Mensch-Pferd-Beziehung

Übungsserie "Persönlichkeiten" – Teil 3: So sagt dein Pferd „ja!“ zu dir

Ein Artikel von Eva Schweiger | 07.01.2022 - 12:56
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Wenn Pferde lernen, dass sie in ihrer gesamten Persönlichkeit akzeptiert, ja sogar respektiert und geschätzt werden, zeigen sie sich offen und ehrlich. Dazu gehört es, „ja“ und „nein“ zu sagen, die Wünsche ihres Menschen auch durchaus einmal abzulehnen oder eigene Interessen zu haben.

Manche Pferde sagen fast immer „ja“ zu einer Gelegenheit, in Kontakt mit uns zu treten oder zusammenzuarbeiten. Das sind meistens solche, die Menschen als interessant und voller Ideen für gemeinsame Spiele kennengelernt haben. Andere sind vorsichtigere, weniger energiegeladene oder auch schüchterne Charaktere, und sagen schneller „nein“, weil sie sich unwohl fühlen. Manche haben im Laufe ihres Lebens gelernt, dass Zusammenarbeit mit Menschen wenig angenehm ist, und lehnen sie deshalb eher ab. 

Ablehnendes Verhalten ist weder Persönlichkeitsmerkmal noch Urteil, sondern schlichtweg Indikator für eine Unstimmigkeit.


aus: „Persönlichkeiten auf vier Beinen“, Pferderevue Dezember 2021

Gründe für ein Nein gibt es viele. Warum ein Pferd sich weigert, zusammenzuarbeiten, ist auf jeden Fall wert, hinterfragt zu werden. Wenn es zum Beispiel viel Stress in der Herde hat, sich nachts nicht gut ausruhen kann, das Training eintönig oder überfordernd ist oder wenn es schlichtweg gerade ein Schläfchen halten will oder Hunger hat, ist an eine motivierte Zusammenarbeit natürlich nicht zu denken. 

Fühlt ein Pferd sich grundsätzlich wohl und ausgeglichen und sind seine Bedürfnisse erfüllt, wird es meistens "ja" zu uns sagen. Auch wenn es gegenteilige Erfahrungen gemacht hat: Fast jedes Pferd lässt sich relativ schnell davon überzeugen, dass es Spaß machen kann, mit uns zusammen zu sein. Grundvoraussetzung ist die Erkenntnis, dass es bei uns sein darf, wie es ist, sich ausdrücken kann und verstanden wird. Genau das zeigen wir den Pferden mit der heutigen Übung.

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Übung 3: Das Kennenlern-Spiel

Heute geht es endlich ganz nah ans Pferd. Nachdem du nun lange genug aus der Ferne beobachtet hast, dir einen „freien Blick“ und ein Gefühl für den richtigen Augenblick verschafft hast, bist du jetzt bereit auf eine ganz neue Weise mit deinem Pferd in Kontakt zu treten und auszutesten, ob dein Pferd „ja“ sagt zu eurer Zusammenarbeit. Sobald die beiden ersten Übungen dir gut gelingen und du damit vertraut bist, probiere Folgendes aus:

  • Betritt den Raum, indem sich dein Pferd gerade befindet. Am besten eignet sich eine Koppel, ein großer Paddock, ein umzäunter Reitplatz oder eine Reithalle. Dein Pferd muss sich frei bewegen können. Im Idealfall kannst du es auf der Koppel im Kreis seiner Herde besuchen, während es Freizeit hat. Ein Tipp: Nimm kein Futter mit – das lenkt alle Beteiligten ab!
  • Bleib zuerst am Zaun stehen oder geh nur ein paar Schritte weit davon weg. Wichtig ist, dass du nicht direkt auf dein Pferd (oder ein anderes) zugehst. Bleib zuerst eine paar Augenblicke stehen und beobachte so, wie du es in den vorherigen Übungen getan hast. Was tun die Pferde? Reagieren sie auf dich, und wenn ja, wie? Welche Stimmungen zeigen sie? Wie gehen sie miteinander um?
  • Wahrscheinlich wird ein Pferd (vielleicht auch deines) auf dich zukommen und dich begrüßen und untersuchen. Bleib passiv, lass dich auf den Kontakt ein und versuche zu erkennen, was dieses Pferd ausstrahlt. Will es dich begrüßen und herausfinden, was du vorhast? Sucht es dich nach Leckerli ab oder möchte es spielen? Berührt es dich oder sucht es einfach deine Nähe?
  • Wie reagierst du auf die Kontaktaufnahme? Wirst du sofort aktiv und versuchst zum Beispiel, ihm Streicheleinheiten zu geben? Oder findest du es eher aufdringlich und würdest lieber mehr Abstand haben, schiebst es vielleicht weg? Versuch, ein paar Augenblicke lang gar nichts zu tun und eure Interaktion neutral zu beobachten.
  • Vielleicht gelingt es dir, ein Gefühl dafür zu entwickeln, was dieses Pferd gerade von dir will. Du kannst experimentieren: Wie reagiert es auf Berührung – bietet es sich an oder weicht es eher aus? Was passiert, wenn du einen Schritt zurück oder zur Seite machst – akzeptiert es deinen Wunsch nach Distanz oder folgt es dir sofort?
  • Wenn du dich unwohl mit seinem Verhalten fühlst, hast du das Recht, das zu kommunizieren! Wenn es dir zu aufdringlich wird, geh einfach weg. Folgt es dir, kannst du es mit einem Schlenker deiner Hand (oft reicht auch schon ein ernst gemeinter „böser“ Blick und/oder eine schnelle Bewegung des Körpers) zurückweisen. Sucht es Kontakt, zum Beispiel indem es dich mit den Lippen abtastet oder sich in Position für Streicheleinheiten bringt, kannst du entscheiden, ob du darauf eingehen willst. Sieh diesen Kontakt als Spiel, in dem sowohl du als auch das Pferd ganz ihr selbst sein dürft!
  • Nach und nach werden alle Pferde, die aktiv mit dir Kontakt aufnehmen wollen, das tun. Das kann eine Weile dauern. Vielleicht ist dein eigenes darunter, vielleicht auch nicht. Wenn nicht: Geh langsam näher heran und beobachte genau, wie es reagiert. Vielleicht war es gerade mit fressen oder dösen beschäftigt, ist aber offen für deine Kontaktaufnahme, dreht dir den Kopf zu, spitzt die Ohren und genießt deine Streicheleinheiten. Es kann aber auch passieren, dass es heute absolut nichts von dir wissen will, weggeht oder dir das Hinterteil zudreht, wenn du in seine Nähe kommst. Achte auf eventuelle Stressanzeichen: Bewegt es sich plötzlich schneller, wirkt es fahrig oder schaltet es ab und „ergibt sich seinem Schicksal“, sobald du etwas von ihm willst? Denk daran – es ist ein Spiel, in dem ihr euch ganz offen und ehrlich kennenlernen könnt.
  • Reagiere auf dein eigenes Pferd und seine Stimmung genauso, wie du auf die anderen reagiert hast: Ohne Erwartung und ohne Beurteilung. Nach einer Weile wird sich die Interaktion zwischen euch von selbst auflösen, wenn du keinen Anreiz für eine gemeinsame Aktion gibst. In diesem Moment beenden wir heute die Übung. Gratulation, du hast deinem Pferd gerade deutlich gezeigt, dass du dich ehrlich für es interessierst und seine Persönlichkeit respektierst. Ein idealer Aufgangspunkt für jede Zusammenarbeit!

Die nächste Übung findet ihr in den kommenden Tagen wieder hier auf unserer Website. Wir wünschen viel Freude und freuen uns darauf, von euren Erfahrungen zu lesen! Schreibt uns an redaktion@pferderevue.at!