Martin Wimmer, Luise Wessely und Michael Fischer haben ein gemeinsames Ziel: Reitsport fair und pferdegerecht zu gestalten. © Alice Benes Fotografie
Von außen sieht es aus wie viele andere Reitseminare: Ein Reitplatz, drei Ausbilder, Pferd und Reiter im Fokus. Doch wer zuhört, merkt schnell – hier geht es um mehr als Hilfengebung, Korrekturen oder Sitzschulung. Es geht um Haltung. Um echte Partnerschaft. Und um den Versuch, verschiedene Wege im Reitsport zusammenzuführen – zum Wohl der Pferde.
Luise Wessely, Ausbilderin und Dressurreiterin mit Erfolgen bis Grand Prix, Martin Wimmer, Trainer mit Wurzeln im Horsemanship, und Michael Fischer, Springreiter, Buchautor und gefragter Ausbilder – sie alle bringen ihre Perspektiven ein. Gemeinsam veranstalten sie die Seminarreihe „Dialog im Pferdesport“, die Mitte Mai in Gutenstein um ein Kapitel erweitert wurde.
Was uns eint, ist die Haltung – nicht die Methode
„Eigentlich ist das alles aus Gesprächen entstanden“, erzählt Martin Wimmer. „Luise und ich haben viel telefoniert, und irgendwann war klar: Wir sehen das Pferd ähnlich – obwohl wir ganz verschieden arbeiten.“ Diese Erkenntnis führte zur Idee, ein gemeinsames Format auf die Beine zu stellen. Keins, das einen neuen Reitstil propagiert – sondern eines, das den offenen Austausch und vor allem das Pferd in den Mittelpunkt stellt. „Wir wollten nie den einen richtigen Weg predigen“, ergänzt Luise Wessely. „Sondern zeigen: Es gibt verschiedene Ansätze, aber wenn man wirklich pro Pferd denkt, dann trifft man sich in der Mitte.“
Mit Michael Fischer kam ein dritter Blickwinkel dazu: „Wir wollten Menschen dazuholen, die pro Pferd denken und handeln – ganz egal, aus welcher Disziplin.“ Was alle drei eint, ist der Respekt vor dem Lebewesen Pferd. Was sie unterscheidet, ist ihr Vokabular, ihre Methodik, ihre persönliche Reitgeschichte. „Michael bringt eine andere Art zu unterrichten mit, die für viele erstmal ungewohnt ist“, sagt Wessely. „Aber genau das macht es spannend.“ Michael, in Österreich geboren und aufgewachsen und inzwischen in der Nähe von Köln beheimatet, hat in seiner Laufbahn mit Größen wie Thomas Frühmann, Franke Sloothaak, Arthur Kottas-Heldenberg und Georg Wahl trainiert und war als Bereiter in den Ställen von Julia Kayser und Marc Houtzager sowie Paul Schockemöhle tätig. Seine Spezialität: Das Reiten und den Umgang mit dem Pferd neu zu denken und neue Wege in der Reiterausbildung zu beschreiten.
Der Mensch im Fokus
„Ich arbeite nicht am Pferd. Ich arbeite ausschließlich am Reiter“, sagt Michael. Ein Satz, der eigentlich selbstverständlich klingt – im Grunde aber nicht ist. „Ganz viele sagen, sie arbeiten über den Reiter. Aber in der Realität reagieren wir doch wieder nur darauf, was das Pferd tut. Michael bleibt konsequent beim Menschen, und das ist etwas, das auch mich inspiriert hat“, meint Luise. Michael erklärt: „Wenn der Reiter in sich balanciert ist, locker atmet, feinfühlig sitzt, wird das Pferd automatisch besser laufen. Ich will, dass der Reiter die bestmögliche Vorgabe wird – und zwar unabhängig davon, wie das Pferd gerade drauf ist.“
Der Ausbilder verzichtet dabei ganz bewusst auf „klassische“ Korrekturen am Pferd. „Mich interessiert nicht, was das Pferd macht. Ich beobachte den Reiter.“ Dieser radikale Fokus auf den Menschen sorgt bei Teilnehmern und Kollegen für Aha-Momente. „Ich hätte das so nie formuliert“, sagt Luise, „aber es macht total Sinn. Wenn der Reiter sich verändert, ändert sich auch das Pferd.“
Das Teaching zeigt: Oft sind es kleine Veränderungen, die einen großen Unterschied machen. © Alice Benes Fotografie
„Wenn das Pferd Nein sagt, will es mir etwas zeigen“
Natürlich läuft nicht immer alles rund. Doch wie geht man damit um, wenn ein Pferd blockiert oder sich verweigert? Auch hier zeigt sich die gemeinsame Haltung der drei: „Ein Nein ist in der Regel ein Ausdruck von Überforderung oder Unsicherheit“, sagt Luise. „Ich versuche dann, Sicherheit zu geben. Das Pferd soll sich freiwillig anschließen, nicht müssen.“
„Für mich ist die Frage dann nicht: Wie breche ich den Widerstand auf? Sondern: Warum sagt das Pferd Nein?“, meint Martin. „Ich versuche, die Situation zu verstehen – emotional, körperlich, mental. Und dann einen Weg zu finden, der das Nein in ein Ja verwandelt. “ Zentrales Element dieser Arbeit: Der Weg der kleinen Schritte. Die Anforderungen so stellen, dass das Pferd überhaupt in die Lage kommt, Ja zu sagen. So wird selbst das Verweilen vor einem Pferdeanhänger zur Trainingseinheit. „Wenn ich nichts erwarte, kann es auch kein Nein geben“, so der Horsemanship-Spezialist. „Dann beginnt der Dialog erst einmal mit Zuhören.“
Und der Türöffner für weitere Schritte hin zum Ziel: entspanntes Verladen und Fahren. © Alice Benes Fotografie
Ein Nein im Training ist eine Sache – eines während einer Prüfung eine ganz andere. Doch was tun, wenn das Pferd zum ungünstigsten Zeitpunkt, nämlich mitten im Bewerb, plötzlich Bedenken anmeldet? Augen zu und durch? Oder besser aufgeben? Luise, die selbst bekannt dafür ist, lieber abzubrechen als etwas durchzudrücken, sagt dazu: „Ich hab oft gehört: ‚Aufgeben tut man nur einen Brief.’ Aber für mich ist das Unsinn: Wenn mein Pferd heute nicht mitmachen kann – aus welchem Grund auch immer – dann höre ich lieber auf, als es mehr schlecht als recht durchzupressen. Viele haben die Sorge, dass ihr Pferd sich das merkt und dann häufiger Mätzchen macht. Das kann ich nicht bestätigen.“
Klingt nach einer pferdefreundlichen Lösung. Doch kann man mit dieser Einstellung auch erfolgreich sein im Sport? Hier kommt die Antwort von allen Dreien wie aus der Pistole geschossen: Auf jeden Fall! „Vielleicht wird man damit nicht Weltmeister – aber man kann weit kommen, mit gutem Gefühl“, sagt Luise.
Um die Reiter:innen auf diesem Weg zu bestärken, fordert Michael allerdings auch mutigere Entscheidungen von Richter:innen und Verbänden: „Wir brauchen eine Bewertungskultur, die die Harmonie zwischen Pferd und Reiter wirklich belohnt – und nicht das Spektakuläre. Und Prüfungsformate, die die Basisarbeit wieder mehr in den Fokus rücken. Warum nicht in der höchsten Dressurprüfung am Mittelzirkel ein Zügel-aus-der-Hand-kauen-lassen einbauen – im Trab und Galopp auf jeder Hand? In 30 Sekunden sehe ich, ob das Pferd wirklich losgelassen ist und kann entsprechend bewerten.“
Egal wie pferdefreundlich die Gedanken sind – was zählt, ist das, was beim Pferd ankommt. Deshalb gilt: mit dem Fokus bei sich selbst bleiben und sich ehrlich reflektieren. © Alice Benes Fotografie
Zwischen Schein und Sein
Ein großes Anliegen aller drei ist es, Reiterinnen und Reiter zu einem bewussteren Umgang zu motivieren – abseits von Social-Media-Idealen. „Zu viele jagen Bildern nach, die weit von der eigenen Realität entfernt sind“, sagt Martin. „Da soll das Pferd die Beine in die Höhe schleudern können, sich auf Fingerschnipps hinsetzen und allein in den Hänger galoppieren. Gleichzeitig werden Dinge, die wichtig wären für ein gutes Leben mit dem Pferd, aber vernachlässigt. Ein bodenständiger, reflektierter Umgang mit sich selbst und dem Pferd – das wäre mein Wunsch.“
Luise sieht es ähnlich: „Ich hoffe, dass wir mit unseren Seminaren ein bisschen Vorbild sein können. Nicht durch Predigen, sondern durch Tun. Und wieder ein bisschen mehr Leichtigkeit, mehr zurück zur Kunst. Wenn das ein paar Leute mitnehmen, haben wir etwas erreicht.“
Michael ist wichtig, dass Reiter:innen und Reiter mit ihrem Fokus vor allem bei sich selbst bleiben. „Du kannst so sehr pro Pferd sein, wie du willst: Am Ende des Tages, wenn du die Luft anhältst, dann verspannst du, bist steif und das wird deinem Pferd nicht gefallen. Ihm ist egal, ob du in Gedanken die pferdefreundlichste Einstellung der Welt hast. Wichtig ist, was beim Pferd ankommt.“ Und dabei kann es auch helfen, offen zu sein für andere Meinungen, andere Ansätze und neue Wege. Der nächste „Dialog im Pferdesport“ ist bereits in Planung – mit neuen Themen, frischen Impulsen und hoffentlich vielen offenen Köpfen. Denn wie Michael betont: „Wenn wir einander zuhören und voneinander lernen – dann gewinnen die Pferde. Und dafür lohnt es sich, immer wieder weiterzumachen.“