Ausbildung

Warum Leichttraben schwerer ist, als es aussieht

Ein Artikel von Regina Käsmayr | 18.03.2019 - 14:36
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Viele Reiter heben sich beim Leichttraben mit zu geradem Oberkörper aus dem Sattel. Eine Technik, die immer zulasten des Pferdes geht.
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Wie das Leichttraben funktioniert, ist in jedem Lehrbuch nachzulesen. Zusammengefasst könnte man sagen: Der Reiter steht bei jedem zweiten Tritt des Pferdes auf – immer schön im Rhythmus, damit das Pferd nicht gestört wird. Anfänger heben ihr Gesäß gern zu weit aus dem Sattel. Dann dauert es zu lange, bis sie wieder sitzen – und der gemeinsame Rhythmus wird gestört. Das Resultat ist ein hoppelnder, unruhiger Sitz, der für beide Parteien unangenehm ist.

Ein weiterer Fehler ist zu heftiges Einsitzen. Wer in den Sattel plumpst, stört sein Pferd empfindlich im Rücken und kann Verspannungen, im schlimmsten Fall sogar Schmerzen verursachen. Beim Reiten in der Bahn wählt man zum Aufstehen die Phase, in der das äußere Vorder- und das innere Hinterbein vorschwingen. So kann das Pferd vor allem in Wendungen seine Körperlast besser stützen.

Treiben ist nur im Moment des Einsitzens möglich – für gewöhnlich also dann, wenn das äußere Hinterbein vorgreift. Und auch dadurch wird das Pferd beim Reiten in der Bahn optimal unterstützt, denn das äußere Hinterbein hat in einer Wendung immer einen längeren Weg zurückzulegen als das innere. Der treibende Impuls regt es dazu an, weiter vorzutreten, wodurch Pferd und Reiter leichter durch die Wendung kommen und die Bewegung auf gebogenen Linien harmonischer wird. Im Gelände gibt es kein innen und außen. Hier sollte deshalb regelmäßig der „Fuß“ gewechselt werden, um das Pferd nicht dauerhaft gleich zu belasten.
 

Der Teufel steckt im Detail

So weit, so klar. Aber jetzt kommen die kniffeligen Details. Denn ganz so simpel ist die Sache mit dem Leichttraben dann nämlich auch wieder nicht. Das wird spätestens dann klar, wenn es um das richtige Aufstehen im Sattel geht. „Der Reiter sollte nur so weit aufstehen, wie es nötig ist“, sagt der Bewegungswissenschaftler und Biomechaniker Dr. Josef Kastner. Wie weit das ist, muss er selbst erfühlen – oder sich von seinem Ausbilder sagen lassen. Allgemeingültige Aussagen gibt es hier, wie so oft, nicht. Das liegt daran, dass jedes Pferd und jeder Reiter völlig andere Voraussetzungen in Körperbau und Bewegungsablauf mitbringt. Ganz wichtig ist aber die Haltung des Oberkörpers. „Viele Dressurreiter traben mit senkrechtem Oberkörper leicht, weil sie das so gelernt haben“, weiß Kastner. Doch tatsächlich ist ein senkrechtes Aufstehen des Reiters mit gerade aufgerichtetem Oberkörper gar nicht so ohne weiteres möglich. Dies hat der Biomechaniker mit einem einfachen Experiment herausgefunden.

Dazu setzte er eine junge Frau in Grundposition auf einen Stuhl, ließ sie die Fußballen auf ein Kantholz platzieren, um den Steigbügel zu simulieren, und bat sie, aus dieser Position aufzustehen. Es funktionierte nicht. „Wenn Sie den Oberkörper wirklich senkrecht halten, werden Sie nicht aufstehen können und immer wieder auf die Sitzgelegenheit zurückfallen“, so Kastner. Dasselbe gilt für das Hinsetzen mit senkrechtem Oberkörper – der Reiter plumpst unsanft in den Sattel. Der Grund dafür ist, dass der Schwerpunkt des Reiters beim Aufstehen genau über den Steigbügeln sein müsste. Stattdessen liegt er im Grundsitz aber ein gutes Stück weiter hinten. Es gibt zwei Möglichkeiten, dieses Ungleichgewicht auszugleichen. Erstens: sich am Zügel hochzuziehen. Zweitens: sich hochwerfen zu lassen im Sinne von „das Pferd bewegt den Reiter – und dieser lässt sich anschließend wieder zurück in den Sattel plumpsen“. Keines von beiden ist wirklich angenehm fürs Pferd.

Die Lösung für dieses Problem ist laut Kastner einfach, allerdings müsse man sich dazu von der üblichen Lehrmeinung verabschieden. „Beugen Sie Ihren Oberkörper so weit nach vorne, bis Sie spüren, dass Ihr Gewicht über Ihren Fußballen ist. Dann können Sie aufstehen. Bleiben Sie stets in der Balance über Ihren Ballen.“

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Selbsttest ohne Pferd: Aus der Grundposition mit geradem  Rücken (Bild 1) ist Aufstehen rein biomechanisch gar nicht  möglich. Erst, wenn sie sich am Zügel hochzieht (Bild 2), kann sich unsere Testperson aufrichten. Durch Vorneigen des  Oberkörpers (Bilder 4 und 5) verlagert sich der Schwerpunkt –  und man kommt aus eigener Kraft hoch. © Pferderevue

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Durch Vorneigen des Oberkörpers bleibt der Reiter in allen Phasen des Leichttrabens ausbalanciert. Das schont Pferderücken und -maul. © Pferderevue

Derselben Meinung ist Roswitha Schreiber-Jetzinger, Bewegungstrainerin und Centered-Riding-Ausbilderin aus dem niederösterreichischen Bierbaum. „Der Oberkörper muss sich beim Leichttraben immer leicht vor der Senkrechten befinden, nur so kann sein Gewicht an die Hüftgelenke abgegeben werden. Ein vermehrtes Vorschieben des Beckens macht in der Aufstehphase keinen Sinn.“

Der Grad des Vorbeugens hängt vom Sattel und vom Körperbau des Reiters ab. Je weiter hinten der Tiefpunkt der Sitzfläche ist und je weiter vorne die Steigbügelaufhängung, desto weiter muss der Reiter sich vorbeugen. Übrigens: Auch ein Stuhlsitz mit nach vorn gestreckten Beinen verhindert korrektes Leichttraben. Hat der Reiter ein großes Gesäß und einen zierlichen, kurzen Oberkörper, so muss dieser weiter nach vorn als bei jemandem mit kleinem Gesäß und langem Oberkörper.

Es liegt in der Natur der Sache, dass das korrekte Leichttraben dem Reiter konditionell mehr abfordert als die senkrechte Variante. Brust-, Rücken- und Oberschenkelmuskulatur des Reiters müssen sich hier mehr anstrengen, denn er wird dabei nicht vom Pferd unterstützt und kann sich auch nicht am Zügel hochziehen. Aber der Pferderücken und das Pferdemaul werden sich darüber freuen. Dr. Kastner bringt es auf den Punkt: „Diese Form ist leichter für das Pferd, aber schwerer im Sinne von anstrengender für den Reiter.“

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Viele Pferde lösen sich besser im Leichttraben. © www.slawik.com

Leichttraben hilft loszulassen

Wir wissen jetzt also, wie Leichttraben aussehen muss und wie der Reiter sich dabei im Sattel bewegt. Aber in welchen Situationen sollte man es nun anwenden – und wann sitzt man besser aus? Die Richterin und Profi-Dressurreiterin Luise Wessely-Trupp verbringt nach eigenen Angaben mehr Zeit mit Leichttraben als mit Aussitzen. „Ich mache es ein Pferdeleben lang zum Aufwärmen. Jungpferde sitze ich bis zu einem Alter von etwa fünf Jahren fast gar nicht aus“, sagt sie. „Die Pferde lösen sich leichter, machen den Rücken anfangs besser und schneller auf, und man setzt sie weniger unter Druck“, findet Wessely-Trupp.

Ihrer Meinung nach gibt es keinen Grund, „auf Teufel komm raus“ auszusitzen, auch wenn dies für einige Pferdeleute den Anschein erweckt, der Reiter sei weit fortgeschritten oder das Pferd besonders gut ausgebildet. „Eigentlich sitze ich nur ein komplett gelöstes Pferd aus. Und sobald ich merke, dass eine negative Spannung entsteht, gehe ich wieder zum Leichttraben über.“

Ins selbe Horn stoßen auch unsere anderen Experten. Doch es gibt auch Ausnahmen. „Man kann in jeder Lektion und Gangart Leichtreiten, jedoch ist es in engen Wendungen und wenn Pferde scheuen oder guckig sind, nicht zu empfehlen“, meint Rosi Schreiber-Jetzinger.

Fakt ist, dass der Reiter weniger mit dem Sitz einwirken kann, wenn er sein Gesäß bei jedem zweiten Tritt aus dem Sattel hebt. Das ist mit ein Grund, weshalb Springreiter Hindernisse meist im leichten Sitz angehen, kurz vor dem Absprung aber einsitzen. Trotz der verringerten Einwirkung trabt Luise Wessely- Trupp auch in Dressurlektionen wie Seitengängen und Volten bis zu zehn Metern Durchmesser leicht – zumindest immer dann, wenn es gerade erforderlich und sinnvoll erscheint. Was das Leichttraben hier vom Auf und Nieder in simplen Hufschlagfiguren unterscheidet, ist der Moment des Aufstehens. Wie bereits erwähnt, funktioniert Treiben nur im Moment des Einsitzens, weshalb in der Regel der Schenkelimpuls dann erfolgt, wenn das äußere Hinterbein vorschwingt. In Seitengängen wie dem Schulterherein kann man jedoch das innere bzw. beim Renvers das äußere Hinterbein sehr viel besser unterstützen, wenn man auf dem augenscheinlich falschen Fuß leichttrabt.

Drei Märchen über das Leichttraben

Um das Leichttraben ranken sich einige Behauptungen, deren Wahrheitsgehalt einer Überprüfung nicht standhält. Unsere Experten räumen mit drei der gängigsten Irrmeinungen auf.

1. „Die Steigbügel müssen fürs Leichttraben kürzer geschnallt werden.“
Unsere Experten sagen nein. Alle sind sich einig, dass zu lang geschnallte Steigbügel eine Unsitte sind – wenn auch derzeit schwer in Mode. Dadurch ziehe der Reiter die Fersen hoch – und seine Waden verlören den Kontakt mit dem Rippenbogen. Die Anatomie des Reiters gebe immer eine gewisse Steigbügellänge vor, die dann sowohl beim Aussitzen als auch beim Leichttraben passend sei. „Die Trittfläche des Bügels sollte sich beim Dressurreiten generell auf Knöchelhöhe befinden“, sagt Roswitha Schreiber- Jetzinger. Dr. Josef Kastner fügt hinzu, dass einige Dressursättel durch die Art der Taillierung und die Form der Pauschen den Oberschenkel zu sehr in die Senkrechte drücken. „Ein genügend hohes Aufstehen im Bügel wird dadurch erschwert. Verkürzt man bei einem solchen Sattel die Steigbügel, um hoch genug aufstehen zu können, so werden die Knie durch die Pauschen nach außen gepresst – und die Unterschenkel verlieren ihre richtige Position am Pferd. Jeder Sattel hat eine ideale Steigbügellänge, die von der Beinlänge des Reiters vorgegeben ist. Generell kann man sagen, dass eine Verkürzung von dieser optimalen Länge eher kontraproduktiv ist.“ Am besten funktioniere Leichttraben mit einem Vielseitigkeitssattel.

2. „Leichttraben ohne Steigbügel verbessert den Sitz.“
Auch diese Aussage gehört in den Bereich der Mythen. Was früher in Reitschulen mit Hingabe exerziert wurde, ist mittlerweile zu Recht aus der Mode gekommen. Anna Eichinger spricht von „eisernen Kniekehlen“ als Ergebnis dieses unnützen Kraftaktes. Kastner nennt es gar eine „Macho-Übung“, die allenfalls zu Blockaden bei Pferd und Reiter führe. „Das Leichttraben ohne Bügel stört die Hüftbewegung, weil die Adduktoren in den Oberschenkeln zu stark zusammengepresst werden“, erklärt der Bewegungswissenschaftler. Reitschüler würden so beginnen, mit den Knien am Sattel zu klemmen – eine schlechte Angewohnheit, die einen geschmeidigen Sitz verhindert und nur schwer wieder abzutrainieren ist.

3. „Die Reiterhände müssen beim Leichttraben tiefer gehalten werden als im Grundsitz.“
Diese Annahme verleitet viele Reiter zu einer steifen, unnachgiebigen Hand. Schreiber-Jetzinger empfiehlt stattdessen, den Händen in der Aufstehphase eine leichte Vorwärtstendenz zu geben. Dies erzeuge auch eine vermehrte Oberkörperstabilität. Als Orientierungshilfe gilt: Die gerade Linie Ellbogen – Hand – Pferdemaul sollte auch beim Leichttraben eingehalten werden. Eine leichte Streckbewegung im Ellbogen ist daher laut Kastner wünschenswert, ansonsten solle die Handhaltung gleich bleiben wie beim Aussitzen.

Wozu dann aussitzen?

Bei all den Vorteilen und guten Eigenschaften korrekten Leichttrabens stellt sich der eine oder andere vielleicht die Frage, ob es überhaupt noch Gründe fürs Aussitzen gibt. Die gibt es, und zwar zuhauf. Blickt man zurück in die Geschichte oder betrachtet man die Ausbildungsmethoden der Spanischen Hofreitschule, so stellt man fest, dass die Eleven des Wiener Traditionsinstituts seit jeher vorwiegend im Aussitzen geschult werden. Das liegt daran, dass der Vollsitz ein intensiveres Fühlen erlaubt und damit einen wichtigen Beitrag zur Sitzschulung leistet. Der junge Reiter lernt durch das Aussitzen sehr viel besser, das Abfußen des inneren Hinterbeins und alle weiteren Bewegungen des Pferdes zu erspüren. Immerhin ist der Trab kein reines „Auf und Ab“, sondern gleichzeitig auch ein „rechts und links“. Hebt sich ein Hinterbein an, so sollte der Reiter in der Lage sein, auch seine Sitzbeinhöcker von dieser Bewegung mitnehmen zu lassen, was eine geschmeidige Mittelpositur zur Folge hat.

Als Vorbild für diese Art der Reiterausbildung dienen die großen Reitmeister vergangener Jahrhunderte, die ihr Gesäß außer zum Absteigen kaum aus dem Sattel hoben. Das Leichttraben entstand erst später durch die Jagdleidenschaft britischer Adeliger, die weniger der hohen Reitkunst frönten, als vielmehr im Gelände zügig dem Fuchs hinterherkommen wollten – weshalb das Leichttraben auch oft „Englisches Traben“ genannt wird. Nicht zuletzt deshalb stand Reitmeister Alois Podhajsky dem leichten Trab kritisch gegenüber, wie in einem Zitat des langjährigen Leiters der Spanischen Hofreitschule zum Ausdruck kommt: „Viele Reiter benützen oft ein längeres Abreiten im Leichttraben als Mittel zum Lösen ihrer Pferde. Das ist ein Mittel, dessen Wirksamkeit sehr zweifelhaft ist. Es wird ja auch ein Sportler durch einen Lauf von einigen Kilometern vor seinem eigentlichen Training nicht immer gelöst, hingegen viel eher etwas ermüdet sein.“

Auch in der Akademischen Reitkunst, wie sie der dänische Reitmeister Bent Branderup lehrt, kann man dem Leichttraben eher wenig Positives abgewinnen. Warum, erklärt die lizensierte Branderup-Trainerin Anna Eichinger aus Graz: „Die Hüften des Menschen sollten der Bewegung des Pferdes folgen können, ohne dass der Oberkörper oder die Hand des Reiters durch die Bewegungen des Sitzes gestört werden. Nur dann kann der Reiter über seinen Körper Einfluss auf die Schwingungen des Pferdes nehmen, ohne es zu behindern. Und das klappt eben am besten, wenn man sitzen bleibt. Wenn Reiter und Pferd nicht das Gleiche tun – nicht die gleiche Bewegung ausführen – dann fühlt es sich so an, als würde ein Partner Salsa, der andere Rumba tanzen“, beschreibt Eichinger.

Ihrer Meinung nach ist es deshalb sehr viel wichtiger, den Reiter dieses Gefühl im Schritt und später im Trab zu lehren, als ihm das Leichttraben beizubringen. Ist dies gelungen und auch das Pferd gut geschult, so sei es kein Problem, auszusitzen. Auch Roswitha Schreiber-Jetzinger räumt ein, dass Leichttraben nicht in jedem Moment die richtige Lösung ist: „Gerade junge Pferde profitieren davon, wenn sie entweder im Entlastungssitz oder im Grundsitz geritten werden, da dann die Hilfengebung für das Pferd gleichmäßiger ist und die Pferde so mehr Sicherheit bekommen.“ Luise Wessely-Trupp sieht zwar ebenfalls die Vorteile für die Hilfengebung beim Aussitzen, findet jedoch: „Leichttraben bringt mehr als dass es schadet – im Zweifelsfall sollte man sich also lieber dafür entscheiden als krampfhaft aussitzen zu wollen.“