Vorsicht giftig

Herbstzeitlose im Heu: Sortieren Pferde wirklich zuverlässig aus?

Ein Artikel von Pamela Sladky | 01.06.2022 - 11:48
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Die Herbstzeitlose gehört zu den giftigsten heimischen Pflanzen.
© Anemone123 | pixabay.com

In vielen Regionen mit extensiv genutzten Grasflächen ist die Herbstzeitlose ein häufiger Gast – allerdings kein neuer. Schon Ende des 19. Jahrhunderts gab es Bemühungen, der zart violett blühenden Pflanze auf heimischen Wiesen Einhalt zu gebieten. Das gelang durch die Intensivierung der Grünlandwirtschaft nach dem 2. Weltkrieg vorerst auch. Doch seit einigen Jahren breitet sich Colchicum autumnale, so der wissenschaftlicher Name, wieder stärker aus – so stark, dass die landwirtschaftliche Nutzung als Weideland oder zur Heugewinnung auf manchen Flächen kaum noch möglich ist.

Das Problem: Die in der Herbstzeitlose enthaltenen Giftstoffe Colchicin und Colchicein sind nicht nur in der frischen Pflanze ein Problem. Auch nach Trocknung und Lagerung bleiben alle Teile der Pflanze hoch giftig – und sind damit eine Gefahr für die Endverbraucher, in vielen Fällen Pferde.

Zahlreiche Stallbetreiber hält diese Tatsache nicht davon ab, mit Herbstzeitlose verunreinigtes Heu zu verfüttern. Oft werden besorgte Pferdehalter:innen mit der Argumentation beruhigt, die Pferde würden die giftigen Pflanzteile ohnedies aus ihrer Ration aussortieren. Doch was ist dran an dieser Behauptung? Das untersuchte ein Team deutscher Wissenschaftler:innen rund um Prof. Dr. Ingrid Vervuert vom Institut für Tierernährung, Ernährungsschäden und Diätetik der Universität Leipzig an sechs ausgewachsenen Wallachen.

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Grünland mit derart starkem Herbstzeitlosenbewuchs ist für die Heugewinnung unbrauchbar – was leider immer wieder ignoriert wird. © ROBERT RUIDL - AdobeStock.com

Die an der Studie teilnehmenden Pferde erhielten während des Fütterungsversuchs Heu ad libitum sowie einen Mineralstoffzusatz. Zu sechs verschiedenen Tageszeiten wurde den Pferden über einen Zeitraum von einer Stunde zusätzlich Heu vorgesetzt, das zw. ein und zwei Prozent Herbstzeitlose enthielt. Gleichzeitig wurden die Pferde während der Futteraufnahme beobachtet – persönlich und per Videoüberwachung. Fraß ein Pferd während eines Beobachtungszeitraums mehr als zwei Herbstzeitlosepflanzen, wurde der Versuch abgebrochen und an einem anderen Tag wiederholt. Nach zweimaligem Abbruch wurde das Pferd aus Sicherheitsgründen aus dem Versuch ausgeschlossen.


Kaum Ablehnung

Die Ergebnisse der Beobachtungen sind alarmierend: Trotz ad libitum-Fütterung mit einwandfreiem Heu nahmen fünf von sechs Pferden schon in den ersten beiden Durchgängen Blätter und Kapseln der Herbstzeitlose auf und mussten aus dem Versuch genommen werden. Vier Pferde bevorzugten die Giftpflanze sogar gegenüber ihrem Heu. Auch ein Pferd, das Herbstzeitlosebestandteile zu Beginn des Versuchs noch konsequent aussortiert hatte, legte im Laufe der Studie seine Scheu ab und fraß sie ab der siebten Beobachtungsperiode ebenfalls mit.

So eindeutig wie die Reaktion der Pferde fällt auch das Fazit der Forscherinnen aus: Aufgrund des hohen Gehalts an Colchicin könne bei der Fütterung von mit Herbstzeitlosen veruneinigtem Heu eine Vergiftung keinesfalls ausgeschlossen werden. Wer ein solches Raufutter trotzdem verabreicht, spielt mit dem Feuer, denn gemäß EU-Verordnung (EG) 178/2002, Artikel 15, „dürfen Futtermittel nicht auf den Markt gebracht oder an Lebensmittel liefernde Tiere verfüttert werden, wenn sie unsicher sind“. Als „unsicher“ gelten Futtermittel dann, wenn davon ausgegangen wird, dass sie sich nachteilig auf die Tiergesundheit auswirken. Für Herbstzeitlose im Heu gilt das zweifellos.

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Die Herbstzeitlose bleibt auch nach der Trocknung stark giftig. Im Heu sind alle Teile - Blüten, Blätter, Samen - problematisch.
© Petra Gmainer-Wiedemann

Nicht auf die leichte Schulter nehmen

Herbstzeitlose zählt in unseren Breiten zu den giftigsten Pflanzen. Schon fünf Gramm der Samen können einen erwachsenen Menschen töten, bei frischen Blättern beläuft sich die letale Dosis auf etwa 60 Gramm. Für Pferde wird es laut Giftpflanzendatenbank des Instituts für Veterinärpharmakologie und -toxikologie der Universität Zürich (www.vetpharm.uzh.ch) bei 1200 bis 3000 Gramm frischem Blatt- und Kapselmaterial beziehungsweise fünf Kilogramm Heu pro Tag mit einem Anteil von 1,48 Prozent Herbstzeitlose (entspricht knapp 75 Gramm getrocknete Herbstzeitlose pro Tag) über drei Tage hinweg kritisch.

Eine akute Vergiftung macht sich durch Kolik, Stoffwechselstörungen à la Hufrehe, blutige Durchfälle, neurologische Störungen und Kreislaufversagen bemerkbar und endet im schlimmsten Fall im Tod durch Lähmung der Atemmuskulatur. Eine geringe, aber stetige Aufnahme kann eine chronische Vergiftung zur Folge haben. Betroffene Pferde reagieren mit Leistungsabfall, wiederkehrenden Verdauungsbeschwerden und Abmagerung. Herbstzeitlose im Heu sollte man also keinesfalls auf die leichte Schulter nehmen.