Unerlaubte Trainingsmethoden

Steht Deutschland vor einer neuen Barr-Affäre?

Ein Artikel von Pamela Sladky | 11.05.2021 - 10:09
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Symbolfoto © www.slawik.com

Beim Barren handelt es sich um eine umstrittene Trainingsmethode, bei der nach dem Absprung die oberste Stange angehoben wird, damit das Pferd mit den Beinen daran anschlägt. Auf diese Weise soll es lernen, Hindernisse höher einzuschätzen, als sie eigentlich sind, um künftig vorsichtiger und höher zu springen. In Deutschland ist diese Technik seit gut 30 Jahren verboten, nachdem die sogenannte Barr-Affäre rund um den damaligen Springreiter und Ausbilder Paul Schockemöhle medial für einen Aufschrei der Empörung gesorgt hatte.  

Doch offenbar wird dieses Verbot nicht immer eingehalten. Das zumindest behauptet der TV-Sender RTL, der vorgibt, über Videomaterial zu verfügen, das die Ausübung der tierschutzwidrigen Trainingsmethode zeigt. RTL trat mit dieser Information an die Deutsche Reiterliche Vereinigung heran, das gesamte Material, Aufnahmedatum und den Namen der beteiligten Personen sowie etwaiger Zeugen wollte der Sender trotz mehrmaliger Aufforderung jedoch nicht aushändigen, heißt es in einer Pressemitteilung der FN.

„Das Wohl der Pferde steht im Pferdesport über allen anderen Interessen. Um unsere Verantwortung für den Tierschutz wahrnehmen zu können, haben wir RTL mehrfach gebeten, uns das vollständige Videomaterial zur Verfügung zu stellen. Wir möchten herausfinden, ob tatsächlich verbotene Trainingsmethoden angewendet wurden. Wir haben ebenfalls dazu aufgefordert, uns die darin gezeigten Personen zu benennen, damit wir den Sachverhalt prüfen und gegebenenfalls verfolgen können. Unseren mehrfachen Bitten und Aufforderungen, das vollständige Material vorzulegen, ist RTL nicht nachgekommen. Wir vermuten, dass es RTL mit seinem Beitrag nicht um das Wohl der Pferde geht oder darum, eventuelles Fehlverhalten aufzudecken, sondern rein um die Skandalisierung der ihnen vorliegenden Szenen“, bedauert FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach.

Die Vereinigung geht nun in die Offensive und hat bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt erstattet. „Wir erhoffen uns von der Anzeige, dass sich die Behörden im Zuge ihrer Ermittlungen das Videomaterial verschaffen und aufklären, ob hier das Tierschutzgesetz verletzt wurde“, so Lauterbach.

Erstmals mit einer Anfrage zum Einsatz tierschutzwidriger Methoden im Pferdesport an die FN herangetreten war RTL bereits im Juli 2020. In Gesprächen stellte sich heraus, dass dem Sender Videomaterial vorliege und man einen Beitrag zum Thema Barren vorbereite. „Offenbar liegt RTL seit fast einem Jahr Material vor, auf dem vielleicht zu sehen ist, wie gegen unsere Regelwerke und möglicherweise gegen das Tierschutzgesetz verstoßen wird. Wir werden im Unklaren gelassen, was genau in dem Videomaterial zu sehen ist und in welchem Gesamtkontext der Beitrag erscheinen wird. Es kann nicht sein, dass dieses Material noch länger unter Verschluss bleibt und vielleicht sogar weiterhin Pferden Dinge angetan werden, die ihnen schaden“, ärgert sich der FN-Generalsekretär.


Barren oder  Touchieren?

Vorgelegt wurde der FN vonseiten des Senders bislang ein „wenige Sekunden langer, verpixelter Video-Zusammenschnitt“. Dieser ließe aber keine Schlussfolgerung oder Einschätzung zu. Unklar scheint, ob es sich bei der gezeigten Vorgehensweise tatsächlich um das verbotene Barren handle, oder möglicherweise um ein Touchieren, das laut FN-Regelwerk als Ausbildungshilfe erlaubt ist. „Die Anfrage von RTL hat uns vor Augen geführt, dass es uns trotz aller vorhandenen Formulierungen schwerfällt zu veranschaulichen, abzugrenzen und zu vermitteln, wo der Unterschied zwischen dem erlaubten Touchieren und dem verbotenen Barren liegt. Touchieren ist nicht tierschutzwidrig und fügt dem Pferd keine Schmerzen, Leiden oder Schäden zu.“ Allerdings räumt Lauterbach ein, dass auch zulässige Trainingsmethoden Missbrauchspotenzial bieten, zum Beispiel, wenn sie bei zu jungen Pferden oder nicht fachkundig angewendet würden. „Es ist jetzt offensichtlich an der Zeit, diese und auch andere Methoden auf Basis aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und mit Blick auf gesellschaftliche Akzeptanz erneut zu begutachten sowie unsere Richtlinien und Regelwerke, falls nötig, anzupassen.“

Bis zum Ende des Jahres 2021 soll eine Kommission aus haupt- und ehrenamtlichen Vertreter*innen der Pferdesport- und Zuchtverbände, Trainer*innen und Spitzenreiter*innen der Olympischen Disziplinen sowie Wissenschaftler*innen und Veterinär*innen strittige Trainingsmethoden überprüfen und, wo nötig, Vorschläge für Regelwerksänderungen machen.

Ein ausführliches Inerview mit FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach können Sie hier nachlesen.