EINMALEINS DES REITENS

Woran erkennt man gutes Reiten – und woran Schlechtes?

Ein Artikel von Pamela Sladky | 15.09.2020 - 11:51
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So harmonisch sieht es aus, wenn Pferd und Reiterin gut zusammenarbeiten:Die junge Reiterin sitzt gut im Gleichgewicht, das Pferd dehnt sich vertrauensvoll an die feinfühligeReiterhand und wirkt dabei rundum zufrieden. Ideale Voraussetzungenfür ein gesund erhaltendes Reittraining! © www.slawik.com

Wer an gutes Reiten denkt, hat meist ähnliche Bilder vor Augen: Pferd und Reiter bewegen sich im gleichen Rhythmus, verbunden durch nahezu unsichtbare Signale bilden sie eine Einheit, scheinen dasselbe Ziel vor Augen zu haben, ziehen an einem Strang – ganz gleich ob im Dressurviereck, im Springparcours oder im Gelände. Es sind Momente voller Stolz und Selbstbewusstsein, die, gepaart mit dem Respekt und der Achtung voreinander,jene wundervollen Augenblicke formen, nach denen jeder Reiter strebt.

Auch wenn gutes Reiten immer schön anzusehen ist, geht es dabei nicht vordergründig um die Optik. Das Hauptaugenmerk liegt in der Gesunderhaltung des Pferdes. Wer sein Pferd grob oder schlecht reitet, löst fast immer Stress bei seinem vierbeinigen Partner aus. Im schlimmsten Fall fügt er ihm damit sogar Schmerzen zu. Das Fluchttier Pferd hat keinen Schmerzlaut. Während ein Hund laut aufjault oder zu winseln beginnt, wenn ihm etwas wehtut, leidet ein Pferd still. Ein Umstand, dessen sich viele Reiter nicht bewusst sind – den manche aber leider auch bewusst ausnutzen, um keine Rücksicht auf die Bedürfnisse ihres Sportpartners nehmen zu müssen. Doch auch wenn sich Pferde nicht mit Lauten ausdrücken, Stress, Unzufriedenheit oder Schmerzen lassen sich für den aufmerksamen Beobachter dennoch feststellen.

5 Anzeichen für ein gestresstes Pferd

Der Schweif eines entspannten Pferdes pendelt beim Reiten im Rhythmus der Bewegung locker hin und her. Klemmt das Pferd ihn hingegen ein oder peitscht es damit laufend kräftig, auch wenn es nicht von Insekten umschwirrt wird, ist das ein sicheres Zeichen für Unwohlsein.

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Bei diesem Paar ist ganz viel negative Spannung drin. Das Pferd wird mitviel Zügeleinwirkung geritten, der Reiter blockiert durch seinen schiebendenSitz den Pferderücken, die natürliche Balance geht verloren, Taktproblemeentstehen. Das Pferd äußert seinen Unmut durch hektisches Schweifschlagen. © www.slawik.com

Eine gelungene Kommunikation mit dem Reiter auf dem Rücken zeigt sich auch am Pferdemaul. Ein entspanntes, geschlossenes Maul, das in einem ausreichend locker verschnallten Reithalfter zufrieden auf dem Gebiss kaut, ist ein gutes Indiz dafür, dass das Pferd mit der Zügelverbindung des Reiters einverstanden ist. Ein zusammengeschnürtes Pferdemaul, Zähneknirschen, gestresstes Dauerkauen und Zähneklappern, hochgezogene Lippen und/oder eine heraushängende Zunge, die im schlimmsten Fall auch noch blau verfärbt ist - bescheinigen dem Reiter hingegen keine gute Arbeit.

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Dieses Pferd zeigt deutlich, dass es mit seinem Reiter nicht glücklich ist: Der Kopf ist verworfen, das Maul (so weit es der Sperrriemen erlaubt) weit geöffnet, die Nüstern sind hochgezogen und die Augen weit aufgerissen. © www.slawik.com

Der Blick ins Pferdeauge verrät ebenfalls viel über das Wohlbefinden. Beim Reiten wünscht man sich einen wachen und aufmerksamen, dabei aber entspannten Blick des Pferdes. Hervortretende, weit aufgerissene, rollende Augen weisen hingegen auf ein stark angespanntes Pferd hin. Wird ein Pferd über einen langen Zeitraum nicht pferdegerecht geritten, zeigt sich dies oft in einem stumpfen, ausdruckslosen und in sich gekehrten Blick. Solche Pferde haben aufgegeben und fügen sich ihrem Schicksal.

Auch mit den Ohren kann ein Pferd ausdrücken, ob es sich wohlfühlt. Dauerhaft verkrampft nach hinten angelegte oder seitlich heruntergedrückte Ohren deuten auf Schmerzen oder Erschöpfung hin.

Schwitzen ist wie beim Menschen ein natürlicher Vorgang, um den Körper vor Überhitzung zu schützen. Es ist also völlig normal, wenn ein Pferd, das sich während des Trainings anstrengt, schwitzt. Dennoch gibt es auch hier Unterschiede. Ein bei der Viereckarbeit von oben bis unten nasses Pferd, das an mehreren Stellen von Schaum bedeckt ist, wird selten pferdegerecht gearbeitet. Schwitzt ein Pferd trotz mäßiger Arbeit stark, ist das oft auch ein Zeichen für großen emotionalen Stress und/oder Schmerzen.

Die richtige Haltung

Der Hals ist für die Balance des Pferdes sehr wichtig. Es benutzt ihn wie eine Balancierstange, um im Gleichgewicht zu bleiben. Ist ein Pferd aufgeregt, richtet es den Hals stark auf – damit verschafft es sich nicht nur einen besseren Überblick, es verlagert dabei auch seinen Schwerpunkt Richtung Hinterhand und bereitet sich so auf eine schnelle Flucht vor. Ein entspanntes Pferd trägt Kopf und Hals tief.

Auch beim Reiten spielt die Kopf-Hals-Position eine wichtige Rolle. Damit ein Pferd durch das Geritten werden keinen Schaden nimmt und seine Rückenmuskulatur unverspannt arbeiten kann, muss es seinen Hals richtig benutzen können. Voraussetzung dafür ist ein guter Sitz des Reiters und eine feine Anlehnung, an die das Pferd seinen Hals herandehnen kann. Ein permanent sehr hoch getragener Hals bei weggedrücktem Rücken ist für das Pferd nicht nur unangenehm, sondern kann auf die Dauer auch schwere gesundheitliche Schäden an Beinen und Rücken verursachen.

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Die „Rollkurhaltung“, bei der der Kopf des Pferdes durch starke Zügeleinwirkung an die Brust gezurrt wird, stellt sowohl seelisch als auch körperlich eine große Belastung für die Tiere dar. Obwohl auf Turnieren derart aggressives Reiten verboten ist, sieht man immer wieder Reiter, die ihre Pferdeso „trainieren“. © fotolia.com

Aber auch wer seinem Pferd mit harter Hand den Kopf an die Brust zwingt und dessen Hals einrollt, tut seinem Pferd nichts Gutes. Das Sichtfeld des Pferdes ist in dieser Haltung stark eingeschränkt, es sieht nicht, wohin es tritt, die Atmung wird behindert und die Halsmuskulatur schmerzhaft überdehnt. Diese auch als „Rollkur“ bezeichnete Art des Trainings ist Stress pur für Pferde – kein echter Pferdefreund tut seinem Partner so etwas an.

Allerdings ist eine Pferdenase hinter der Senkrechten nicht automatisch mit einem aggressiven Reitstil und Rollkur gleichzusetzen. Viele der heutigen Pferde sind sehr beweglich im Hals und obendrein ausgesprochen sensibel. Auf eine unruhige Hand und zu harte Paraden reagieren sie schnell mit einem "sich Verkriechen" hinter dem Zügel und einem Einrollen des Halses - auch wenn der Reiter das eigentlich gar nicht möchte.

Um beurteilen zu können, ob man nun gutes oder schlechtes Reiten vor Augen hat, ist es deshalb wichtig, sich nicht auf ein einziges Kriterium zu versteifen, sondern das gesamte Pferd im Blick zu haben. Stimmen Bewegungsablauf, Rückentätigkeit, Maultätigkeit, Augenausdruck, Schweifhaltung, Ohrenspiel und Atmung und wirkt der Reiter dabei fein und zurückhaltend ein, ist er auf einem guten und pferdegerechten Weg.

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Reiten soll Pferd und ReiterIn Spaß machen –egal ob bei einem flotten Galopp im Gelände, beim Dressurtraining im Viereckoder im Springparcours! © www.slawik.com

Jeder macht Fehler

Kein Reiter ist davor gefeit, Fehler zu machen. Deshalb kann es auch den Besten passieren, dass ihr Pferd gelegentlich mit dem Schweif schlägt, das Maul aufsperrt oder seinen Unmut auf andere Weise äußert. Solche Dinge können bei der Ausbildung eines Pferdes immer wiedermal vorkommen, und man sollte nicht zu streng mit jemandem ins Gericht gehen, wenn Pferd oder ReiterIn einmal einen schlechten Tag haben. Schon am nächsten kann es wieder viel besser aussehen.

Zeigt ein Pferd hingegen immer wieder deutlich, dass es mit der Behandlung durch seinen Reiter unglücklich ist, wirkt der Mensch grob und ungerecht auf das Pferd ein und setzt es großem Stress oder gar Schmerzen aus, dann kann man dabei sicherlich nicht von gutem und schon gar nicht von pferdegerechtem Reiten sprechen. Solche Reiter sind keine geeigneten Vorbilder, ganz egal, wieviele Erfolge sie mit dieser Art der Ausbildung vielleicht schon errungen haben! Wer sich als echter Pferdemensch versteht, wird stets versuchen, Probleme auf eine vernünftige Art zulösen, die auf Verständnis und Mitarbeit des Pferdes beruhen. Auch, wenn eine Problemlösung auf diese Art und Weise manchmal etwas länger dauern kann.