Haarige Angelegenheit

Ran an den Pelz: Was man über die Pferdeschur wissen sollte

Ein Artikel von Stephanie Schiller | 23.09.2021 - 15:45
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Mit oder ohne? Die Entscheidung, ob man sein Pferd schert oder nicht, muss wohl überlegt sein.
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Wenn die Tage kürzer und die Nächte kühler werden, verwandelt sich das Pferdefell langsam aber stetig vom feinen Sommerhaarkleid zu einem dicken Winterpelz. In vielen Ställen entbrennt damit die alljährliche Diskussion um eine Schur. Von manchen als unerlässlich erachtet, ist sie bei anderen verpönt und wird als unnötig, ja als nichtpferdegerecht abgestempelt. Doch was stimmt nun?

Tatsächlich sollte die Entscheidung, ob der Vierbeiner Fell lassen muss, nicht leichtfertig getroffen werden. In der Abwägung des Für und Wider muss dem Pferdebesitzer bewusst sein, welche Aufgabe das Winterfell des Pferdes erfüllt und was es für den Körper bedeutet, wenn dieses abgeschoren wird.

Dank ihrer guten natürlichen Kleidung sind Pferde weitaus weniger kälteempfindlich als Menschen – bei Temperaturen von 5 bis plus 25 Grad Celsius fühlen sie sich am wohlsten. Beginnen sie bei tieferen Temperaturen doch zu frieren, werden über die unwillkürliche Aktivierung eines kleinen Muskels (arrector pili), der am Haarbalg jedes Haars ansetzt, die Fellhaare aufgestellt. Zwischen den Haaren entsteht so ein isolierender Luftpolster, der warm hält. Außerdem drücken die Haarbalgmuskel beim Aufrichten auf die Talgdrüsen und entleeren sie. Als Kälteschutz gelangt so vermehrt Talg auf die Hautoberfläche, der vor weiterer Kühlung durch Schweißverdunstung schützt.

Bei Kälte springt auch die natürliche Heizung an: Die Muskulatur wird kräftiger durchblutet. Je stärker der Kältereiz, desto mehr Energie wird dafür aufgewandt. Rund 75 % der gesamten Stoffwechselenergie des Pferdes fließen in diesen Vorgang, der Rest in die Bewegung. In der Regel benötigen Pferde mit Winterfell daher auch keine schützende Decke. Wird das Pferd gearbeitet und beginnt zu schwitzen, reicht es im Normalfall, eine Abschwitzdecke aufzulegen. Eine Schur ist somit nicht in allen Fällen zwingend notwendig.

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Durch das Aufstellen der Haare entsteht ein isolierender Luftpolster, der die Pferde bei kalten Temperaturen warm hält.
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Anders gestaltet es sich bei Pferden, die täglich trainiert werden, Turniere bestreiten sollen oder schlicht unter ihrem dicken Pelz leiden, weil sie nach einer Anstrengung lange zum Trocknen brauchen. „Tatsächlich entscheidet die individuelle Situation, ob eine Schur sinnvoll ist. Mit einer Voll- oder Teilschur kann man übermäßigem Schwitzen oder Nicht-Trocknen nach dem Reiten vorbeugen“, meint Daniela Wolf auf die Frage, wann denn eine Schur überhaupt zu empfehlen sei. Die Gebietsleiterin von Equiva Austria berät regelmäßig Kunden zum Thema Scheren. „Ein weiterer Pluspunkt ist natürlich, dass auch frühzeitiges Ermüden bei der täglichen Arbeit durch das dicke Winterfell mit einer Schur vermieden werden kann.“ Diese Aussage untermauert eine Studie der schwedischen Universität Uppsala, die die Auswirkungen einer Schur auf Herzfrequenz, Atmung und Hauttemperatur des Pferdes untersuchte. Ungeschorene Pferde atmeten deutlich schneller und hatten auch eine höhere Hauttemperatur, weil sie die Wärme nicht abgeben konnten. Sie brauchten nach der Arbeit deutlich länger zur Regeneration als geschorene Pferde.


Kleidung statt Fell

Beschäftigt man sich mit den Vorteilen einer Schur, dürfen allerdings auch die Nachteile nicht aus den Augen verloren werden. Wer eine Schur erwägt, muss sich auch mit dem Thema Eindecken auseinandersetzten. Denn geschorene Pferde müssen ausreichend warmgehalten werden. „Wer sich nicht damit beschäftigen kann oder will, bei stark wechselnden Wetterverhältnissen die jeweils passende Decke anzuwenden, sollte sich eher für eine Teilschur oder dafür, nicht zu scheren, entscheiden“, meint Wolf.

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Geschorene Pferde benötigen eine Decke, die den Wärmeverlust ausgleicht. © www.Slawik.com

Tatsächlich sollte man je nach Schur und Pferderasse verschiedene Decken parat haben – von einer dünnen Decke für den Stall über eine Regendecke bis hin zur dick gefütterten Winterdecke. Und das am besten in zweifacher Ausführung, sollte ein Exemplar auf der Koppel beschädigt oder gerade gereinigt werden. Auch daran sollte man nämlich von Zeit zu Zeit denken, verdreckte Decken wärmen weniger gut, auch leidet die Atmungsaktivität.

Wird ein Pferd seines Winterpelzes beraubt, muss es trotz dicker Decken, die eventuell nicht sämtliche geschorene Bereiche abdecken, außerdem mehr Energie in die Temperaturregelung stecken. Dies bedeutet, dass es möglicherweise mehr Futter benötigt, um diese Energie bereitstellen zu können.

Der optimale Zeitpunkt zum Scheren hängt stark vom Wetter und der individuellen Beschaffenheit des Winterfells ab. Im Normalfall werden in den Ställen erstmals von Oktober bis November die Schermaschinen ausgepackt. Einige scheren im Frühjahr während des Fellwechsels noch einmal, um übermäßiges Haaren zu vermeiden. Für kranke oder ältere Pferde, die mit dem Fellwechsel Probleme haben, können Frühjahrs- und Sommerhaarschnitte ein wahrer Genuss sein.


Sicherheit geht vor

Bevor es tatsächlich an die erste Schur geht, sollte man vor allem Pferde, die noch nicht mit Schermaschinen vertraut sind, in aller Ruhe an das Gerät und die Geräusche, die es erzeugt, gewöhnen. Beim Scheren selbst muss man darauf achten, dass man auch an schwierigen Stellen – wie zwischen Vorderbeinen und Bauch – keine Hautfalten einklemmt oder das Pferd gar schneidet. „Man darf auch nicht vergessen, dass man es mit Strom zu tun hat. Also weg von Wasser und Pfützen“, warnt Daniela Wolf und erklärt weiter: „Wird der Motor der Schermaschine heiß, muss man ihr eine kleine Pause gönnen. Dann aber bitte weder auf den Boden legen, da ein Pferd oder man selber drauftreten könnte, noch in entflammbares Stroh oder Heu.“

Nach der Verwendung ist die Wartung der Maschine von besonderer Wichtigkeit. „Will man eine Schermaschine möglichst lange erhalten, empfiehlt es sich, einmal jährlich eine Überprüfung machen zu lassen“, rät Wolf. Viele Reitsportfachhändler bieten diesen Service schon zu günstigen Preisen an. Bei dieser Gelegenheit können auch die Schermesser nachgeschliffen oder neue Ersatzmesser angeschafft werden.

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Auch der richtige Gebrauch verlängert die Lebensdauer einer Schermaschine immens. „Viele vergessen, dass die Schermaschine auf trockenem, völlig sauberem Fell eingesetzt werden sollte und die Scherblätter auch während des Schervorgangs immer wieder geölt und enthaart werden sollten. Damit vermeidet man einen unnötigen Energieaufwand des Motors“, erklärt Wolf.


Welche Schermaschine ist die Richtige?

Die Suche nach der richtigen Schermaschine gestaltet sich nicht immer einfach. Daniela Wolf erklärt, wie sie Kunden auf der Suche nach dem richtigen Gerät behilflich ist: „Es stellt sich immer zuerst die Frage, welchen Bedarf die Schermaschine abdecken soll. Wie oft schert man? Wie viele Pferde in welchem Zeitraum? Wie dick ist das Winterfell? Wird die Maschine für Teil- oder Vollschuren verwendet?“ Erst wenn man wisse, wie man das Gerät einsetzen will, könne die optimale Maschine gefunden werden. Es zahle sich aber keinesfalls aus, bei einer Schermaschine allzu knausrig zu sein. Billige Maschinen seien oft schlechter verarbeitet, dem günstigen Preis stünden häufig höhere Wartungskosten gegenüber.

Der Markt hat sich an private Pferdebesitzer, die nur ein bis zwei Pferde scheren, angepasst, dementsprechend groß ist die Auswahl in diesem Segment. „Equiva bietet in diesem Bereich einige Modelle an, am beliebtesten und am meisten verkauft ist die Constanta Rodeo von Kerbl. Sie ist ein sehr preiswertes Gerät und mit nur 690 Gramm extrem leicht und besonders leise. Sie eignet sich für ein bis zwei Schuren am Stück, ohne dabei besonders heiß zu laufen“, so Wolf. Einziger Nachteil: Die Constanta Rodeo hat keinen Akku, man benötigt also eine nahe gelegene Steckdose. All jenen, die auf der Suche nach einer akkubetriebenen Maschine sind, empfiehlt Daniela Wolf die FarmClipper Akku, ebenfalls von Kerbl. Dieses Gerät ist mit 1,2 kg samt Akku zwar etwas schwerer, es ist allerdings auch für Viel-Scherer bestens geeignet. Pro Akku sind rund 90 Minuten Schurzeit möglich, im Lieferumfang sind zwei Akkus enthalten. Die Scherblätter haben eine Zahnung von 31/15 und sorgen damit für eine feine, gleichmäßige Schur.

Etwas kniffliger wird es schon auf der Suche nach einer Profimaschine, mit der problemlos auch mehrere Pferde am Stück geschoren werden können. Ein Beispiel dafür ist die AESCULAP Econom CL equipe, die als absolutes Profigerät der Branche gilt – was sich auch mit dem stolzen Preis von rund 500 Euro im Geldbeutel bemerkbar macht. Auch dieses Gerät ist akkubetrieben.

Kabellose Geräte sind bei vielen Pferdebesitzern beliebter: Sie sind bedienungsfreundlicher und am Pferdekörper einfacher zu handhaben. Die neue Akkugeneration hat bereits deutlich längere Laufzeiten, sodass zumindest eine Komplettschur problemlos möglich sein sollte. Für den Fall, dass es mal doch länger dauert, empfiehlt es sich, einen geladenen (!) Wechselakku bereitzuhalten. Beim Kauf gilt es zudem, auf die Motor- bzw. Akkuleistung und die Schermesser zu achten. Bei den Schermessern ist es wichtig, dass sie aus hochwertigem Stahl gefertigt wurden. Auch die Zahnung der Blätter, von denen immer zwei benötigt werden, beeinflusst die Qualität der Schur.

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Geschoren wird immer gegen den Strich, parallel zur Haut. ©Talitha - stock.adobe.com

Kaufen oder leihen?

Für Pferdebesitzer, denen die Anschaffung und Wartung einer eigenen Schermaschine zu teuer oder zu aufwendig ist, gibt es Pferdesportfachgeschäfte, die Schermaschinen verleihen. Zudem findet sich auch der ein oder andere Profi , der das Scheren der Vierbeiner als Serviceleistung anbietet. Mit einer wohldurchdachten Entscheidung und entsprechender Vorbereitung steht einem aktivem Herbst und Winter nichts mehr im Wege – ganz egal, ob das Pferd nun geschoren oder ungeschoren davonkommt.