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Wallache gelten als umgänglicher und leichter handelbar als Hengste. © www.slawik.com

Kastration: Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an

Ein Artikel von Sabine Brandt/Edmund Hainisch | 14.06.2016 - 11:53
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Wallache gelten als umgänglicher und leichter handelbar als Hengste. © www.slawik.com

Schon das mittelasiatische Reitervolk der Skythen praktizierte die Kastration ihrer Hengste um 1000 vor Christus, um so kriegstaugliche, möglichst groß gewachsene, gutmütige Reitpferde zu erhalten, die man auch problemlos in Herden halten konnte. Bis heute gilt der Wallach, dessen Bezeichnung sich auf das teutonische Wort für „Ausländer“ – Walh – zurückführen läßt, welches der Walachei und den kastrierten Hengsten aus dieser Gegend ihren Namen gab, als zuverlässiges, umgängliches und meist unkompliziertes Reitpferd, das sehr erfolgreich am Turnier eingesetzt werden kann. Selbst im Rennsport konnten Wallache große Berühmtheit erlangen – man denke nur an den mehrfachen Steeplechasesieger Red Rum oder den unvergessenen Phar Lap.

Die Kastration eines männlichen Pferdes zielt im Wesentlichen darauf ab, selbiges fügsamer zu machen, es besser kontrollieren zu können und von der Zucht auszuschließen. Bis vor etwa 50 Jahren wurde der Eingriff hauptsächlich an ein- bis zweijährigen Hengsten durchgeführt, da die Operation ohne Betäubung vor Ort erfolgte, was für die Tiere erheblichen Stress bedeutete. Mit Hilfe moderner operativer Techniken und optimierter begleitender Maßnahmen kann eine Kastration heute an sehr jungen Hengsten erfolgen, ohne diese körperlich oder psychisch mehr als nötig zu belasten. Dennoch schrecken viele Hengstbesitzer davor zurück, den Eingriff zu früh vornehmen zu lassen. Zum einen lässt sich ein potenzieller Hengstanwärter nicht immer früh erkennen, zum anderen wird häufig die Meinung vertreten, daß sich ein männliches Tiere nach dem Erlangen der sexuellen Reife und der damit einhergehenden Testosteronausschüttung prächtiger entwickelt und nach spät erfolgter Kastration die Ausstrahlung, das Aussehen und das gewisse „Feuer“ eines Hengstes beibehält.

Zahlreiche Studien widerlegen diese Annahme jedoch eindeutig: Jene Muskelmasse, welche allein hormonbedingt gebildet wird, baut der Wallach unabhängig vom Kastrationszeitpunkt langsam wieder ab. Darüber hinaus kostet die durch das Testosteron hervorgerufene Muskelbildung beim heranreifenden Hengst einen guten Teil jener Energie, die ein bereits kastriertes Jungtier andernfalls in das Skelettwachstum investiert hätte. Fazit: Eine späte Kastration beeinflusst das Größenwachstum eher negativ und gegebenenfalls höchstens den Körperfettanteil.

Methoden im Vergleich

Nicht genug, dass sich der Hengstbesitzer also über den Zeitpunkt der gewünschten Kastration im Klaren sein muss, hat er außerdem zu entscheiden, auf welche Art und Weise diese durchgeführt werden soll. In der Regel wird er eine Operationstechnik befürworten, die bei moderatem finanziellem Aufwand das geringste gesundheitliche Risiko für sein Pferd birgt. Generell wird zwischen einer Kastration mit unbedecktem und bedecktem Samenstrang unterschieden, je nachdem also, ob die Bauchhöhle oberhalb der Hoden dabei eröffnet wird oder nicht.

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Die unbedeckte Kastration kann im Stehen oder in Feldnarkose vor Ort durchgeführt werden, gilt als schnell und billigt, birgt jedoch erhöhte Risiken für Patienten und Tierarzt. © www.slawik.com

Bedeckt oder unbedeckt?

Die unbedeckte Kastration wird meist am stehenden, sedierten Pferd unter lokaler Betäubung (oder in Feldnarkose) vor Ort durchgeführt. Im Wesentlichen wird der Hodensack vollständig aufgemacht, wodurch die Hoden herausfallen und die Bauchhöhle damit eröffnet ist. In der Folge wird der Emaskulator – eine oberhalb quetschende/unterhalb schneidende Zange – über jedem Hoden relativ hoch angesetzt und für einige Minuten zugedrückt. Dadurch werden Blutgefäße durch Quetschung verschlossen und die Testikel in Folge darunter abgeschnitten. Sofern keine weiteren Blutungen auftreten, für deren Stillung der Emaskulator gegebenenfalls noch einmal zum Einsatz kommt, ist die Operation im Prinzip abgeschlossen. Diese Methode hat den Vorteil, schnell und billig zu sein, birgt jedoch Risiken für den Tierarzt und den Patienten. Auch das sedierte Pferd vermag auszuschlagen und den behandelnden Veterinär zu verletzen. Beim unbedeckt kastrierten Pferd kann es in seltenen Fällen zu erheblichen Blutungen oder etwa einem lebensbedrohlichen Darmvorfall kommen, was einen Abtransport an die Klinik und einen weit kostspieligeren, nicht immer rettenden Eingriff erforderlich macht. Bakterielle Infektionen kommen in Folge unbedeckter Kastration selten vor, da die Wunde offen bleibt und eventuell vorhandene Keime durch Sekret ausgeschwemmt werden.

Die bedeckten Formen der Kastration werden grundsätzlich am liegenden Pferd unter sterilen Bedingungen in Vollnarkose durchgeführt. Häufig an Kliniken angewandte Operationstechniken sind die Skrotalablation und die Kastration nach Schouppé.

Bei der Skrotalablation wird die Skrotalhaut, welche die äußere Hülle des Hodensacks bildet, angehoben und ein Lappen mit der Schere entfernt („Ablation“ – Abtragen unerwünschten Gewebes), so dass mittels dieses Fensters ein Zugang zu beiden Hoden geschaffen wird. Im Anschluss werden die Testikel herauspräpariert und Samenstrang sowie Blutgefäße mit jeweils einer doppelten Schlinge vor Absetzen des Hodens abgebunden. Schließlich wird die verbleibende Skrotalhaut flach zusammengezogen und vernäht.

Nach Schouppé werden zu Beginn zwei parallele Längsschnitte durch die Skrotalhaut durchgeführt, um so die Präparation, das Ligieren und das Absetzen wie oben beschrieben zu ermöglichen. Diese Hautschlitze werden dann offen gelassen, um gegebenenfalls den Abfluss von Wundsekret zu gewährleisten. Beide Methoden unterscheiden sich also hinsichtlich der Art und Weise, wie anfangs der Zugang zu den Hoden geschaffen und abschließend mit der Skrotalhaut verfahren wird.

Mögliche Komplikationen
Grundsätzlich stellt eine fachgerecht durchgeführte Kastration mit verantwortungsvoll durchgeführter Vor- und Nachbetreuung einen Routineeingriff dar. Dennoch kann es in einzelnen Fällen zu Komplikationen kommen, auf die man entsprechend reagieren muß. Es können bei der unbedeckten Kastration starke arterielle Blutungen auftreten, die ein Abklemmen/Ligieren des Samenstrangs und der assoziierten Blutgefäße eventuell in Vollnarkose erfordert. Schwache venöse oder Hautgefäßblutungen treten ebenfalls gelegentlich auf und werden mittels Tamponade gestillt. Bei der unbedeckten Kastration ist in seltenen Fällen ein Darmvorfall möglich. Als erste Hilfsmaßnahme sollte ein weiteres Vorfallen durch z.B. Umbinden eines Tuchs sowie Sedierung verhindert und das Tier schnellstmöglich an eine Klinik überwiesen werden. Ist ein Transport nicht durchführbar, kann es einem geübten Chirurgen eventuell vor Ort gelingen, den Darm zurückzuverlagern und den Leistenring zu verschließen. Im Extremfall ist der austretende Darm bereits grob verschmutz oder verletzt, so dass das Pferd nur noch eingeschläfert werden kann. Eine Komplikation der bedeckten Kastration stellt die Samenstrangfistel dar, ein Abflusskanal, der infolge einer inneren Wundinfektion entsteht, die von der dort angebrachten Ligatur und dem aus ihr resultierenden Fremdkörperreiz begünstigt wird und laufend Eiter nach außen absondert. Ein Grund mehr, bedeckte Kastrationen nur unter streng antiseptischen Bedingungen am besten in einem dafür vorgesehen OP durchzuführen. Hier muss nun versucht werden, die Wunde zunächst von Keimen zu befreien und die Entzündung zum Abklingen zu bringen, um anschließend operativ eingreifen zu können. Diese Komplikation ist zwar nicht unmittelbar lebensbedrohlich, jedoch hartnäckig und erfordert bis zu ihrem Abklingen in fast allen Fällen einen neuerlichen chirurgischen Eingriff, viel Zeit und Geduld. Vermehrte Wundschwellung (Ödeme) als weitere Komplikationsmöglichkeit wird mittels Kaltwasser, Bewegung und nicht steroidalen Entzündungshemmern (NSAIDs) bekämpft. Blutergüsse und Serome müssen drainiert werden bzw. gelüftet, um ein Abfließen zu gewährleisten. Wundinfektionen können ebenfalls als Folge einer Kastration entstehen und werden mittels Antibiotika, Kaltwasser, Lüften, NSAIDs und Bewegung therapiert.

Risikohäufigkeit im Verlgeich

Angesichts der möglichen Komplikationen stellt sich unwillkürlich die Frage, inwieweit sich dieses Risiko trotz des Einsatzes modernster Techniken weiter minimieren lässt. Um dies festzustellen, wurde die Häufigkeit auftretender Komplikationen im Rahmen einer an der Veterinärmedizinischen Universität Wien durchgeführten Studie untersucht, die die beiden Verfahren der Skrotalablation der Kastrationsmethode nach Schouppé gegenüberstellten. Die Kastration aus der Leiste wurde ebenfalls mitbeurteilt.

Die Studie umfasste 480 Hengste. Davon wurden 326 nach Schouppé, 124 durch Skrotalablation und 30 aus der Leiste kastriert. Als Komplikation konnten auftretende Hämatome/Serome, Ödeme, Infektionen, Blutungen, Samenstrangfisteln und Bindegewebsvorfälle festgestellt werden. Darmvorfälle wurden nicht beobachtet und treten bei bedeckter Kastration gewöhnlich auch nicht auf.
Insgesamt führte die Kastration nach Schouppé zu Komplikationen in 181/326 Fällen (55,52 %), wobei es sich vorwiegend um Blutergüsse und in etwa der Hälfte der Fälle um heraustretendes Bindegewebe handelte, das entsprechend entfernt wurde. Die Skrotalablation hatte in 23 von 124 Fällen (18,55 %) lediglich leichte Komplikationen zur Folge, nämlich Blutergüsse, Ödeme oder Blutungen. Bei dieser Art der Kastration wurden weder Samenstrangfisteln, noch Infektionen oder Bindegewebsvorfälle beobachtet. Sehr ähnlich schnitt auch die Kastration aus der Leiste ab, wobei jedoch die 30 auf diese Weise durchgeführten Kastrationen keine deutlich signifikanten Informationen liefern können und zwei Samenstrangfisteln festgestellt wurden.

Sieht man vom relativ leicht zu behebenden Bindegewebsvorfall ab, der eine typische Komplikationsform der Kastration nach Schouppé darstellt, so führten die drei verglichenen Methoden zu ähnlich zufriedenstellenden Ergebnissen, wobei der Skrotalablation ein leichter Vorzug zu geben ist, da hier keinerlei Infektionen und keine Samenstrangfisteln beobachtet wurden.

Komplikationshäufigkeit
nach SchouppéSkrotalablationLeiste
insgesamt181/326 (55,52 %)23/124 (18,55 %)6/30 (20 %)
Hämatom/Serom44 (24,31 %)11 (47,83%)2 (33,3 %)
Ödem21 (11,6 %)10 (43,48 %)2 (33,3 %)
Infektion6 (3,31 %)00
Blutung12 (6,63 %)2 (8,7 %)0
Samenstrangfistel5 (2,76 %)02 (33,3 %)
Bindegewebsvorfall93 (51,38 %)00

Eine Frage des richtigen Zeitpunkts.

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Summary: --- Alt: --- Keyword: --- Doc.Name: "Methoden_Komplikationen.jpg"

Soweit, so gut, und damit wäre die Studie auch schon zu Ende gewesen, hätte man sich nicht die Mühe gemacht, auch das Alter der Hengste zum Zeitpunkt der Kastration mit ins Spiel zu bringen. Dieses Alter betrug im Durchschnitt 4,17 Jahre und Komplikationen verteilten sich wie folgt:

Komplikationsraten in Korrelation zum Alter der Pferde zum Zeitpunkt der Kastration
0–1 Jahr16,7 %
1–2 Jahre 17,3 %
2–3 Jahre37,8 %
> 3 Jahre52,3 %

Und hier lässt sich nun ein sehr eindeutiger Trend erkennen, mit dem nicht gerechnet wurde: Ab einem Alter von zwei Jahren stieg die Komplikationsrate schlagartig an und betrug ab dem vierten Lebensjahr 50 % oder mehr. Beurteilt man nun die Häufigkeit von Komplikationen in Bezug auf Alter und Kastrationsmethoden, so ergibt sich folgende Darstellung:

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Summary: --- Alt: --- Keyword: --- Doc.Name: "Komplikationen_Alter_Methode.jpg"

Es lässt sich unschwer erkennen, dass die Skrotalablation bei Null- bis Dreijjährigen zwar besser als die Kastration nach Schouppé abschnitt, es bei älteren Tieren jedoch relativ egal zu sein schien, welche der beiden Methoden eingesetzt wurde, wenn man vom höheren Risiko der Fistelbildung bei Schouppé absieht, da beide Methoden ab dem vierten Lebensjahr dramatisch häufiger Komplikationen zur Folge hatten.

Besitzern eines zu kastrierenden Hengstes kann daher folgende Botschaft mitgegeben werden: Das Risiko einer Komplikation nach Kastration, und damit hohe Kosten, Klinikaufenthalt und Leid für das Tier aufgrund eines Aberglaubens – größere Ausstrahlung durch Erlangen der sexuellen Reife – können dadurch minimiert werden, dass der Eingriff im ersten oder zweiten Lebensjahr des männlichen Pferdes erfolgt. Die späte Kastration scheint übrigens nur in unseren Breiten üblich. In Großbritannien und den USA werden Hengste in der Regel mit 18 Monaten kastriert, was deutlich geringere Komplikationsraten zur Folge hat. Anzumerken ist letztendlich, dass eine, etwa aus Kostengründen gewählte, unbedeckte Kastration nur bei null- bis zweijährigen Pferden anzuraten ist, da die Blutungsgefahr schon bei dreijährigen weit höher ist.

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