Gewichtiges Thema

Gewichtsdebatte im Reitsport: Zwischen Fat Shaming und Engagement für den Tierschutz

Ein Artikel von Pamela Sladky | 15.04.2021 - 14:08
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Tabuthema: Über das Reitergewicht wird nicht gerne gesprochen.   ©mariesacha - stock.adobe.com

Seit beinahe 50 Jahren ist Kay Hastilow Sattlerin. In dieser Zeit hat sie unzählige Pferd-Reiter-Kombinationen gesehen und sie bei der Wahl des optimalen Sattels beraten. Heute betreut Kay Hastilow Kund*innen nur noch sporadisch. Ein Thema beschäftigt sie trotz ihres Teil-Ruhestandes nach wie vor intensiv.

Für Hastilow ist es „der Elefant im Raum“ – ein offensichtliches Problem, das jeder sieht, über das aber nicht gesprochen wird. Mit dieser Metapher spielt die erfahrene Pferdefrau auf die Gewichtsdebatte an, ein hoch sensibles Thema, das in Reiterkreisen immer wieder sehr emotional diskutiert wird. „Das Reitergewicht ist ein sehr heikles Thema, dem ich (in meinem Blog) bisher aus dem Weg gegangen bin. Es ist leicht, daran Anstoß zu nehmen, aber es ist wichtig für das Wohlergehen unserer Pferde, dass es angesprochen wird“, so die Sattlermeisterin.

Kay Hastilow tut genau das. In ihrem Blog findet sie klare und sehr deutliche Worte für ein Problem, das ihrer Meinung nach viel zu häufig unter den Teppich gekehrt wird. Meist aus Angst, jemanden vor den Kopf zu stoßen oder zu beleidigen. Oft aber auch aus Eigenschutz. Wer die Gewichtsdebatte anstößt, braucht nicht lange auf heftigen Gegenwind zu warten. Schnell driftet die Diskussion ins Persönliche ab. Dennoch dürfe man es nicht einfach totschweigen. „Wenn jemand mit seinem Gewicht zufrieden ist, dann ist das für mich völlig in Ordnung – solange er sich nicht auf auf ein Pferd setzt, das nicht zu seinem Gewicht passt. Das hat nichts mit Fat Shaming zu tun. Hier geht es schlicht um das Wohl der Pferde.“

Gerade Letzteres sieht die Sattlerin durch übermäßiges Gewicht auf dem Pferderücken gefährdet. „Wir erleben das sehr häufig beim Sattelanpassen. Ein eigentlich schön bemuskeltes Pferd mit hervorragender Oberlinie zeigt nach nur drei Monaten bereits leichte Einsenkungen in der Sattellage, sodass der Sattel nachgepolstert werden muss. Ein Jahr später ist die Senkung im Sattelbereich bereits deutlich erkennbar. Ein neuer Sattel mit mehr Schwung im Baum muss her, außerdem beginnt die Muskulatur hinter den Schultern zu atrophieren. Nach ein paar Jahren ist die einst schöne Oberlinie komplett verschwunden. Keine Muskulatur, ein deutlich eingesunkener Rücken, dazu kommen möglicherweise Lahmheits- oder Leistungsprobleme“, berichtet die Sattlerin von ihren Erfahrungen aus der Praxis.

Dass es sich bei diesen Kund*innen einfach um schlechte Reiter*innen gehandelt haben könnte, weist Hastilow von der Hand: „Ich spreche hier von guten Reitern, gut sitzend und ausbalanciert. Das sind tolle Pferdeleute, die ihre Pferde an der Longe arbeiten und am Langen Zügel, um ihre Oberlinie aufzubauen. Sie füttern ihre Pferde gut, pflegen sie, massieren sie, lassen regelmäßig Physiotherapeuten in den Stall kommen und tun wirklich alles, um das Leben ihrer Pferde zu verbessern. Mit einer Ausnahme, die es vor allem bräuchte – ihr Gewicht zu reduzieren!“


Studie bestätigt gewichtiges Problem auf

Das eigene Gewicht auf einem für das Pferd gesundem Maß zu halten oder es entsprechend zu reduzieren ist für Hastilow vor allem eine Frage des Tierschutzes. In ihrem Blog verweist sie auf eine 2018 veröffentlichte Studie die zeigte, dass viel Gewicht im Sattel vorübergehende Lahmheiten beim Pferd auslösen kann.

Damals hatte ein britisches Forscherteam unter der Leitung von Orthopädie-Expertin Dr. Sue Dyson sechs Pferde zu Versuchszwecken durch vier ähnlich erfahrene Personen unterschiedlicher Gewichtsklassen (leicht, normal, schwer, sehr schwer) reiten lassen. Die Pferde, die allesamt ihre gewohnte Ausrüstung trugen, absolvierten 30 Minuten lang ein standardisiertes Training, vornehmlich im Trab und im Galopp. Sämtliche Testläufe mit dem schweren bzw. sehr schweren Reiter mussten vorzeitig abgebrochen werden, weil sich Taktunreinheiten einstellten und/oder weil die Schmerzindikatoren insgesamt deutlich zunahmen.

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© Animal Horse Trust

Zu schwer fürs Pferd: Ein Problem mit vielen Gesichtern
Eine Studie aus Großbritannien untersuchte, welche Auswirkungen ein zu schwerer Reiter auf sein Pferd hat - mit beunruhigenden Ergebnissen. Studien-Leiterin Dr. Sue Dyson erklärt im Interview, warum das Problem nicht zwingend am Body Mass Index des Reiters festgemacht werden kann. Mehr lesen ...

Für Kay Hastilow ist das übermäßig Belasten des Pferderückens durch zu viel Reitergewicht durchaus vergleichbar mit Rollkurreiten oder dem Trimmen der Tasthaare. „Körperlicher Missbrauch und ein zu schwerer Reiter verursachen beide Unbehagen und Leid beim Pferd, aber keiner wird ein Wort wegen Übergewichts verlieren, aus Angst, man könnte ihn als verurteilend bezeichnen."

Hastilow hofft künftig auf einen offeneren Umgang mit dem Thema. "Wir sollten alle an einem Strang ziehen." Tierärzte, Trainer Sattler dürften den Kopf in den Sand stecken sondern müssten Probleme offen ansprechen. Auch wenn das bedeuten sollte, einen Kunden ode reine Kundin zu verlieren.


Wann ist es zu viel?

Wieviel Gewicht ein Pferd unbeschadet tragen kann, ist ein Frage, die sich viele Reiter*innen stellen. Leider gibt es keine allgemeingültige Antwort darauf. Denn das maximal verträgliche Reitergewicht ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, die eine Beurteilung nicht gerade einfach machen. Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz Deutschland widmet diesem Thema ein eigenes Merkblatt, 2019 wurde auf den neuesten Stand der Wissenschaft gebracht. Mehr darüber lesen Sie in diesem Beitrag.