Einhändig reiten

Besser reiten mit einer Hand

Ein Artikel von Regina Käsmayr, Pamela Sladky | 19.02.2021 - 12:15
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Mit den Zügeln in einer Hand verlagert sich der Fokus automatisch auf die anderen Reiterhilfen.
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Einhändiges Reiten war früher die Norm. Das zeigen historische Quellen ganz klar. Die geteilte Zügelführung, wie sie heute mehrheitlich die Regel ist, diente jahrhundertelang bestenfalls zur Ausbildung des jungen Pferdes. Danach nahm der Reiter die Zügel in eine Hand und hatte die zweite frei, um anderes Wichtiges damit zu tun – eine Waffe zu führen und zu kämpfen, zum Beispiel. Zwar muss man sich hoch zu Ross heute nicht mehr gegen potenzielle Angreifer zur Wehr setzen, dennoch lohnt es sich, einhändiges Reiten immer wieder in den Trainingsalltag einzubauen. Denn die Liste der positiven Nebeneffekte, von denen jeder Reiter und jede Reiterin profitieren kann, ist lang.  

Der Naheliegendste und gleichzeitig Wichtigste ist: Wer die Zügel in einer Hand führt, reitet automatisch weniger handbetont, der Fokus verlagert sich ganz von allein auf die Sitz-, Gewichts- und Schenkelhilfen. Und das verbessert die Einwirkung langfristig enorm. Wer sich beispielsweise gerne am inneren Zügel festzieht, lernt beim einhändigen Reiten rasch und nachhaltig, die Biegung des Pferdes lediglich mit Hilfe von Sitz und Schenkel aufrechtzuerhalten – ganz so, wie es sich ja eigentlich auch gehört.

Was auf den ersten Blick vielleicht nicht wie ein Vorteil wirken mag, ist es auf den zweiten: Anlehnungsfehler lassen sich beim einhändigen Reiten weniger leicht kaschieren. Die Zügel in einer Hand verraten untrüglich, ob im Vorfeld gut gearbeitet wurde. Die Erkenntnis, dass doch nicht alles Gold ist, was vorher noch so hübsch geglänzt hat, kann im ersten Moment ernüchternd sein, auf Dauer gesehen ist sie jedoch heilsam, weil Defizite in der Ausbildung frühzeitig behoben werden können, bevor sie später richtig Probleme machen.

Manchmal hilft einhändiges Reiten aber auch, die Anlehnung leichter herzustellen. Das kann besonders bei sensiblen und empfindlichen Pferden der Fall sein. Sobald der Reiter nicht mehr permanent am Zügel herumzuppeln kann – was mit den Zügel in einer Hand deutlich schwerer fällt – finden viele Pferde deutlich leichter Vertrauen in die Reiterhand und nehmen den Kontakt zum Gebiss leichter an.  Je besser man mit seinem Sitz arbeitet, desto weniger wird der Zügel letztlich auch gebraucht. Das ist nicht nur ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu richtig gutem Reiten, sondern schlicht auch angenehmer fürs Pferd!

Finetuning der Hilfen

Es gibt also viele Gründe die für gelegentliches einhändiges Reiten sprechen. Doch die Zügel einfach in eine Hand zu nehmen – damit ist es freilich nicht getan. Es braucht schon etwas Vorbereitung, damit der Wechsel von zwei Händen zu einer Hand auch etwas bringt.

Bevor mit den ersten konkreten Übungen gestartet wird, sollte klargestellt sein, dass das Pferd sicher am inneren Schenkel und äußeren Zügel steht. Müssen Biegungen noch durch einen seitwärtsweisenden Zügel eingeleitet werden, so sollte zunächst an einem feineren Abstimmen der Hilfen gearbeitet werden. Dabei sind Stellung und Biegung, Takt und Losgelassenheit sowie das Erarbeiten des Gleichgewichtes die wichtigsten Schritte. Probeweise kann der Reiter dann immer wieder für kurze Zeit beide Zügel in eine Hand nehmen und warten, was passiert. Das geht problemlos auch mit einer Trensenzäumung. Wählen Sie bei dieser Übung die Gangart, in der Ihr Pferd sich am leichtesten an den Zügel stellen lässt. Fällt es auf die Vorhand oder biegt sich nicht mehr, so gehen Sie wieder zurück zur gewohnten Zügelführung.

Bei der Umstellung allgemein gilt: Vom Einfachen zum Schwierigen, vom Langsamen zum Schnellen. Dabei fallen die Zügelhilfen mehr und mehr weg. Die Gewichts- und Schenkelhilfen hingegen werden immer weiter verfeinert.

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© PS Pferderevue

So wird's gemacht:
Die richtige Handhaltung


Traditionell werden beim einhändigen Reiten die Zügel mit der linken Hand gefasst. Es schadet aber nichts, die Zügelhand immer wieder auch zu wechseln. Dadurch wirken Sie einer Einseitigkeit entgegen.

Fassen Sie die Zügel zunächst mit der linken Hand so, dass sie vom kleinen Finger geteilt werden. Der linke läuft dabei unter dem kleinen und der rechte unter dem Ringfinger durch. Die Enden legen Sie in die Zügelfaust und über den Zeigefinger, wo Sie sie auffächern und mit dem Daumen festhalten.

Zum beidseitigen Annehmen führen Sie die Zügelhand mehr zu Ihrem Bauch, zum beidseitigen Nachgeben in Richtung Pferdehals. Wollen Sie nur den linken Zügel verkürzen, drehen Sie die Hand so, als wollten Sie auf die Uhr sehen.  Um den rechten Zügel anzunehmen, drehen sie die Fingernägel nach oben. Möchten Sie einen der Zügel stärker verkürzen, fassen Sie ihn mit der freien Hand nach.

5 Übungen

Erste Übungen auf dem Zirkel
Am einfachsten gelingt der Wechsel von der beidhändigen auf die einhändige Zügelführung auf der Großen Tour. Reiten Sie zunächst noch beidhändig in schultervorartiger Stellung auf dem zweiten Hufschlag und schwenken dann langsam auf den Zirkel. Denke Sie dabei an den Drehsitz. Fühlt es sich harmonisch an? Dann nehmen Sie versuchshalber die Zügel in eine Hand (am besten in die äußere). Versuchen Sie zu erfühlen, wann Sie welche Hilfe wie stark geben müssen, um das Pferd in Takt, Tempo und Bewegungsrichtung konstant halten zu können.

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Durch die konstante Biegung auf der Tour steht das Pferd sicher am  äußeren Zügel. Der Drehsitz erhält zusammen mit dem ­inneren Schenkel  die Biegung aufrecht. Die Gerte unterstützt das innere Bein. © PS Pferderevue

Tour verkleinern und vergrößern
Tasten Sie sich an stärkere Biegungen heran, indem Sie die Große Tour nach und nach verkleinern. Die wegweisende Zügelhand kann jetzt nur noch durch ein leichtes Verschieben der Zügelfaust nach innen einwirken, ansonsten braucht es bereits vermehrten Schenkelgehorsam vom Pferd – und einen konsequent eingesetzten Drehsitz. Ihre freie rechte Hand kann den seitwärtstreibenden äußeren Schenkel gegebenenfalls mit der Gerte sanft unterstützen.
Zum Vergrößern reiten Sie am besten schultervorartig. Die innere Wade wirkt dabei am Gurt vorwärts-seitwärts treibend und biegend. Die äußere Wade verwahrend eine Handbreit hinter dem Gurt. Die Zügelfaust kann leicht nach außen verschoben werden um der Vorhand den Weg zu weisen.

Handwechsel
Auch Handwechsel werden zunächst auf der Großen Tour geritten. Der Vorteil: Durch die konstante Biegung haben Sie das Pferd sicher an Ihren äußeren Hilfen, und es besteht weniger Gefahr, dass es über die äußere Schulter ausbricht. Orientieren Sie sich an der bekannten Hilfengebung und denken Sie wiederum an den Drehsitz. Für eine Wendung nach rechts nehmen Sie die Zügelfaust in die entsprechende Richtung und drehen sie so, dass Ihre Fingernägel sichtbar werden. Für eine Wendung nach links gilt das gleiche, allerdings drehen Sie die Faust dabei so, als wollen Sie eine Armbanduhr ablesen. Verkürzen oder verlängern Sie den neuen inneren Zügel, wenn nötig, mit der freien rechten Hand.

Übergänge
Unter Umständen müssen Sie Ihr Pferd vor einem Gangartenwechsel mit halben Paraden vermehrt ins Gleichgewicht bringen. Stellen Sie sich vor, Ihr Becken wäre mit dem Pferd verwachsen. Einen Übergang vom Schritt in den Trab leiten Sie wie folgt ein: Geben Sie mit der Zügelfaust nach, indem Sie die Hand senken und die Fingernägel nach unten drehen. Dann machen Sie sich groß und atmen verstärkt ein, was bereits eine feine treibende Hilfe darstellt. Im Idealfall trabt das Pferd an, wenn Sie einen leichten Impuls mit Ihrem Becken geben. Wer noch nicht soweit ist, unterstützt die Sitzhilfe zusätzlich mit dem Schenkel. Folgt das Pferd dieser Aufforderung nicht, kann ein aufforderndes Zungenschnalzen oder ein Vibrieren mit der Gerte den nötigen Impuls liefern. Beim Wechsel in eine niedrigere Gangart zeigt, sich, wie gut Sie das Pferd am Sitz haben. Im Idealfall sollte es sicher auf ein Ausatmen, entsprechende Gewichtshilfen und eventuell ein Stimmkommando durchparieren. Tut es das nicht, liegt es möglicherweise daran, dass sich das Pferd auf dem Zügel abstützt oder sich dahinter verkriecht. Beides ist fehlerhaft, kann aber durch konsequentes Reiten über den Sitz abgestellt werden. Auch wenn es nicht gleich klappt, werfen Sie die Flinte nicht ins Korn. Die Pferde stellen sich in der Regel schnell auf die (Hand)reduzierte Hilfengebung ein, weil sie einfach angenehmer ist.

Schulterherein
Klappen die vorangegangenen Übungen problemlos, können sich Pferd und Reiter an die nächste Übung wagen – das Schulterherein. Für den Beginn dieser bereits recht fortgeschrittenen Lektion nehmen Sie die Zügel allerdings wieder in zwei Hände. Erst wenn sie beidhändig geritten sicher gelingt, werden die Zügel wieder mit einer Hand gefasst. Reiten Sie zunächst eine kleine Tour. Belasten Sie dabei den inneren Sitzbeinhöcker und treiben Sie mit dem inneren Schenkel am Gurt, um das Pferd zum Biegen zu veranlassen. Zieht sich das Pferd innen fest, korrigieren Sie es durch ein Vibrieren am inneren Zügel. Julia Thut beschreibt die nächsten Schritte: „Nach Beenden der Volte (kleine Tour) schieben Sie die Vorhand durch ein leichtes Verschieben der Zügelfaust und mit Blickrichtung nach innen und nehmen die innere Schulter zurück als ob Sie eine zweite Volte reiten wollten. Sobald Sie den gewünschten Abstellungswinkel erreicht haben, beginnen Sie mit dem Schulterherein.“ Auch hier drehen Sie die Zügelfaust so nach innen, dass Sie auf der rechten Hand ihre Fingernägel sehen und auf der linken Hand das Zifferblatt Ihrer Armbanduhr.

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Grundposition der Gerte senkrecht nach oben (links), als Verstärkung des rechten Schenkels (Mitte), als Verstärkung des linken Schenkels (rechts) © PS Pferderevue

So wird's gemacht:
Die Gertenverwendung

Eine Gerte kann bei der Umstellung auf das einhändige Reiten sehr nützlich sein. Biegt sich ein Pferd nicht wie gewünscht, so nimmt man die Gerte auf die innere Seite und touchiert damit das Pferd anstatt den Schenkeldruck immer weiter zu erhöhen. Wird sie gerade nicht gebraucht, kann man sie in der zügellosen Hand wie eine Kerze nach oben gerichtet tragen. Das hat den Vorteil, dass sie von hier aus an jedem beliebigen Punkt des Pferdekörpers eingesetzt werden kann. Wer das nicht möchte, hält die Gerte einfach so, wie er es gewohnt ist.