Studie

Gruppenhaltung für Hengste: artgerecht oder zu riskant?

Ein Artikel von Pamela Sladky | 06.05.2021 - 11:54
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Zuchthengste des Schweizer Nationalgestüts in Avenches genießen den gemeinsamen Weidegang. © Agroscope, Schweizer Nationalgestüt, Avenches

Laut Heidrun Gehlen, Katrin Krumbach und Christa Thöne-Reineke ist die Gruppenhaltung von Hengsten nicht nur möglich, sondern auch die artgerechteste Form der Unterbringung. Zu diesem Schluss kam das Forscherinnen-Trio, nachdem es 50 wissenschaftliche Arbeiten rund um das Thema Hengsthaltung ausgewertet hatte.

In vielen Fällen ist es die Angst vor Verletzungen, die Halter*innen davor zurückschrecken lässt, ihre Hengste mit anderen Pferden zusammenzustellen. Dabei ließen sich Blessuren durch das richtige Management drastisch reduzieren, berichten die Wissenschaftlerinnen im Open-Access-Journal Animals. „(Die Hengsthaltung) birgt nur dann ein Risiko für Verletzungen, wenn die notwendigen Anforderungen für diese Art der Haltung nicht erfüllt werden“, so das Trio.  

Kernpunkte sind neben der Abwesenheit von Stuten eine ausreichend große Fläche, auf denen die Hengste genügend Platz vorfinden um sich gegenseitig ausweichen zu können, eine gute Gruppenzusammensetzung, die die Charaktere der einzelnen Tiere berücksichtigt, mehrere Futter- und Tränkestellen, sowie passende Liege- und Ruhebereiche.

Ein Versuch am Schweizer Nationalgestüt Avenches hat gezeigt, dass die Vergesellschaftung von Hengsten unter diesen Voraussetzungen in der Regel glimpflich abläuft. Die Zusammenführung mehrerer Zuchthengste ging ohne gröbere Verletzungen vonstatten. Und: Das Aggressionsverhalten der Tiere nahm innerhalb von nur vier Tagen signifikant ab.

„Pferde sind sehr soziale Tiere, die in freier Wildbahn in Gruppen leben. In den vergangenen Jahren geht der Trend in der Pferdehaltung zunehmend hin zur artgerechten Gruppenhaltung. Hengste sind im Gegensatz dazu aber nach wie vor vornehmlich auf traditionelle Weise untergebracht“, schreiben die Forscherinnen.

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Die Zuchthengste Follow Him's Schönweide und Sky auf Gut Schönweide in der Holsteinischen Schweiz sind in Sozialboxen untergebracht, die auch physischen Kontakt zwischen Tieren ermöglichen.  © www.sportfotos-lafrentz.de

Einzelhaltung usus

Studien zufolge lebten im Jahr 2003 gerade einmal 6 % der Hengste zusammen mit anderen Pferden. 2011 hatte sich dieser Wert auf 11 % gesteigert, 2015 war knapp jeder vierte Hengst in Gruppenhaltung untergebracht. Auch wenn der Trend eindeutig in die richtige Richtung geht, lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Mehrzahl der Pferdemänner nach wie vor den Großteil seines Lebens allein in der Einzelbox, ggf. mit alleinigem Auslauf auf einem Paddock oder einer Koppel verbringt.  

Das Fehlen sozialer Kontakte bleibt für ein Herdentier wie das Pferd nicht ohne Folgen. Der Stress der Isolation führt bei vielen Hengsten zu Verhaltensproblemen und Aggression. Auch Krankheiten, vor allem im Bereich der Atmung, der Verdauung und des Bewegungsapparates seien häufige Begleiterscheinung, so Studienautorin Heidrun Gehlen. Untersuchungen zufolge sind rund 50 Prozent der Hengste davon betroffen. Eine Umstellung des Haltungskonzepts hin zur Gruppenauslaufhaltung hätte erwiesenermaßen eine deutliche Verbesserung dieser Probleme zur Folge. Darüber hinaus führe der regelmäßige Sozialkontakt mit Artgenossen zu einem allgemein freundlicheren und entspannteren Umgang mit dem Menschen.

Nicht immer möglich

Allen positiven Aspekten zum Trotz halten die Forscherinnen in ihrer Arbeit fest, dass die Gruppenhaltung nicht immer und mit jedem Hengst möglich ist. Dies sei insbesondere bei Tieren der Fall, die lange in der Isolation gelebt hätten. Auch sei die Gruppenhaltung für Betriebe, in denen ein oftmaliger Wechsel der Tiere stattfände, für diese Haltungsform nicht geeignet. Für solche Fälle bräuchte es gesonderte Optionen, die dem Hengst dennoch eine möglichst artgerechte Unterbringung bieten.

Einen gangbaren Weg sieht das Forscherinnen-Trio in der Einzelboxenhaltung über Nacht ergänzt durch gemeinsamen Koppelgang mit einem Wallach untertags. „Auf diese Weise würde der Hengst nicht die ganze Zeit über allein gehalten, sondern hätte die Möglichkeit sich tagsüber mehrere Stunden gemeinsam mit einem Artgenossen frei zu bewegen, was eine artgerechte Alternative für den Hengst darstellt. Es kommt nur sehr selten vor, dass sich diese Variante nicht umsetzen lässt und dass es besser für den Hengst ist, ihn die ganze Zeit über allein zu halten.“  

Sollte es an letztgenanntem Szenario kein Vorbeikommen geben, müsse der Hengst zumindest in Sicht-, Hör- und Geruchsweite zu Artgenossen untergebracht sein. Sozialboxen, wie sie sie am Schweizer Nationalgestüt im Rahmen einer Studie getestet wurden, seien für diesen Zweck eine gute Alternative.

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© Agroscope

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