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Vor allem ältere Pferde ab 15 Jahren sind von der hochgradig schmerzhaften Zahnkrankheit EOTRH betroffen. © www.slawik.com

EOTRH: Quälender Zahnschmerz

Ein Artikel von Susan Pickers, Pferdedentistin | 16.02.2016 - 09:20
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Vor allem ältere Pferde ab 15 Jahren sind von der hochgradig schmerzhaften Zahnkrankheit EOTRH betroffen. © www.slawik.com

Das Dülmener Pony Linus beißt keine Karotten mehr ab. Beim Auftrensen reagiert es sehr empfindlich. Linus ist 17, aber wegen seines kummervollen Gesichtsausdrucks wirkt er älter. Der Wallach leidet an einer schmerzhaften Zahnkrankheit, die schon lange beobachtet wird, aber erst 2007 einen Namen erhielt: EOTRH (Equine Odontoclastic Tooth Resorption and Hypercementosis). Bislang gibt es keine erfolgreiche Therapie dagegen, im schlimmsten Fall werden alle befallenen Zähne gezogen. Auf ihrer Suche nach Heilmitteln stießen Mediziner jetzt jedoch auf ein vielversprechendes Präparat.

Rechtzeitig erkennen

Da die Krankheit Schneide- und Hakenzähne betrifft, sollten ReiterInnen öfter die Frontzähne kontrollieren. Im Anfangsstadium ist EOTRH zwar leicht zu übersehen, doch fortgeschritten offenbart sich die Erkrankung auf den ersten Blick: Die Zähne sind extrem lang, stehen wie Zangen in steilem Winkel zueinander und sind voll Zahnstein. Der Kiefer ist stark vorgewölbt, das Zahnfleisch zurückgewichen und rot. Eitrige Bläschen (Fisteln) treten auf. Die Pferde haben übel riechenden Atem und speicheln viel, die Zähne sitzen locker.

Das Übel beginnt an der Wurzel. Dort laufen zwei krankhafte Prozesse gleichzeitig ab: Gesunde Zahnsubstanz wird von Fresszellen, den Odontoklasten, vernichtet. Um den Schaden zu beheben, bildet der Zahn massenhaft Zement (Hypercementosis) – mit der Folge, dass die ursprünglich schlanke Wurzel zu einer dicken, harten Knolle heranwächst und den Kieferknochen zerstört. Die Krankheit verläuft recht schnell: Die VeterinärInnen rechnen in Wochen und Monaten, nicht in Jahren.

Prophylaxe ist wichtig

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Regelmäßiges Kürzen der Vorderzähne kann der Krankheit vorbeugen bzw. sie bremsen. © www.slawik.com

Pferdezähne „wachsen“ ein Leben lang. Ohne diesen Mechanismus wäre der Steppenbewohner schon lange ausgestorben. Die Vorfahren unserer Reittiere ernährten sich nämlich hauptsächlich von harten Gräsern, Wurzeln und Rinde. Das nutzte die Zähne ab, sie wurden jedoch nicht kürzer, weil sie jedes Jahr um etwa drei Millimeter nachschoben. Das funktioniert bis heute so. Doch wir können unsere Tiere nicht urzeitlich ernähren. Folge: Die Zähne reiben sich nicht ausreichend ab und werden immer länger und scharfkantig. Deshalb müssen Pferde regelmäßig zum Zahnarzt. Sechs- bis 16-jährige einmal im Jahr, junge und alte Tiere öfter.

Seniorenkrankheit

EOTRH ist sehr schmerzhaft, chronisch fortschreitend und betrifft zumeist Pferde, die älter als 15 Jahre sind, so die Ergebnisse einer gemeinsamen Studie der Tiermedizinischen Hochschulen Hannover und Wien, die 2010 bei der Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft zur Funktionsverbesserung der Pferdezähne e. V. (IGFP) vor 170 Pferdezahn- Spezialisten aus 14 Nationen präsentiert wurden.

Mechanischer Stress gilt als eine Ursache für die schwere Erkrankung. Gemeint ist übergroßer Druck durch zu lange Schneidezähne. „Wahrscheinlich spielt auch eine bakterielle Infektion des Zahnhalteapparats eine Rolle“, nennt Zahnspezialist Dr. Huber Simhofer von der Veterinärmedizinischen Universität in Wien einen weiteren möglichen Auslöser. Robuste Rassen wie Isländer, Norweger oder Haflinger scheinen wegen ihrer Knochenhärte häufiger von den quälenden Zahnknollen heimgesucht zu werden als leichtere, „moderne“ Typen. Aber die Beobachtungen gehen auseinander, gesicherte Erkenntnisse gibt es bislang nicht.

„Bei erhöhtem Druck müssen die Zähne regelmäßig gekürzt werden“, rät Souel Maleh, IGFP-Vorsitzender und Tierarzt im hessischen Mühltal. Zahnkontrollen durch ausgebildete Kräfte müssen jedes Jahr erfolgen und dienen auch der Vorbeugung von EOTRH. „Durch deutliches Kürzen der Schneidezähne nach Beschleifen der Backenzähne“ könne die Krankheit gebremst werden, sagt der Pferdezahnarzt Maleh, der auf diesem Wege einem Patienten mit Hyperzementose – eine Form von EOTRH – sechs Jahre lang die Frontzähne erhalten konnte. Schließlich kam es dann doch zu Entzündungen, und die Zähne wurden gezogen. Früherkennung ist bei EOTRH also wichtig. PferdebesitzerInnen sollten genau hinschauen, wenn ihr Vierbeiner hartes Futter nicht mehr abbeißen möchte und auffällig rotes Zahnfleisch hat.

Röntgenologisch lässt sich die Krankheit schon im Entstehen erkennen, und dann besteht Hoffnung, dass man – neben der manuellen Bearbeitung – auch medikamentös noch etwas erreichen kann. „Cortisonspritzen in die Schleimhaut, Tildren-Infusionen (ein Biphosphonat, das in der Humanmedizin u. a. zur Behandlung von Osteoporose eingesetzt wird, Anm.), aber auch Homöopathika wie Hepar Sulfuris, Symphytum und Silicea“, zählt Tierarzt Manfred Stoll Mittel auf, mit denen er gute Erfahrungen gemacht hat.

Bewährt haben sich auch sogenannte Heilpilze. Hierbei handelt es sich nicht um Hexerei, sondern um die Entdeckung eines uralten Heilmittels in der Tiermedizin. Sie sind reich an natürlichem Vitamin D2, stärken das Immunsystem, wirken antientzündlich und antioxidativ. Letzteres dient dem Schutz der Zellen vor schädlichen Einflüssen und soll sogar vor Tumoren bewahren.

Besser ohne Zähne

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EOTRH mit extrem stark ausgeprägter Hympercementose: Solche Schneidezähne tun schrecklich weh, ein Leben ohne Frontzähne ist da die bessere Alternative.

Bei dem Dülmener Pony Linus können die Pilze vielleicht nicht mehr viel ausrichten. Die Krankheit hat schon sichtbar alle Schneidezähne im Oberkiefer und teilweise im Unterkiefer befallen. Da hilft nur das beherzte Kürzen und Reinigen der Zähne durch die Dentistin. Sie hofft, dem braunen Wallach mit dem typischen Aalstrich auf dem Rücken die Zähne so lang wie möglich erhalten zu können. Doch was ist, wenn Linus alle Schneidezähne verliert? Wie fühlt er sich als „zahnloser Opa“? Kann er noch zum Grasen auf die Weide? Die Erfahrung zeigt: Pferde sind auch ohne Schneidezähne glückliche Weidegänger. EOTRH tut schrecklich weh. Nach der OP scheint das Leben wieder lebenswert.
 

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