Fütterung

Springen, Vielseitigkeit, Dressur, Distanz: So unterschiedlich sind die Ansprüche an die Pferdefütterung

Ein Artikel von Dr. Dorothe Meyer | 13.08.2019 - 14:33
trakehner_tweety9186.jpg

Jeder Pferdesportdisziplin hat andere Anforderungen, die sich auch auf die Fütterung auswirken. © www.Slawik.com

Auch die beste Ernährung kann aus einem durchschnittlich begabten Sportler kein Spitzenpferd machen, keine anatomischen Probleme beheben und keine Trainingsfehler kompensieren – das ist beim Pferd nicht anders als beim Menschen. Trotzdem ist es wichtig, die Fütterung auf die disziplinenspezifischen Anforderungen an den Bewegungsapparat des Pferdes abzustimmen: Eine Dressurprüfung beansprucht den Pferdekörper nicht auf die gleiche Weise wie ein Distanzritt, im Parcours werden andere Muskelgruppen und Fähigkeiten gefordert als im Fahrsport.

Um die Leistungsfähigkeit zu optimieren, die Freude an der Arbeit zu steigern und die Verletzungsgefahr zu minimieren, sollte daher neben dem Training auch die Fütterung an die individuellen Anforderungen einer Disziplin angepasst werden – denn nur dann kann die Muskulatur optimal funktionieren, Höchstleistungen ermöglichen und zugleich Gelenke, Sehnen und Bänder vor Schäden schützen.

Die Grundanforderungen an eine gesunde Fütterung sind natürlich bei jedem Pferd dieselben. Die Basis sollte in jeder Disziplin eine ausreichende Menge von qualitativ gutem Wiesenheu bilden – das schützt den Magen, entlastet den Dünndarm, pflegt die Darmflora und optimiert die Rittigkeit. Kraftfutter sollte mengenmäßig immer dem individuellen Bedarf angepasst und in kleinen, über den Tag verteilten Portionen gefüttert werden. Wichtig ist auch, dass das Pferd stressfrei – dass heißt zum Beispiel ungestört von ranghöheren Pferden – und möglichst viele Stunden am Tag mit der Nahrungsaufnahme beschäftigt ist.

Davon abgesehen gibt es aber sehr wohl disziplinabhängige Unterschiede, die bei der Fütterung berücksichtigt werden sollten, will man die Leistungsfähigkeit seines Pferdes optimal unterstützen.

oldenb_cadeaunoir816116.jpg

Dressurpferd: Gefordert sind in erster Linie die Muskelzellen, die Fett verbrennen.
©www.Slawik.com

Das Dressurpferd

Von seinem Dressurpferd wünscht sich der Reiter Durchlässigkeit, einen locker mitschwingenden Rücken, ein leicht anzusprechendes aktives Hinterbein, ein hohes Maß an Versammlungsfähigkeit und ruhige, gelassene Aufmerksamkeit. Um diese Ansprüche erfüllen zu können, benötigt ein Dressurpferd – genauso wie ein Fahrpferd – vor allem jene Muskelzellen im Körper, die überwiegend Fett verbrennen – die sogenannten ST- und FTH-Zellen. Grundsätzlich gilt deshalb beim Dressurpferd: viel Heu, dafür eher wenig Kraftfutter, da die wichtigste Energiequelle für die ST-Zellen wie auch für die FTH-Zellen kurzkettige Fettsäuren sind. Gutes, blattreiches Wiesenheu ist reich an Zellulose bzw. Hemizellulose und damit auch die beste Voraussetzung für eine gesunde und stabile Darmflora, die für einen losgelassenen Rücken unbedingt notwendig ist.

Erhält ein Dressurpferd zu wenig oder sehr grobstängeliges, holziges Heu, das von den Dickdarmsymbionten nicht mehr umfassend angegriffen werden kann, äußert sich das oft als erstes in mangelnder Rückentätigkeit, in einem schlechter ansprechbarem Hinterbein, Problemen in den Traversalen und mangelhaftem Abkippen des Beckens.

Als Krippenfutter hat Hafer mehrere Vorteile: Sein hoher Spelzenanteil lockert den Magen-Darm-Inhalt auf und macht ihn dadurch für die Verdauungsenzyme schnell zugänglich. Anders als andere Getreide enthält Hafer Schleimstoffe, die die empfindlichen Schleimhäute des Verdauungstraktes schützen. Die Stärke des Hafers kann im Dünndarm zu rund 90 Prozent abgebaut werden, während zum Beispiel bei Gerste nur rund 30 Prozent der Stärke vom Dünndarm verwertet werden können.

Bei sehr starker Beanspruchung kann es sinnvoll sein, das Futter mit Pflanzenöl (maximal 200 ml pro Tag, auf mindestens drei Mahlzeiten verteilt) anzureichen, um den Energie-, nicht aber den Eiweißgehalt zu erhöhen, denn eine starke Eiweißüberversorgung führt unter anderem zu Wasser- und Elektrolytverlust, einer Belastung des Harnstoffzyklus, erhöhtem Energieumsatz und Leistungsminderung.

Ein 1,70 m großes und rund 630 kg schweres Dressurpferd sollte bei leichter Arbeit (rund 45 Minuten täglich in allen Grundgangarten, vorwiegend im Schritt) rund 12­kg Heu und 1 kg Hafer bekommen. Bei mittlerer Arbeit (bis zu einer Stunde täglich in allen Grundgangarten, vermehrte Trab- und Galopparbeit) und bei sehr anspruchsvollem Training (90 Minuten täglich und mehr auf Grand-Prix-Niveau) bleibt die Heumenge dieselbe, die Haferration erhöht sich aber auf 2,5 kg. Neben Heu und Hafer ist es sinnvoll, zusätzlich individuell abgestimmte Ergänzungsfuttermittel mit Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen zu füttern.

AdobeStock_71914466.jpeg

Springpferd: Für rasche Reaktionen ist auch der Wasser- und Elektrolythaushalt wichtig. ©catwalkphotos - stock.adobe.com

Das Springpferd

Im Parcours werden vom Pferdekörper Höchstleistungen verlangt: Die Muskeln müssen beim Absprung explosive Kraft entwickeln und in engen Wendungen hohe Fliehkräfte ausgleichen. Ein Springpferd muss hoch konzentriert sein, blitzschnell reagieren können und soll dabei trotzdem nicht „aufdrehen“, sondern sich immer gehorsam und durchlässig wieder aufnehmen lassen. Zuständig für die explosive Kraftentwicklung am Sprung sind die sogenannten FT-Muskelzellen, die keine kurzkettigen Fettsäuren, sondern ausschließlich Kohlenhydrate verbrennen. Das bedeutet aber nicht, dass Springpferde nun übermäßig viel Kraftfutter und kaum Heu bekommen sollten. Springcracks brauchen zwar mehr Kohlenhydrate als Dressurpferde, aber übertrieben große Mengen an Getreide oder Müsli können die Darmflora stören, Magengeschwüre verursachen, den Appetit senken, den Insulinbasalwert erhöhen und schlussendlich auch zu Rittigkeitsproblemen und Leistungseinbrüchen führen.

Auch beim Springpferd sollte deshalb reichlich gutes Wiesenheu auf dem Speiseplan stehen, die daraus gewonnenen flüchtigen Fettsäuren sind für Stunden ein kontinuierlicher Energielieferant, auf den auch das Springpferd zwischen den Sprüngen dringend angewiesen ist. Noch dazu ist die Heufütterung wichtiger Teil eines gesunden Wasser- und Elektrolythaushaltes, denn rund 80 Prozent der täglichen Wasseraufnahme geschieht bei der Heuaufnahme. Frisches Trinkwasser und ein sauberer Salzleckstein sollten immer zur Verfügung stehen. Gerade beim Springpferd sind das im Körper enthaltene Wasser und die darin gelösten Mineralien, die sogenannten Elektrolyte, entscheidend für Gesundheit und Leistungsvermögen.

Ein Springpferd mit einem Stockmaß von 1,70 m sollte rund 11 kg Heu, also etwas weniger als ein Dressurpferd mit den gleichen Körpermaßen, erhalten. Dafür ist die Haferration leicht erhöht: 1,4 kg bei leichter Arbeit, 3 kg bei mittelschwerer Beanspruchung.

AdobeStock_64823409.jpeg

Vielseitigkeitspferd: Gefordert sind Ausdauer, Schnellkraft und Konzentration. ©ellenamani - stock.adobe.com

Das Vielseitigkeitspferd

Der Alleskönner unter den vierbeinigen Sportlern braucht sowohl ST- und FTH-Zellen für die Dressur und die Ausdauerleistung im Busch als auch die schnellen FT-Zellen für die Springprüfung und die Hindernisse im Gelände. Vielseitigkeitspferde bekommen gutes, blattreiches Wiesenheu in einer Menge von 1,7 bis 1,8 Prozent ihrer Körpermasse. Die damit verbundene Bildung von Acetat (kurzkettige Fettsäure) für den Energiestoffwechsel ist für die im Vielseitigkeitssport geforderten FTH-Zellen gut, gleichzeitig sorgt das Heu dafür, dass das Pferd ausreichend trinkt und über einen Wasser- und Elektrolytspeicher im Dickdarm verfügt.

Dieser natürliche Wasserspeicher ist wichtig, um während der enormen Anstrengung auf der Geländestrecke alle biochemischen Reaktionen wie den Energiestoffwechsel voll funktionsfähig zu halten, eine Bluteindickung und Belastung des Kreislaufes zu verhindern sowie die Körpertemperatur über das Schwitzen zu regulieren.

Zur Heumahlzeit passt auch beim Vielseitigkeitspferd Hafer mit Öl-Dressing. Ein ungefährer Richtwert für ein 550­kg schweres Pferd, das mittel bis stark gefordert wird, wären 10 kg Kilogramm Heu, 2,5 bis 3 kg Hafer und 150­ml Leinöl. Dazu bedarf es natürlich noch einer Ergänzung mit Vitaminen- und Spurenelementen, damit ausreichend Coenzyme für reibungslos ablaufende Stoffwechselvorgänge vorhanden sind.

14449006793751.jpg

Distanzpferd: Kohlenhydrate nur in Maßen, Blutzuckerschwankungen sind zu vermeiden.

Das Distanzpferd

Wie bei kaum einer anderen Disziplin ist die Leistungsfähigkeit im Distanzsport neben dem Training von der richtigen Fütterung abhängig. Und bei keiner anderen Disziplin stellt die Fütterung vergleichbar hohe Anforderungen an das Management im Stall – in Bezug auf die Futterqualität, die Fütterungshäufigkeit oder die Kontrolle nicht nur der Futter- sondern auch der Trinkwasser- und Salzaufnahme. Der Organismus des Pferdes wird auf der langen Strecke mit zwei Herausforderungen konfrontiert: über Stunden andauernde Belastung und starker Schweißverlust. Um dem gewachsen zu sein, braucht der Körper vor allem eine gute Energieversorgung sowie einen gefüllten Wasser- und Elektrolytspeicher.

Ein gut trainiertes, im Wettkampf schonend eingesetztes Pferd wird – bis auf Zwischen- und Endspurt – vor allem im aeroben Bereich laufen, das heißt, dass Sauerstoff verfügbar ist und somit die langsam kontrahierenden ST-Muskelfasern in Aktion treten. Im Idealfall erhält ein Distanzpferd 60 bis 75 Prozent der benötigten Energie rein aus der Fermentation im Dickdarm. Damit das funktioniert, braucht es eine stabile Dickdarmflora mit höchster mikrobieller Aktivität sowie schmackhaftes Heu mit extrem guter hygienischer Beschaffenheit und einem Energiegehalt von 8 MJ vE/kg.

Gut strukturiertes, aber nicht verholztes, sondern sehr blattreiches Wiesenheu kann diese Ansprüche erfüllen, wenn es bis maximal kurz vor Ende der Blüte geschnitten wird. Zu feine Heuqualitäten sind wegen ihres Unterangebotes an Rohfaser ebenso zu vermeiden wie stark stängelige, verholzte, sperrig-raue Qualitäten.

Kohlenhydrate sollte das Distanzpferd nur in Maßen bekommen. Zum einen sind Magen- und Dünndarmverdauung bei keinem Pferd auf große Mengen an Stärke und Zucker ausgelegt. Beim Distanzpferd kommt aber noch ein weiterer Grund für eine reduzierte Kohlenhydratfütterung hinzu: Blutzuckerschwankungen sollten möglichst gering gehalten werden. Eine Fütterung mit hohem Stärkeanteil (Getreide) führt zu einem Anstieg von Insulin (verantwortlich für die Energiespeicherung, Fettspeicherung und Proteinsynthese im Muskel sowie die Glykogeneinlagerung in der Leber) und zu einem Abfall von Thyroxin (verantwortlich für den Energieverbrauch, verstärkt den Glykogenabbau in der Leber, erhöht den Sauerstoffverbrauch im Muskel). Deshalb gilt für Distanzpferde die Regel: viel Heu und wenig Getreide.

Uneingeschränktes Lesevergnügen im Pferderevue Online-Archiv!

Dieser Artikel von Dr. Dorothe Meyer wurde erstmals in Ausgabe 6/2018 der Pferderevue veröffentlicht. Pferderevue AbonnentInnen können diese Artikel zusammen mit über 40.000 weiteren in unserem Online-Archiv kostenlos nachlesen. Einfach im E-Paper-Bereich einloggen und in allen Heften aus über 25 Jahren Pferderevue zum Nulltarif blättern!

Jetzt kostenloses Probeexemplar bestellen

Sie kennen die Pferderevue noch nicht? Dann bestellen Sie gleich jetzt Ihr kostenloses Probeexemplar. Nutzen Sie dazu einfach und bequem unser Online-Formular oder schicken Sie uns ein formloses Mail, Betreff: Probeheft (bitte Namen und Adresse nicht vergessen!)

Oder Sie rufen uns unter der folgenden Telefonnummer an: 01 5452577-420

Sie erhalten umgehend die aktuelle Ausgabe der Pferderevue frei Haus!