Ausbildung

9 Tipps und Übungen für eine leichte Hand am Zügel

Ein Artikel von Dr. Britta Schöffmann | PS | 09.12.2020 - 12:06
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Die richtige Zügelhaltung ist der erste Schritt zum feinen Kontakt mit dem Pferdemaul. © www.slawik.com

Tipp 1
Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf einer Party mit einem Sektglas in der Hand und jemand bitte Sie, seines auch kurz zu halten. Wie machen Sie das? Vermutlich mit entspannt angewinkelten Armen und aufgerichteten und vor allem nicht gekippten (!) Fäusten. Genau so halten Sie Ihre Zügel.

Tipp 2
Um die unterschiedliche Faustspannung und ihre Wirkung zu erfahren, stellen Sie sich vor, beim Reiten ein rohes Ei vorsichtig in der Faust zu halten. Das wäre Ihre  Zügelfaust in neutraler Haltung. Zur nachgebenden Zügelhilfe öffnen Sie einfach leicht die Faust – das Ei fällt zu Boden. Und bei der annehmenden Zügelfaust spannen Sie – krrrrrks – an. Pech für das Ei … Diese Einwirkung der Hände kann so genau und vor allem so schnell erfolgen wie kaum eine andere Hilfe sonst.

Tipp 3
Machen Sie, gerne ohne Pferd, folgende Übung: Arme nach vorn-unten durchstrecken und mit der Hüfte kreisen. Was passiert? Ihre Hände bewegen sich mit. Das Gleiche nun mit locker angewinkelten Armen. Hier können Sie fröhlich Ihr Hula-Hoop-Workout machen, Ihre Hände bleiben trotzdem ruhig. Das gilt auch fürs Reiten. Jede Bewegung des Pferdes überträgt sich auf den Körper der Reiterin, und auch hier ist der locker angewinkelte Arm Voraussetzung für ruhige Hände.

Tipp 4
Bei dieser Übung sitzen Sie im Sattel. Lassen Sie die Zügel im Halten leicht anstehen, fassen Sie einen Zügelsteg in den Blick und beobachten Sie, wie weit sich dieser Steg zwischen Anspannen und Entspannen ihrer Zügelfaust zurück oder vor bewegt. Meist macht allein diese Spannungsveränderung rund zwei Zentimeter im Zügelmaß aus. Das reicht! Braucht man vielleicht doch mal mehr (z. B. beim Reiten einer Wendung), reicht ein zusätzliches leichtes Eindrehen der stellenden Zügelfaust.

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Mit dem Anspannen, Entspannen und Eindrehen der Faust verändert sich das Zügelmaß bereits um mehrere Zentimeter!
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Tipp 5
Geben Sie sich und dem Pferd Zeit! Erwarten Sie nicht, dass es immer umgehend in Ihrem Sinn reagiert. Wenn Sie zum Beispiel in eine durchhaltende Zügelhilfe  hineintreiben, fangen Sie nicht an, sofort rechts-links zu fummeln, nur weil Ihr Pferd vielleicht nicht auf der Stelle den Kopf senkt oder vielleicht sogar einen kleinen Augenblick gegen die Zügelhilfe geht. Geben Sie ihm die Möglichkeit herauszufinden,
was Sie möchten. Hier ist nicht die Hand die wichtigste Einwirkung, sondern die treibende Schenkelhilfe. Die Hand wartet einfach ab.

Tipp 6
Stellung abfragen ist wichtig, denn nur über Stellung kann auch Biegung erreicht werden. Lässt sich das Pferd vielleicht auf einer Seite nicht so gut stellen, setzen Sie auf keinen Fall mehr Kraft ein, um den Kopf herumzubekommen. Ihr Pferd wird gegenhalten und sich dann nicht mehr stellen können. Stattdessen verändern Sie durch leichtes senkrechtes Anheben der inneren Hand den Druckpunkt im Maul und verlagern ihn in Richtung Maulspalte. Weiter treiben und abwarten, bis das Pferd nachgibt und/oder kaut. Der Druckpunkt Maulspalte funktioniert übrigens auch ohne Gebiss: Fassen Sie Ihrem Pferd mal mit einem Finger in die Lefze – und Sie werden sehen, dass es mit einer Kaubewegung antwortet. Dieses Kauen ist Voraussetzung dafür, dass Unterkiefer und Genick überhaupt loslassen können. Das Anheben der inneren Hand ist keine klassische Hilfe, sondern lediglich eine Korrektur.

Tipp 7
Um eine Vorstellung vom idealen Kontakt zum Pferdemaul zu bekommen, hilft eine einfache Übung, für die Sie nicht einmal ein Pferd brauchen: Befestigen Sie eine Wurzelbürste oder eine Kardätsche an einem Zügel. Ziehen Sie den Zügel nun durch einen Ring an der Wand – zum Beispiel einen Anbindering – und spannen Sie ihn. Sobald Sie einen Widerstand spüren, haben Sie den optimalen Kontakt erreicht. Hebt sich die Bürste an, ist der Kontakt bereits zu stark. Jetzt nehmen Sie den Zügel auf oder verlängern ihn, ohne, dass sich die Spannung ändert. Sie sind gezwungen, den Kontakt zu halten. Noch praxistauglicher wird die Übung, wenn Sie sie mit zwei Zügeln, zwei Bürsten und zwei Ringen ausführen.

Tipp 8
Und noch etwas aus der Kategorie Spüren und Begreifen: Mit dem Gebiss hat ein Pferd im Allgemeinen ein Eisen im Maul, das auf sehr empfindliche Strukturen wirkt. Welche Schmerzen falsche oder gar grobe Einwirkungen der Reiterhände verursachen können, lässt sich im Selbstversuch am besten und nachhaltigsten spüren. Einfach mal fest den harten Knauf der Gerte aufs Schienbein (natürlich ohne Stiefel) pressen. An diesen Stellen befinden sich, ähnlich wie auf der unteren Lade des Pferdemauls, nur Haut, Knochen und hochsensible Knochenhaut. Das Gleiche gilt übrigens auch für viele gebisslose Zäumungen, die auf den ebenfalls nur wenig gepolsterten und deshalb sehr empfindlichen Nasenrücken des Pferdes wirken!

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Der harte Gertenrücken auf das Reiterschienbein gedrückt ist ziemlich unangenehm, wer mehr drückt und die Gerte vielleicht sogar etwas hin- und herschiebt, wird über kurz oder lang sogar Schmerzen empfinden. Ein guter Selbstversuch um zu erahnen, wie sich ein Gebiss im noch sensibleren Pferdemaul anfühlt! © PS

Tipp 9
Sind Sie ein/e Fummler*in? Die Frage können Sie sich selbst beantworten. Dazu mal  eine Haltparade reiten und: fünf Sekunden Unbeweglichkeit. Diese Übung gab es früher in vielen Dressuraufgaben – und mit Unbeweglichkeit war hier nicht nur das Pferd, sondern auch der Reiter bzw. die Reiterin gemeint. Bauen Sie dies immer wieder in Ihr Training ein und machen Sie nach der ganzen Parade mal nichts. Überhaupt nichts! Einfach still sitzen, atmen, Beine leicht ans Pferd geschlossen haben und die Hände abwarten lassen. Gar nicht so einfach …