportklettern ins Olympische Programm eine besondere Attraktion darstellt.
1.000 Quadratmeter umfassen die Räumlichkeiten, Prunkstück der feudalen Residenz ist der Gala-Saal, wo 250 Personen feiern können. Am gestrigen Abend gab es hochkarätige Gäste, etwa Bart Conner, den doppelten Turnolympiasieger von Los Angeles und Ehemann der Turnlegende Nadia Comaneci.
Das typische österreichische Essen und Trinken war für mich nach über einer Woche „brazilian food“ wieder etwas gewöhnungsbedürftig. Aber die Gastronomie funktioniert auf europäischem Standard, dafür sorgen auch die 29 Tourismusschülerinnen, die vor Ort sind. Insgesamt 36 Tonnen Lebensmittel wurden via Rotterdam nach Rio de Janeiro transportiert wurden: 1,2 Tonnen Käse, 1,5 Tonnen Speck, 20.000 Liter Bier, 8.000 Flaschen Sekt und Wein. Die übrigen Lebensmittel kauft man frisch vor Ort in Rio ein: 2 Tonnen Rindfleisch, 2,5 Tonnen Schnitzelfleisch, 1,5 Tonnen Hühnerfleisch, 1 Tonne Erdäpfel, 400 kg Gemüse, 200 kg Limetten, 10.000 Flaschen Mineralwasser und Softdrinks.
Die Gastgeber: ÖOC-General Peter Mennel, Vici Max-Theurer, Peter Schröcksnadel, Sissy Max-Theurer, ÖOC- Präsident Kurt Stoss. © ÖOC-Erich Spiess
Allzusehr konnte ich den mittlerweile ungewohnten Luxus aber nicht genießen, denn einen Nachteil besitzt die Lage des Hauses: Es ist sowohl vom Olympiadorf in Barra als auch von unserem Quartier in Deodoro über 35 km entfernt. Als ich mich dann noch in der Innenstadt etwas verlaufe und erst nach mehrmaligem Nachfragen die Metro-Station fand, war es schon halb Elf geworden, aber der Shuttle-Bus-Fahrer holt auf der Strecke „Downtown Transportation Hub“ in unser Village mit tollkühner Fahrweise einiges auf. Boa noite!