Ausbildung

Raus aus dem Hamsterrad: 9 Zutaten für effektives Pferdetraining

Ein Artikel von Sabine Ellinger | Pamela Sladky | 17.10.2019 - 13:23
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Wie viele ReiterInnen sitzt Theresa dem Irrglauben auf, dass viel Üben  automatisch zu guten Ergebnissen führt. Dabei ist es die Qualität die zählt - nicht die Quantität!

"­Mein Pferd macht gar keine Fortschritte, obwohl ich täglich trainiere! Was mache ich bloß falsch?“ Seit gefühlten Ewigkeiten arbeitet Theresa daran, dass sich Domino verbessert, doch die erhofften Ergebnisse bleiben aus. Stattdessen bietet der achtjährige Hannoveraner ein Bild, wie man es nicht selten zu sehen bekommt: Sein Hals ist geprägt von einer prominenten Unterhalspartie, die Schulterblätter zeichnen sich deutlich im Fell des Fuchses ab. Dazu gesellen sich ein abgesenkter Rücken und eine Oberlinie, der es an allen wichtigen Stellen an Muskulatur fehlt.

Warum Domino so aussieht, kann sich die Reiterin nicht erklären. Täglich wird Dressur geritten, nur an einem Tag in der Woche wird pausiert. Da darf sich der Wallach an der Longe und mit Stallhalfter frei bewegen und vom anstrengenden Training erholen. Beim Vorreiten zeigt sich dann, dass das äußere Erscheinungsbild des Pferdes kein Zufall ist. Domino hat Taktprobleme im Schritt und im Galopp. Losgelassenheit? Fehlanzeige. Durch die Ecken läuft er steif wie ein Brett. Permanent müht sich die Reiterin damit ab, ihr Pferd in eine korrekte Anlehnung zu bekommen. Erfolg hat sie damit nur kurzzeitig. Beide machen einen unglücklichen und verspannten Eindruck. Was läuft hier schief?

Wie viele ReiterInnen sitzt Theresa dem Irrglauben auf, dass viel Üben automatisch zu guten Ergebnissen führt. Beim Reiten und in vielen anderen Sportarten kommt es jedoch vor allem auf das Wie an. Ein Turntrainer, der etwas auf sich hält, würde niemals seine Schüler reihenweise schlecht ausgeführte Übungen machen lassen, um bessere Ergebnisse zu erzielen. Auch ein Humanphysiotherapeut wird seine Patienten während der Krankengymnastik keine falschen Bewegungsabläufe trainieren lassen, wenn sie sich körperlich verbessern sollen. Nicht anders sollte es beim Pferdetraining sein. Letztlich geht es auch hier um die Verbesserung von Beweglichkeit, Muskelaufbau und den Ausgleich körperlicher Defizite. Der Blick in die Reithallen verrät jedoch, dass es dort häufig ganz anders zugeht.

„Objektiv betrachtet, sieht man eher selten ein Pferd, das in einem wirklich guten Bewegungsablauf geritten wird, wo man sagen könnte, diese Ausführung kann man mit ‚ziemlich gut‘ oder ‚gut‘ bewerten, wäre es z. B. eine Dressurprüfung. Dabei fängt wirklich effektives Training erst ab diesem Bereich an“, sagt Sabine Ellinger. Die Reitlehrerin und Buchautorin betreibt einen Ausbildungsstall mit Reha-Station für Pferde in der Nähe von Stuttgart und kennt die Probleme der heutigen Reitpferde. „Jeder von uns kennt Reiter, die über viele Jahre hinweg nahezu täglich reiten und mit ihren Pferden trainieren. Sie kaufen sich ein junges Pferd mit Potenzial, und jeder geht davon aus, dass es seinen Weg machen wird. Sieht man das Pferd ein paar Jahre später, erkennt man es oft gar nicht wieder. Der Schritt, der einmal raumgreifend war, ist passartig und abgehackt. Der Trab hat seinen Schwung verloren, und der Galopp, der beim jungen Pferd noch so dynamisch war, ist nur noch halb so schön. Der Reiter erkennt zwar den Bergabtrend, kann sich aber nicht erklären, warum es nicht läuft. Immerhin wird ja täglich trainiert.“

Beispiele wie diese machen deutlich: Der Schlüssel zu guten Trainingsergebnissen liegt nicht in der Quantität der Bewegung. Es ist die Qualität, die über Erfolg und Misserfolg entscheidet. Nur das Üben von korrekten Bewegungsabläufen führt auch zu guten Ergebnissen. Doch was braucht es nun genau, damit Pferdetraining effektiv sein kann?

Die wichtigsten Zutaten im Überblick

1. Stunden sinnvoll aufbauen

Kein erfahrener Sportler geht gleich zu Trainingsbeginn in die Vollen. Der Körper sollte ausreichend Gelegenheit bekommen, sich auf die bevorstehende Anstrengung vorzubereiten. Dieser Grundsatz gilt auch für die Arbeit mit dem Pferd: Dem eigentlichen Training sollten immer zehn bis 15 Minuten im fleißigen Schritttempo vorausgehen. Kommt das Pferd aus der Box und/oder ist es draußen kalt und nass, ist es ratsam, noch mal gut fünf Minuten draufzupacken. Schon in dieser Phase spielt das Wie eine Rolle: „Ich sehe immer wieder Reiter, die in der Schrittphase am Anfang ihr Pferd am hingegebenen Zügel schlurfen lassen und sich mit anderen unterhalten oder telefonieren. Das ist völlig sinnlos und vergeudete Zeit. Sobald man im Sattel sitzt, sollte man bemüht sein, das Pferd über den Rücken zu reiten. Das gilt auch schon zu Beginn der Trainingseinheit im Schritt“, gibt Sabine Ellinger zu bedenken. Erst nach einer ausreichenden Phase des Schrittreitens ist es sinnvoll, mit der Lösungsphase zu beginnen, in der locker getrabt und galoppiert wird, bevor es in der anschließenden Arbeitsphase richtig zur Sache geht. Was gerne vergessen wird: Im Anschluss an eine Anstrengung benötigt der Körper ausreichend Zeit, um wieder herunterzufahren. Also ausreichend Zeit fürs Cool Down einplanen!

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Intensive Arbeitsphasen sollten nur wenige Minuten dauern. © www.Slawik.com

2. Gut statt viel arbeiten

„Eine halbe Stunde braucht mein Pferd schon, bis es loslässt“, ist ein gängiger Satz, den man immer wieder zu hören bekommt. Unterm Strich bedeutet er nichts anderes, als dass die Hälfte einer 60-minütigen Trainingseinheit im negativen Bereich gearbeitet wird. „Leider reichen die restlichen 50 % der Einheit dann nicht mehr aus, um auf eine gute Quote zu kommen, die einen muskulären Fortschritt ermöglicht“, meint Sabine Ellinger.

Für die Pferdetrainerin ist die „Quote“ entscheidend darüber, ob das Training erfolgreich ist oder nicht. „Wenn das Pferd in Bewegungsabläufen gearbeitet wird, die auf einem Turnier nicht mindestens die 70 % im Protokoll erreichen würden, dann ist es kein positives Training, sondern bestenfalls Bewegung. Im schlechteren Fall arbeitet man im negativen Bereich.“ Laut Ellinger sollte jeder Reiter eine Quote zwischen 70 und 80 % im Schritt, Trab und Galopp anstreben, wenn er sein Pferd weiterbringen will. Generell, so Ellinger, tendierten Reiter dazu, vor allem Übungen, die nicht funktionieren, endlos zu wiederholen. Dabei ist es nicht nur trainingstechnisch wertlos, beispielsweise ein Schulterherein oder eine Trabverstärkung mit weggedrücktem Pferderücken x-mal zu reiten, weil sich das Pferd dabei einen schlechten Bewegungsablauf einprägt, den man später mühevoll wieder korrigieren muss. Ein solches Vorgehen provoziert zudem Verspannungen und Schmerzen. „Die Belastung für Skelett und Bindegewebe nimmt in nicht korrekten Bewegungsabläufen immens zu. Wenn der Rücken nicht mitmacht und seine Aufgabe als Hauptstoßdämpfer nicht wahrnehmen kann, erhöht sich die Belastung auf die empfindlichen Strukturen wie Sehnen, Gelenke und Bänder um 30 bis 40 %“, mahnt Sabine Ellinger.

3. Zwischen Spannung und Entspannung abwechseln

Ein wichtiges Trainingsprinzip ist der ständige Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung, also zwischen Belastung und Erholung. „Muskuläre Entwicklung findet nur dann statt, wenn auf einen Trainingsreiz eine Pause folgt. Diese Regenerierung nach der Belastung ist entscheidend für den Trainingserfolg. In der Pause reagiert der Körper sofort mit Ausgleichsmaßnahmen, durch das Training angegriffene Fasern und Zellen werden wieder repariert. Um sich für eine erneute Anforderung zu wappnen, wird aber nicht nur ausgeglichen, sondern verstärkt und aufgebaut. Das nennt man Superkompensation“, erklärt Sabine Ellinger. Genau dieser Effekt ist entscheidend, wenn man eine wirkliche Leistungssteigerung erreichen möchte. „Die Leistungssteigerung erfolgt dabei in der Pause – und nicht in der Phase der Ermüdung.“ Gelingt die Regeneration, ist der Körper bereit für die nächste, etwas größere Belastung, die er nun gut bewältigen kann.
 

4. Ausreichend Pausen machen

Pausen gehören in jede Trainingseinheit und sind auch in der gesamten Ausbildung des Pferdes immer wieder notwendig. „Wenn z. B. ein junges Pferd zahnt, ist eine Pause angesagt. Diese kann entweder aus einer reinen Koppelzeit bestehen, wenn sich das Pferd dort ausreichend bewegen kann, oder in reduziertem Training“, empfiehlt Ellinger. Eine Pause ist auch nach einer intensiven Arbeitseinheit angesagt. Ein weniger anstrengendes Pensum oder eine andere Art der Anstrengung – etwa in Form von Bodenarbeit, Longieren oder Arbeit an der Hand – führt dazu, dass sich belastete Muskelgruppen erholen können.

Eine tägliche gleichförmige und starke Beanspruchung zieht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Überlastung des Pferdes nach sich. In einem solchen Szenario können sich Muskeln nicht nur nicht aufbauen, bei Übertraining kommt es sogar zum Muskelabbau.

Davon abgesehen sind regelmäßige Pausen auch innerhalb der Trainingseinheit wichtig – sowohl für den Körper als auch den Kopf des Pferdes. „Junge Pferde können sich noch nicht so lange konzentrieren und ermüden auch schnell. Auch ältere Pferde brauchen Pausen, um kurz entspannen zu können und wieder zu Atem zu kommen. Vergisst man das, kann die Kraft ausgehen, und das Pferd verkrampft in der Anstrengung, weil sie zu lange dauert.“ Das gilt insbesondere für die Arbeit in Versammlung. „Hier sollte zwischendurch immer wieder mal vorwärts geritten und/oder eine Schrittpause eingelegt werden“, rät Ellinger und gibt zu bedenken: „In vielen Fällen ist es auch der Reiter, der nicht über längere Zeit durchhält und sich verspannt, wenn er keine Pause bekommt.“

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Ohne gute Basis geht’s nicht. Umso gewissenhafter sollte die Grundausbildung erfolgen. © www.Slawik.com

5. Aufbauend arbeiten

Takt, Losgelassenheit und Anlehnung bilden das Fundament der Reitpferdeausbildung. Basisübungen wie korrektes Reiten der Grundgangarten, Übergänge und dergleichen klingen banal, bilden aber die Grundlage für die weiterführende Arbeit. Wer hier schlampt, bekommt früher oder später die Rechnung präsentiert. Nämlich dann, wenn das Pferd nicht so tut, wie es soll, und es irgendwann nicht mehr weitergeht. Für das Pferd haben Abkürzungen bei der Basisarbeit immer negative Folgen, denn sie gehen auf Kosten der körperlichen Strukturen.

„Die Skala der Ausbildung gibt dem Reiter den roten Faden in die Hand, an dem er sich orientieren kann. Bei einem gesunden und korrekten Exterieur kann das Pferd von einem guten Reiter jedes Jahr eine Klasse höher geritten werden (es muss aber nicht). Voraussetzung für ein Weiterkommen ist aber immer, dass die ‚einfachsten‘ Lektionen ganz korrekt ausgeführt werden. Vorher sollte vom Pferd nicht mehr verlangt werden. Der Reiter fragt das Pferd: ‚Kannst du das?‘ Erst wenn das Pferd sagt: ‚Ja, kann ich problemlos‘, darf der Reiter weiter fragen: ‚Und kannst du das auch?‘“, skizziert Ellinger das Vorgehen in der Praxis. Lautet die Antwort des Pferdes hingegen „nein“, heißt es vorerst, einen Schritt zurückzugehen und den vorherigen Ausbildungsschritt weiter zu festigen. Danach kann der Reiter seine Frage erneut an das Pferd richten.

„Die Voraussetzung für höhere Lektionen ist immer die korrekte Ausführung der Basics. Schritt, Trab, Galopp auf großen Linien und die Übergänge dazwischen sollten sicher und auf gutem Niveau ausgeführt werden können, ehe man das Pferd fragt, ob es auch die Kraft und und das Koordinationsvermögen für den nächsten Schritt hat. Es ist ein immerwährendes Testen und Fragen, was geht und was nicht. Das dauert beim einen Pferd länger als beim anderen und ist ganz individuell.“


6. Erreichbare Ziele definieren

Klar definierte Trainingsziele erhöhen die Effizienz. Es sei denn, sie sind zu hoch gesteckt. „Machen Sie sich einen Plan, am besten mit Ihrem Ausbilder zusammen. Was wollen Sie mit Ihrem Pferd erreichen – und was sind sinnvolle Zwischenziele auf dem Weg dorthin? Wenn das Ziel zu hoch gesteckt wird und man es nicht erreicht, kommt Enttäuschung auf – und das demotiviert. Deshalb lieber erst einmal mit kleineren Zielen zufrieden sein und sich dann weiter vorantasten. So macht die Arbeit auch viel mehr Spaß“, empfiehlt Ellinger.

Dieses Vorgehen bewährt sich nicht nur für den allgemeinen Trainingsplan, sondern auch für die jeweilige Reiteinheit. Anstatt planlos umherzureiten, lässt es sich mit einem vorher definierten Ziel fokussierter ans Werk gehen. Wichtig: Das zuvor definierte Arbeitsziel sollte von Pferd und Reiter ohne große Probleme bewältigt werden können. So lassen sich Frust und Enttäuschung vermeiden, und die Motivation bleibt bei beiden erhalten.

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Ein abwechslungsreicher Trainingsplan hält fit und motiviert.   © www.Slawik.com

7. Abwechslung erhält die Motivation

Monotonie ist ein Motivationskiller. Wer ständig auf dieselbe Art und Weise trainiert, nimmt seinem Pferd mit der Zeit die Lust an der Arbeit, was sich über kurz oder lang auch negativ auf den Trainingserfolg auswirkt. Longieren, Ausreiten, Arbeit an der Hand, Springgymnastik – mit dem Ausbildungsziel fest im Blick lassen sich viele verschiedene Trainingsformen nutzen, um darauf hinzuarbeiten.

Und noch einen Vorteil bringt ein abwechslungsreiches Programm: „Ich habe in den langen Jahren der Trainingspraxis festgestellt, dass sich Pferd und Reiter leichter damit tun, Neues zu lernen, wenn ihre Ausbildung vielseitig ist. Forscher sagen, das liegt an den neuronalen Vernetzungen im Gehirn. Wer viele unterschiedliche Bewegungen koordiniert ausführen kann, kommt leichter und schneller mit ungewohnten Anforderungen klar“, meint Sabine Ellinger.
 

8. Training individuell gestalten

Ein Training nach Schema F ist in der Pferdeausbildung nie sinnvoll. Warum, liegt auf der Hand: „Jedes Pferd ist anders. Entsprechend muss man auch beim Training ganz individuell auf den jeweiligen Vierbeiner eingehen“, sagt Sabine Ellinger und nennt auch gleich einige Beispiele: „Ein Pferd mit niedrigem Muskeltonus ist eher langsam im Bewegungsablauf, träge, oft zu entspannt und schwierig zu motivieren. Bei so einem Pferd ist es wichtig, in kurzen, intensiven Phasen zu arbeiten, um den Muskeltonus hochzufahren. Da es ihn nicht lange aufrechterhalten kann, müssen hier viele Schrittpausen die Arbeitsphasen unterbrechen. Es kann notwendig sein, das Pferd etwas über Tempo zu reiten und durch viele Verstärkungen und wieder Einfangen ‚wachzumachen‘. Bei einem Pferd mit hohem Muskeltonus – das sind meist die blütigen Typen – ist das Gegenteil notwendig, um es zu beruhigen und den Bewegungsablauf ruhiger zu bekommen. Hier sollte in langen und ruhigen Reprisen gearbeitet werden, mit ganz gleichmäßiger Hilfengebung, damit das Pferd etwas gelassener wird.“

Hinzu kommen zusätzlich beeinflussende Faktoren wie Tagesverfassung, äußere Einflüsse (etwa die Umgebungstemperatur), Alter des Pferdes u. v. a. m., die im Training berücksichtigt werden müssen und eine individuelle Anpassung – manchmal auch von einem Tag auf den anderen – nötig machen.

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Jedes Pferd ist anders. Das muss auch im Training berücksichtigt werden. © www.Slawik.com

9. Entwicklung im Auge behalten

Wer sein Pferd täglich vor Augen hat, wird schnell betriebsblind für Veränderungen an seinem Äußeren. Dabei sind sie ein gutes Indiz für die Qualität des Trainings. „Ich empfehle immer, das Pferd alle paar Wochen in derselben Position zu fotografieren. Da kann man Überraschungen erleben“, empfiehlt Sabine Ellinger. „Man vergisst schlichtweg, wie das Pferd ein halbes Jahr vorher ausgesehen hat. Die Fotos helfen dabei zu beurteilen, ob man auf dem richtigen Weg ist.“ Das Pferd soll durch die Arbeit schöner werde – eine alte Weisheit, die nach wie vor Gültigkeit hat und hilft, die Qualität der gemeinsamen Arbeit zu beurteilen.