Leseprobe

Blindes Pferd: Was nun?

Ein Artikel von Uta Over | 11.01.2023 - 11:46
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Ein blindes Pferd kann fast alles, was ein sehendes Pferd auch kann, wenn es einen verlässlichen Partner hat. © Katharina Kniejski

Pferde werden selten blind geboren, der Grund für eine angeborene Blindheit ist vermutlich auch aus diesem Grund wenig erforscht. Besser wissenschaftlich untersucht und in den letzten Jahrzehnten auch effektiver zu behandeln ist die häufigste zur Blindheit führende Augenerkrankung, die Periodische Augenentzündung. An ihr leiden Schätzungen zufolge zwölf Prozent der gesamten Weltpopulation. Die Krankheit ist sehr schmerzhaft und führt unvermeidlich zur Erblindung.

Die Ansicht, dass ein erblindetes Pferd keine Schmerzen mehr hat, erwies sich leider als nicht haltbar, so dass Fachärzt:innen im Endeffekt zur Entnahme der geschädigten Augen raten. Allein der Gedanke daran lässt die meisten Pferdebesitzer:innen schaudern – und zugegebenermaßen ist der Anblick eines Pferdes mit leeren Augenhöhlen schmerzlich und gewöhnungsbedürftig. Hinzu kommt, dass es immer noch Tierärzt:innen gibt, die dem skeptisch gegenüberstehen – und leider auch solche, die einem blinden Pferd keine Lebensqualität zugestehen und zum Einschläfern raten. In solchen Fällen sollte man sich nach einem Tierarzt umsehen, der sich mit Augenkrankheiten auskennt, und eine zweite oder auch dritte Meinung einholen.

Die operative Entfernung der Augen ist tierärztlich gesehen ein relativ kleiner Eingriff. Wurde er vor einigen Jahren nur stationär an einer Klinik vorgenommen, so wird er heute oft ambulant im häuslichen Stall und sogar in Standnarkose durchgeführt. Schon kurze Zeit nach der Operation ist das Pferd wieder bei vollem Bewusstsein und kann den Heilungsprozess in vertrauter Umgebung erleben. So schwer diese Entscheidung vielen Pferdebesitzer:innen auch fällt – nach der Operation geht es fast allen Pferden deutlich besser, wenn auch meist noch eine schwierige Zeit der Umstellung vor ihnen liegt.
 

Der Umstellung Zeit geben

Es ist ein großer Unterschied, ob ein Pferd langsam erblindet oder ob es von einem auf den anderen Tag durch einen Unfall o. ä. sein Augenlicht verliert. Bei einem langsamen Prozess können sich die anderen Sinne des Pferdes nach und nach darauf einstellen und das fehlende Sehvermögen ausgleichen. Anders ist es nach einer abrupten Erblindung: Für das Pferd und seine Besitzerin bricht eine Welt zusammen – und damit müssen beide fertig werden.

Die Umgewöhnungszeit ist schwierig. Ganz besonders für das hoch spezialisierte Fluchttier Pferd, das wortwörtlich immer alles im Auge behält. Oft fallen die Pferde in der ersten Zeit regelrecht zusammen, taumeln und wirken desorientiert. Sie brauchen viel Sicherheit, die sie fühlen können: ein dem Pferd wohlgesonnener Artgenosse in seiner Nähe, vertraute Stimmen und Berührungen und erst einmal Ruhe und keine Ansprüche, eine gewohnte Umgebung und nichts Neues.

Nach und nach werden die anderen Sinne stärker und kompensieren weitgehend die verlorene Sehfähigkeit. Am einfachsten kann man das am lebhafteren Ohrenspiel blinder Pferde sehen. Das Hörvermögen des Pferdes ist ohnehin stärker ausgeprägt als sein Sehvermögen – jetzt kommt ihm das zugute.

Die Umgewöhnungszeit kann bis zu einem Jahr dauern – je nach Umweltbedingungen. Dabei ist Bedauern und Betüddeln unsinnig bzw. sogar kontraproduktiv, denn Pferde sind pragmatisch. Ist das Pferd erst mal von seinen Schmerzen befreit und fühlt es sich langsam wohler, wird es von sich aus bemüht sein, seinen Zustand zu verbessern. Darin braucht es Unterstützung und Bestärkung, Mitleid ist fehl am Platz.

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