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Universell: Egal ob Freizeit-, Barock- oder Sportpferd – von der Ausbildungsskala profitieren alle Pferdetypen. © www.slawik.com

Evergreen mit Geschichte und Zukunft: Die Skala der Ausbildung

Ein Artikel von Dr. Britta Schöffmann | 11.06.2015 - 09:39
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Universell: Egal ob Freizeit-, Barock- oder Sportpferd – von der Ausbildungsskala profitieren alle Pferdetypen. © www.slawik.com

Auf der Suche nach immer neueren, moderneren Trainingsmethoden hat es in den vergangenen Jahren häufig emotionsgeladene Diskussionen rund um den Pferdesport gegeben. Rollkur, Hyperflexion, LDR – sind drei Begriffe für mehr oder weniger ein und dieselbe „Enge-Hals-Methode“, die die Anhänger der Ausbildungsskala regelmäßig auf die Barrikaden treibt. Dabei hat es Irrungen und Wirrungen schon in der Frühzeit der Reiterei gegeben. Statt auf die Brust gezogener Hälse gab es damals folterinstrumentähnliche Kandarenzäume, angespitzte Sporen in Überlänge und jede Menge Zwang und Brutalität gegenüber den Pferden.

Einen ersten Lichtblick verzeichnete die Reiterei mit dem Heerführer und Philosophen Xenophon, der bereits 400 vor Christus in seinem bis heute bekannten Werk „Peri hippikés“ von der Kunst des Reitens sprach und die Zusammenhänge von Vertrauensbildung und Erziehung sowie von Annehmen, Nachgeben und Unterschieben der Hinterhand beschrieb. Seine Überlegungen gerieten aber wieder in Vergessenheit, das zarte Pflänzchen der Reitkunst verdorrte, gebräuchlich war ein brachialer Umgang mit Pferden und ein grobes, simples Reithandwerk.

Erst im 16. und 17. Jahrhundert bewegte sich die Reiterei durch Männer wie Antoine de Pluvinel („Das Pferd muss selber Freude an der Reiterei haben, sonst gelingt dem Reiter nichts in Anmut“), den Herzog von Newcastle (Erfinder der meisten heutigen Lektionen) und Francois Robichon de la Guérinière (Begründer des tiefen Reitersitzes) wieder in Richtung Kunst. Von der Skala der Ausbildung war damals allerdings noch nicht die Rede, lediglich einzelne Punkte daraus wurden von den Vertretern der sogenannten Schulreiterei in den Fokus gestellt.

Ein jähes Ende fand die aufstrebende neue Reitkultur mit der französischen Revolution, galt diese Art des Reitens doch als dekadent und damit als überflüssig. Erst im 19. Jahrhundert gelang es über die Dominanz der Kavallerieschulen Saumur und später Hannover, die Reiterei erneut zu verfeinern und zu systematisieren. Dabei gab es zwei gegenläufige Hauptrichtungen: Die des Francois Baucher, der intensive Versammlung, seltsamen Rückwärtsgalopp, Biegen des Pferdehalses im Stand sowie die Maßgabe „Hand ohne Bein, Bein ohne Hand“ propagierte, und die des Adelssprosses D’Auré, der sich für das Vorwärtsreiten am langen, tiefen Hals aussprach, für Tempowechsel und die Hinzunahme von Springtraining. Ein Schüler der beiden Kontrahenten, General Alexis L’Hotte, verband aus beiden Lehren das seiner Meinung nach Nützliche und Sinnvolle und formulierte die Forderung des „gelassen, vorwärts, gerade“ – ein Prinzip, das bis heute gilt.
 

Die Grundlage aller Richtlinien

Letztlich war es der gebürtige Sachse Gustav Steinbrecht (1808–1885), der aus all den Erkenntnissen der großen Reitmeister und aus seinen eigenen Erfahrungen als Reitausbilder sein angesehenes Werk „Gymnasium des Pferdes“ verfasste. Seine Gedanken waren es auch, die später in die berühmte „H.Dv. 12“, die Heeresdienstvorschrift, einflossen.

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Gustav Steinbrecht gilt als Vater der deutschen Reilehre.

Diese Reitvorschrift war ab 1912 bindend für die deutsche Kavallerie und stellt bis heute die Grundlage für die Richtlinien (für Reiten und Fahren) der Deutschen Reiterlichen Vereinigung mit ihrer „Skala der Ausbildung“ als Mittelpunkt dar. Streng genommen ist die Ausbildungsskala also gar kein „German System“ – als welches sie gerne bezeichnet wird –, sondern ein „European System“, das sich – vom Pferd vorgegeben – über Jahrhunderte entwickelt hat und in dem sich alle guten Ideen, Gedanken und Erfahrungen internationaler Reitmeister zusammenfanden. Das wirklich „deutsche“ an der Skala ist wohl die Tatsache, dass sich mit Steinbrecht ein Deutscher die Mühe gemacht hat, Bewährtes zusammenzutragen, was in der H.Dv 12 schließlich systematisiert wurde. Deutsche Gründlichkeit eben.

Genauso gründlich wie die Inhalte der Ausbildungsskala gesammelt wurden, sind sie inzwischen auch erforscht, sind biomechanische, physiologische und psychologische Zusammenhänge untersucht und beschrieben worden. Takt, Losgelassenheit und Anlehnung etwa, also das Grundgerüst, das Fundament der Ausbildung, hat viel mit Exterieur und Interieur zu tun und mit dem sport- bzw. veterinärmedizinischen Wissen um Muskelarbeit, Durchblutung und Sauerstoffsättigung. Wird hier geschludert oder zu schnell gearbeitet, wird sich das in der weiteren Ausbildung negativ auswirken, werden die Punkte Schwung, Geraderichtung und Versammlung nicht oder nur ungenügend erreicht. Dabei sind die einzelnen Elemente der Ausbildungsskala eng miteinander verzahnt, bauen aufeinander auf, ergänzen einander und müssen täglich neu erarbeitet werden. Ein nacheinander „Abhaken“ ist demnach nicht möglich. Wenn dem so wäre, ließe sich ein Pferd, einmal gut ausgebildet, von jedermann auf höchstem Niveau nachreiten, würde quasi auf Knopfdruck reagieren wie ein einmal getuntes Auto. Dass dem nicht so ist, weiß jeder, der einmal gesehen hat, was geschieht, wenn ein unerfahrener oder gar schlechter Reiter ein ehemals „gutes“ Pferd eine Zeitlang alleine reitet. Weg ist der Glanz, verschwunden die Ausstrahlung, die Gänge verlieren an Qualität, von Durchlässigkeit ganz zu schweigen

Die Ausbildungsskala als Trainingssystem

Die Arbeit gemäß der Ausbildungsskala muss letztlich als ein Trainingssystem verstanden werden, das Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer des Pferdes schult, verbessert und erhält und es in die Lage versetzt, den Anforderungen des Reiters – egal ob Spitzensport oder Freizeitreiterei – ohne Schädigung der Gesundheit genügen zu können, mit dem Ziel, Leichtigkeit und Harmonie auszustrahlen. Die immer mal wieder auftauchenden Streitigkeiten zwischen Befürwortern und Kritikern der Ausbildungsskala, aber auch innerhalb der Befürworter um die Reihenfolge der einzelnen Punkte ist letztlich müßig. Offiziell steht zum Beispiel der Takt an erster Stelle, vor der Losgelassenheit und der Anlehnung. Manch ein Experte sieht jedoch die Losgelassenheit vornan, hält sie für die Grundlage allen Reitens. Letztlich hängt die Reihenfolge vom jeweiligen Pferd und seinen individuellen Eigenheiten ab. Ein „heißer Ofen“ beispielsweise muss sich sicher erst einmal entspannen, bevor er sich taktsicher bewegen kann. Ein von Natur aus ruhiges Pferd dagegen kann sich durch (meist vom Reiter hervorgerufene) Taktprobleme verspannen (siehe Teil II dieser Serie). Die Skala ist letztlich als Gesamtpaket zu sehen, als ein Haus mit Kellerräumen, Wänden und Dach, bei dem das eine nicht ohne das andere existieren kann, das sich aber auch nicht gänzlich auf den Kopf stellen lässt, sondern einem bestimmten Aufbau folgt.

Thema Takt

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Wichtig: Regelmäßiges dehnen lassen nach Reprisen in Arbeitshaltung ist wichtig für die Losgelassenheit und den Muskelaufbau. © www.slawik.com

Takt wird definiert als das räumliche und zeitliche Gleichmaß der Schritte, Tritte und Sprünge. Von Natur aus sind die meisten Pferde mit einem reinen Takt in ihren Grundgangarten ausgestattet. Probleme entstehen meist erst durch unsachgemäßes Reiten. Besonders beim Anreiten reagieren manche Pferde zunächst mit einer Verkrampfung des Rückens, um das ungewohnte Reitergewicht tragen zu können und ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Ein erfahrener Reiter hilft dem Pferd, sein Gleichgewicht wieder zu erlangen, indem er es anfangs nicht zu lange reitet, ihm den Hals als Balancestange lässt und ihm geschickt den Weg in eine rückenschonende Vorwärts-Abwärts-Haltung weist. Der unerfahrene – oder beinahe noch schlimmer: der ungeduldige Reiter ermüdet das Pferd und versucht, es mit der Hand in einen Rahmen zu pressen, schlimmstenfalls gar mit einem eng verschnallten Hilfszügel. Dies ist dann meist der Weg von vorübergehenden Taktunsicherheiten eines jungen Pferdes hin zu langfristigen Taktproblemen. Das Fatale daran: Nicht nur, dass Taktstörungen in Dressurprüfungen mit Punkteabzug bestraft werden, sie führen auch zu Fehlhaltungen und Verkrampfungen der Muskulatur und verhindern so auf lange Sicht gesehen ein effizientes, leichtes und Pferde schonendes Reiten. Taktstörungen sollten deshalb immer ernst genommen und als Signal für einen falschen Trainingsweg verstanden werden, ganz egal, in welchem Alter des Pferdes sie auftreten.

Thema Losgelassenheit

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Starke Verspannungen machen sich häufig in Taktfehlern bemerkbar. Unregelmäßigkeiten im Gang sollten deshalb immer ernst genommen und als Signal für einen falschen Trainingsweg verstanden werden. © www.slawik.com

Als Losgelassenheit wird die physische und psychische Gelöstheit des Pferdes bezeichnet, in der Bewegung zu erkennen an einer sich rhythmisch an- und abspannenden Muskulatur, einem frei getragenen, pendelnden Schweif sowie einem entspannten Gesichtsausdruck, einem zufriedenen Ohrenspiel, einer leichten Maultätigkeit und einem entspannten Vorwärtsdrang. Dagegen weisen Zähneknirschen, nach hinten angelegte Ohren, ein pinselnder oder sehr hoch getragener Schweif und auch Davonstürmen, häufiges Scheuen oder mangelnder Vorwärtsdrang („Klemmen“) auf Verspannungen hin.

Der Blick in manche Reithallen und leider auch auf manche Turniervierecke lässt den Verdacht aufkommen, dass viele Reiter Verspannungen ihres Pferdes nicht bemerken oder aber wissentlich in Kauf nehmen. Bei kritischem Hinsehen erkennt man selbst in internationalen Spitzenprüfungen Pferde, denen es an Losgelassenheit mangelt. Exaltierte Tritte und hochgerissene Vorderbeine wirken spektakulär, entstehen aber aus einer anormalen Daueranspannung der Muskulatur mit all ihren negativen Folgen: Ein verspannter Muskel kann nicht mehr an- und abspannen, was aber die Voraussetzung für eine optimale Durchblutung und auch für Muskelaufbau wäre. Hält die Minderdurchblutung an, kommt es zur Muskelermüdung durch Sauerstoffunterversorgung und somit zur schmerzhaften Übersäuerung. Um dies auszugleichen, beginnt das Pferd – egal auf welchem Ausbildungsniveau – zu kompensieren (worin gerade Pferde Meister sind!). Es setzt Muskeln ein, die für die gestellte Aufgabe nicht zuständig sind. Auch die Belastung für Sehnen und Gelenke nimmt zu. Statt fließender, durch den Körper schwingender Bewegungen entstehen abgezirkelte Tritte und Sprünge. Der Schmerz bleibt.

Zur körperlichen Verspannung kommt so psychische Verspannung hinzu – was wiederum zu einem erhöhten Muskeltonus und damit zu weiterer körperlicher Verspannung führt. Ein Teufelskreis. Anders herum führt auch psychische Verspannung allein zu Muskelverspannungen, ohne dass der Reiter zuvor zuviel Druck gemacht hat. Auch Angst (vor äußeren Reizen oder vor grober reiterlicher Einwirkung) erhöht den Muskeltonus und führt zu Verkrampfung und damit auch, das ist wissenschaftlich erwiesen, zu einem eingeschränkten Lernverhalten. Das Erreichen und der Erhalt von Losgelassenheit muss deshalb für jeden Reiter, der sein Pferd liebt, eine absolute Grundforderung sein!

Thema Anlehnung

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Das dauerhafte einrollen des Pferdehalses, wie es heute leider sehr häufig praktiziert wird, führt zu einer Minderdurchblutung der Halsmuskulatur, es kommt zur Muskelermüdung durch Sauerstoffunterversorgungund somit zur schmerzhaften Übersäuerung. © fotolia.com

Unter Anlehnung wird gemäß Ausbildungsskala die weiche, stete Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul verstanden, bei der das Pferd durchs Genick gehend die Zügelhilfen des Reiters beinahe unsichtbar annimmt und sich vertrauensvoll ans Gebiss herandehnt, die Stirnlinie an oder leicht vor der Senkrechten. Weich und stetig, das ist die Forderung, an deren Erfüllung es aber leider häufig mangelt. Reiter, die mit viel Kraft die Pferdehälse nach hinten ziehen, oder Reiterhände, die durch Ziehen, Herumruckeln oder Riegeln hart auf das empfindliche Pferdemaul wirken, machen eine weiche Anlehnung und vor allem ein Vertrauen in die Zügelhilfen unmöglich.

Anlehnungsfehler gibt es zuhauf, die meisten entstehen durch eine fehlerhafte reiterliche Einwirkung. Nur manchmal sind es gesundheitliche Probleme wie Zahnwechsel oder Haken auf den Zähnen, die die Kommunikation zwischen Reiterhand und Pferdemaul stören. Massive Anlehnungsprobleme wie stetes Über-dem-Zügel-Gehen oder dauerndes Zueng- Werden oder Aufrollen haben meist ihre Ursache in falscher Einwirkung und einem nicht korrekt arbeitenden Pferderücken. Dies wirkt sich direkt auf die übrigen Grundpfeiler der Skala aus. Nur mit einer korrekten, sprich weichen Anlehnung lassen sich Takt und Losgelassenheit erhalten und die kommenden Aufgaben – Schwung, Geraderichtung und Versammlung – erarbeiten. Dazu mehr in unseren nächsten Folgen „Die Ausbildungsskala
Individuell“ und „Die Ausbildungsskala – Probleme erkennen und lösen“.

Copyright: Dr. Britta Schöffmann / Pferderevue

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Die Serie über die Skala der Ausbildung wurde in den Ausgaben 2 bis 4/2011 der Pferderevue veröffentlicht. Pferderevue AbonnentInnen können diese Artikel zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach unter Service/Online-Archiv einloggen und in allen Heften aus 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!

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