Bei 35 Grad im gestreckten Galopp übers Stoppelfeld? Nicht die beste Idee ... © D-Fotografie | stock-adobe.com
Mit steigenden Sommertemperaturen wird der Umgang mit Hitzebelastung bei Pferden zur zentralen Herausforderung – nicht nur im Freizeitbereich, sondern auch im Turniersport. Die beiden Tierärztinnen Dr. Dagmar S. Trachsel (Dipl. ECEIM) und Dr. Lisa-Hélène Wagner (Dipl. ECAR) von der Vetmeduni forschen aktuell auf dem Gebiet Stress beim Pferd. Vordergründig geht es darum, besser zu verstehen, wie Pferde auf die unterschiedlichen Stresssituationen reagieren und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. Große Hitze ist ein möglicher Stressfaktor – und genau zu diesem Thema haben wir die beiden befragt.
Frau Dr. Trachsel, Frau Dr. Wagner, wie gut kommen Pferde allgemein mit Hitze zurecht?
Warmblütige Lebewesen besitzen die bemerkenswerte Fähigkeit, ihre innere Körpertemperatur durch Thermoregulation aufrechtzuerhalten. Dies geschieht entweder durch Wärmeproduktion (z. B. Muskelzittern) oder Wärmeabgabe (z. B. Schwitzen). Das Risiko für Hitzestress steigt deutlich, wenn hohe Temperaturen mit hoher Luftfeuchtigkeit zusammentreffen, da dadurch die Mechanismen der Thermoregulation beeinträchtigt werden. Hitzebelastung tritt auf, wenn die aufgenommene Wärme die Fähigkeit zur Wärmeabgabe übersteigt. Dieses Phänomen betrifft sowohl den Menschen als auch das Pferd.
Ab wann laufen Pferde heiß?
Die sogenannte Behaglichkeitszone eines Pferdes – also der Temperaturbereich, in dem das Tier weder zusätzlich Wärme produzieren noch überschüssige Wärme abgeben muss – liegt typischerweise zwischen 5 und 25 °C. Diese Zone variiert jedoch je nach Rasse, Alter, Geschlecht und individueller Akklimatisation. Dank dieser Anpassungsfähigkeit können Pferde in sehr unterschiedlichen Klimazonen gehalten werden.
Immer wieder liest man, dass Pferde Hitze schlechter vertragen als Menschen. Stimmt das?
Bei Bewegung entsteht durch Muskelarbeit zusätzliche Wärme: Lediglich 20 bis 25 % der Muskelenergie werden in Bewegung umgesetzt, der Rest wird in Form von Wärme freigesetzt. Das Verhältnis von Körperoberfläche zur Muskelmasse ist beim Pferd im Vergleich zum Menschen ungünstiger. Das bedeutet: Im Vergleich zur vorhandenen Muskelmasse steht weniger Oberfläche zur Wärmeabgabe zur Verfügung. Die Thermoregulation des Pferdes ist daher insgesamt etwas weniger effizient. Die Hitzebelastung für Pferde ist bei einer Hitzewelle vergleichbar mit der für Menschen – tendenziell sogar höher. Hitzewarnungen können daher auch für Pferde als Orientierung dienen.
Übergewicht ist ein Risikofaktor bei Hitze. Aber auch alte Pferde, Pferde mit angeschlagenem Gesundheitszustand und Tiere mit dichtem Fell leiden besonders unter heißen Temperaturen. ©www.Slawik.com
Gibt es Pferdetypen, die Hitze besonders schlecht aushalten?
Ja, besonders gefährdet sind ähnlich wie beim Menschen übergewichtige Pferde sowie Tiere mit dichtem Fell oder ausgeprägtem Kötenbehang. Auch kranke Pferde sind stärker belastet.
Ab welcher Temperatur würden Sie vom Reiten abraten?
Die Entscheidung, ob ein Pferd bei großer Hitze geritten werden sollte, hängt von mehreren Faktoren ab: Temperatur, Luftfeuchtigkeit, die generelle körperliche Verfassung des Pferdes und die Intensität der geplanten Aktivität. Generell sollten sportliche Aktivitäten in die kühleren Tageszeiten verlegt werden, idealerweise in die frühen Morgenstunden. Schattige Orte wie Waldwege oder luftige Reithallen bieten zusätzliche Entlastung. Wichtig ist außerdem, dass man das Wohlbefinden des eigenen Pferdes richtig einzuschätzen weiß, und erkennen kann, wenn die individuelle Belastungsgrenze erreicht ist.
An heißen Sommertagen sollten sportliche Aktivitäten in die kühleren Tageszeiten verlegt werden, idealerweise in die frühen Morgenstunden. Schattige Orte wie Waldwege oder luftige Reithallen bieten zusätzliche Entlastung. © Christiane Slawik, www.slawik.com
Woran erkennt man, dass ein Pferd überhitzt?
Klinische Parameter geben Aufschluss: Eine deutlich erhöhte Herzfrequenz (ab 80 bis zu 220 Schläge/min), beschleunigte Atmung (80 bis 100 Atemzüge/min) sowie eine stark erhöhte Körpertemperatur von über 40 °C (normal bis 38°C). Eine Kapillarauffüllzeit von mehr als 2 Sekunden weist auf Kreislaufprobleme hin. Atmung, Körpertemperatur (rektal) und Kapillarzeit an der Maulschleimhaut sind Werten die jeder Pferdehalter am eigenen Tier erheben kann. Diese Symptome erfordern schnelles Handeln.
Was sind die häufigsten Fehler beim Umgang mit Pferden bei Hitze?
Ein verbreiteter Fehler ist das unzureichende Kühlen nach der Arbeit: Häufig werden nur Beine, Hufe oder Bauch abgespritzt, was nicht ausreicht.
Wie sieht ein optimales "Cool Down" im Sommer aus?
Laut Swiss Equestrian und FEI sollte das Pferd im Schatten im Schritt geführt werden, bis sich Atmung und Puls beruhigt haben. Danach erfolgt die Versorgung im Schatten und die Bereitstellung von Trinkwasser.
Und wenn das nicht ausreicht?
Falls eine intensivere und effektive Abkühlung erforderlich ist, empfiehlt sich das Abspritzen mit großen Mengen an kaltem Wasser – entweder mit dem Gartenschlauch oder einem Eimer. Um eine effektive Kühlung zu erreichen, müssen vor allem die großen Muskelpartien der Hinterhand, der Lende und des Rückens abgespritzt werden, da in diesen Bereichen während der Bewegung die meiste Wärme entsteht. Das Abspritzen sollte zunächst an den Beinen und am Bauch beginnen, bevor man sich langsam zu Rücken und Hinterhand vorarbeitet. Ein plötzliches Übergießen des Rückens mit sehr kaltem Wasser könnte bei einem kreislaufgeschwächten Pferd aufgrund des starken Temperaturunterschieds die Kreislaufsituation vorübergehend verschlechtern. Durch ein behutsames Vorgehen lässt sich eine effektive Abkühlung erreichen, ohne das Tier zusätzlich zu belasten.
Allerdings ist es wichtig zu betonen, dass das gezielte und intensive Kühlen der Pferde weder zu Muskelschäden führt, noch das Risiko erhöht, dass das Tier kollabiert, sich verletzt oder an einer hitzebedingten Erkrankung leidet. Das Gegenteil ist der Fall: Das Risiko für solche Vorfälle wird durch das Kühlen erheblich reduziert.
Sind Ventilatoren oder Wasservernebler eine Alternative?
Eher nicht. Studien haben gezeigt, dass weder Wasservernebler noch Ventilatoren das Pferd so effektiv kühlen können wie das gezielte Abspritzen mit Wasser.
Welche Rolle spielen Elektrolyte und wie sollten sie verabreicht werden?
Pferde verlieren über den Schweiß große Mengen an Elektrolyten. Diese müssen ersetzt werden, etwa über Mineralleckerlis oder Elektrolytlösungen. Wichtig: Die Lösung muss für das Pferd geschmacklich akzeptabel sein, damit sie auch aufgenommen wird. Ein einfaches Rezept (Wasser, Apfelsaft, Salz) findet sich bei Swiss Equestrian.
Die durchschnittliche Anzahl der Hitzetage hat sich in den letzten Jahrzehnten verdoppelt bis verdreifacht. Ein Trend, der sich Fachleuten zufolge noch weiter fortsetzen wird. Turniere finden gehäuft im Sommerhalbjahr statt, die Verlegung der Startzeiten ausschließlich auf kühlere Tageszeiten ist in der Praxis nicht durchführbar. Wie lässt sich das Risiko auf Turnieren objektiv einschätzen?
Bei der Belastung während eines Trainings oder beim Turnier spielt nicht nur die Lufttemperatur eine Rolle, sondern auch weitere Faktoren wie Luftfeuchtigkeit, wie viel Wind vorhanden ist und wie stark die Sonneneinstrahlung ist (also bei welcher Tageszeit und Sonnenstand die Belastung durchgeführt wird, oder ob Wolken am Himmel sind). Alle diese Faktoren können in einem Index zusammengerechnet werden. Dieser Index ist der Wet Bulb Globe Temperature»-Index (WBGT-Index) oder in Deutsch die Feuchtkugeltemperatur.
Dieser Index ist seit mehreren Jahren in den Empfehlungen der FEI für die Organisierung und Durchführung von Turnieren in Ausdauersportarten eingeflossen und kam u. an auch bei den Olympischen Spielen zur Anwendung. Ab einem Wert von 30 sind Schutzmaßnahmen erforderlich, ab 32-33 müssen Turnierabläufe angepasst werden. Ab einem Wert von über 33 sind die Umweltbedingungen nicht mit einem sicheren Wettbewerb vereinbar und das Turnier wird abgesagt.
Für eine effektive Kühlung müssen vor allem die großen Muskelpartien (Hinterhand, Lende, Rücken) intensiv "gewässert" werden. © www.slawik.com
Wie kann man Pferde auf Sommerturniere vorbereiten, wenn hohe Temperaturen angekündigt sind?
Empfohlen wird eine schrittweise Akklimatisierung über 14 Tage (5–6 Trainingseinheiten/Woche) bei steigenden Temperaturen und Luftfeuchtigkeit. Erste Effekte sind nach etwa einer Woche sichtbar. Dabei ist allerdings zu beachten, dass die Akklimatisierung nicht bedeutet, dass das Pferd dieselbe Arbeit in Intensität und Dauer leisten kann, wie unter kühleren Umweltbedingungen. Mit dieser Vorbereitung wird ausschließlich des Risikos der Überhitzung minimiert, aber nicht vollständig eliminiert.
Was raten Sie Reiter:innen, wenn ein Start bei Hitze bevorsteht?
Vorab sollte man sich beim Veranstalter über Schattenplätze, Wasserversorgung und Kühlungsmöglichkeiten informieren. Wann immer möglich sollte ein Schattenplatz aufgesucht werden, an dem sich das Pferd zwischen der Ankunft, Aufwärmen und Wettkampf aufhalten kann. Zusätzlich sollten ausreichend Wasser und Elektrolyte zur Verfügung stehen. Das Pferd sollte stets genau beobachtet werden, um Anzeichen von starker Belastung oder Überbelastung frühzeitig zu erkennen und mit den anwesenden Tierärzteam rechtzeitig entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
FEI empfiehlt zusätzliche Kühlungsphasen beim Aufwärmen:
- 20 Minuten Aufwärmen
- intensive Kühlung
- weitere 20 Minuten Aufwärmen
- erneute Kühlung
- Start
Gibt es eigentlich Unterschiede im Hitzemanagement zwischen Sport- und Freizeitpferden?
Physiologisch nicht. Sportpferde sind aufgrund ihres regelmäßigeren und intensiveren Trainingsprogramms wahrscheinlich fitter und können daher besser mit Ausnahmebedingungen umgehen.
Wie erkennen Reiter:innen frühzeitig einen drohenden Hitzeschlag?
Zu den ersten Symptomen gehört eine beschleunigte Atemfrequenz, die sich nur langsam erholt. Gleichzeitig bleibt die Herzfrequenz erhöht und die innere Körpertemperatur liegt deutlich über dem Normwert, ohne sich in der Erholungsphase abzusenken. Die Haut fühlt sich eher warm bis heiß an und das Pferd schwitzt stark. Betroffene Pferde können zudem unkoordiniert wirken, einen abwesenden und schläfrigen Eindruck erwecken. Mache Tiere zeigen jedoch das Gegenteil: Sie wirken unruhig, zeigen für sich untypisches Verhalten, wirken gereizt bis hin zur Aggressivität.
Ein weiterer Hinweis auf Hitzestress ist der Flüssigkeitsverlust durch das starke Schwitzen. Dieser äußert sich über trockene Schleimhäute von Maul und Auge, eine verzögerte Rückbildung einer Hautfalte (Hautfalte bleibt stehen) sowie eine geringe oder fehlende Urinausscheidung, wobei dieser dann oft dunkel gefärbt ist.
Welche Notfallmaßnahmen empfehlen Sie, bis ein Tierarzt eintrifft?
Die Empfehlungen sind wie beschrieben das Kühlen des Pferdes durch
- die Verbringung des Tieres in den Schatten
- die Bereitstellung von ausreichend Trinkwasser
- die intensive Kühlung mit großen Mengen kaltem Wasser
Kann eine Überhitzung bleibende Schäden verursachen?
Eine übermäßige Hitzebelastung stellt in den meisten Fällen eine vorübergehende Belastung, die durch schnelles und gezieltes Handeln behoben werden kann.
Langzeitfolgen sind eher als Komplikation einer Hitzebelastung oder Erschöpfung zu sehen. Der Verlust von Elektrolyten- und Flüssigkeit kann zu Minderdurchblutung einiger Organsysteme führen, was deren Funktion erheblich beeinträchtigen kann. Darüber hinaus kann eine oder die übermäßig hohe innere Körpertemperatur direkte Zellschäden verursachen. Besonders anfällig sind hierbei die Zellen des Magen-Darm-Traktes, Muskelzellen und die Zellen der Lederhaut in den Hufen.
Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung, Anzeichen einer Hitzebelastung frühzeitig zu erkennen und unverzüglich tierärztlichen Rat einzuholen. Mit rechtzeitiger und adäquater Behandlung – insbesondere durch gezielte Kühlung sowie dem Ausgleich von Elektrolyt- und Flüssigkeitsverlusten – können solche Langzeit Schäden in den meisten Fällen vermieden werden.