Dressurpferd mit Handicap

Renate Voglsang und Fürst Ferdinand zur Fasanenhöhe: Blindes Vertrauen

Ein Artikel von Pamela Sladky | 26.04.2022 - 12:32
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Auch mit einem Auge eines der besten Dressurpferde Österreichs: Renate Voglsang und Fürst Ferdinand zur Fasanenhöhe bei ihrem Comeback in Stadl-Paura
© Petra Kerschbaum

Das erste Mal bemerkbar gemacht hatte sich das Problem bereits vor fünf Jahren. Weil das Auge etwas tränte, ließ Renate Voglsang den Fürst-Hohenstein-Sohn einem Tierarzt vorstellen. „Damals haben wir reingeschaut, und da hieß es, dass er eine Linsentrübung hat.“ Therapeutisch lässt sich in einem solchen Fall recht wenig machen. Einzige Option ist, die getrübte Linse unter Vollnarkose zu entfernen, um die Sehkraft bestmöglich zu erhalten. Weil „Ferdi“ weiter aber keinerlei Probleme zeigte, beließ man es vorerst dabei, die Linsentrübung nicht operativ zu behandeln.

In den darauffolgenden Jahren verhielt sich das Auge ruhig und völlig unauffällig. „Natürlich hatten wird das immer so ein bisschen im Hinterkopf, dass mit diesem Auge etwas nicht ganz stimmt, aber lange Zeit hat es keinen Anlass gegeben, sich groß Gedanken darüber zu machen.“ Es gab kein Kneifen, kein Tränen, kein ungewöhnliches Blinzeln. Nur eine gewisse Bodenscheu. Aber die hatte Ferdinand eigentlich schon immer. „Beim Schmied steigt er nicht auf den Bock. Und wenn beim Abspritzen der Schlauch vor ihm auf den Boden fällt, ist das für ihn der Horror. Oder wenn man ihm Gamaschen vor die Füße wirft – damit kam er noch nie gut klar“, erzählt Renate Voglsang, die immer wieder eine Ahnung beschlich, dass ihr Ferdinand vielleicht nicht ganz so gut sieht wie andere Pferde. Das fragliche Auge verhielt sich weiterhin ruhig. „Man hat nichts gesehen. Nie hat es irgendetwas gegeben.“

Bis im vergangenen Januar. Voglsang war gerade von einem Kurs nach Hause gekommen. Bei ihrem Besuch im Stall traf sie fast der Schlag. „Die Linse seines rechten Auges war komplett gelb. Das hat sich rasend schnell entwickelt.“ Umgehend wurde der Wallach in die Klinik gebracht. Dort gab es die Wahl: Entweder OP oder Auge raus. Diese Entscheidung treffen zu müssen, war nicht leicht für die 50-Jährige. „Die Linse eines Pferdes ist um ein Vielfaches größer als die beim Menschen, wo so ein Eingriff relativ problemlos zu machen ist. Und gerade bei einem älteren Pferd – und 13 gilt hier schon als älter – ist die Linse weniger elastisch, und die OP damit nicht ganz unkompliziert.“ Die Erfolgschancen lagen bei 50 %. Voglsang versuchte, das Für und Wider gründlich abzuwägen. Schließlich entschied sie sich für den Eingriff. „Ich habe überlegt, ob ich dem Pferd mit so einer OP überhaupt einen Gefallen tue. Das ist natürlich ein Mords-Eingriff mit Vollnarkose und allem Drum und Dran. Aber wenn ich von mir ausgehe, dann sehe ich lieber schlecht als gar nichts. Also haben wir grünes Licht für die Operation gegeben, obwohl mir bewusst war, dass sie mit einer ganzen Reihe an Risiken verbunden ist.“

Tatsächlich verlief der Eingriff nicht komplikationslos. Beim Aufwachen aus der Vollnarkose wäre der 13 Jahre alte Bayernwallach fast nicht mehr aufgekommen. „Diese Momente waren der absolute Horror“, sagt Renate Voglsang, der die Erinnerung an diese bangen Minuten immer noch einen Schauer über den Rücken jagt. Doch schließlich schaffte es der Braune sich aufzuraffen, und auch der Heilungsprozess verlief anfänglich gut.

Leider blieb es nicht dabei. Aller Sorgfalt zum Trotz gab es erneut Probleme. Erst löste sich die Netzhaut ab, dann begann das Auge zu tränen. Wieder stand Renate Voglsang vor der Entscheidung, was nun zu tun sei. Noch einmal unter Vollnarkose auf den Tisch? Noch einmal spülen und versuchen, das Auge zu retten? „Nachdem er mit der ersten Narkose so schlecht zurechtgekommen ist und wir ihn fast verloren hätten, war für mich der Punkt erreicht, wo ich mich dazu entschlossen habe, das Auge aufzugeben und entfernen zu lassen.“ Bestärkt wurde sie in ihrer Entscheidung durch Ferdinand selbst. „Ab dem Zeitpunkt, wo die Netzhaut ab war und er auf dem Auge praktisch gar nichts mehr gesehen hat, war er viel entspannter.“


Auf dem Weg zurück

Inzwischen ist der Wallach seit einigen Wochen wieder im heimatlichen Stall. Wo zuvor sein rechtes Auge blitzte, prangt nun ein großes Loch im Pferdekopf. Auch wenn sich Renate Voglsang an diesen Anblick nicht recht gewöhnen kann, ist ihr in erster Linie wichtig, dass ihr Großer die Strapazen der vergangenen Monate gut überstanden hat. Seine eingeschränkte Sicht steckt er problemlos weg. „Anfangs hat er sich schon ein paar Mal den Kopf gestoßen, aber mittlerweile kommt er wirklich gut damit klar. Ich muss beim Führen einfach daran denken, dass ich jetzt auch für ihn achtgebe. Er rennt mir überall brav hinterher, und wenn ihm auf seiner blinden Seite irgendetwas im Weg steht, dann läuft er da schon mal direkt rein.“

Auf der Koppel gibt sich Ferdinand wie eh und je. Und auch unter dem Sattel lässt er sich sein Handicap nicht anmerken. „Beim Reiten merke ich überhaupt keinen Unterschied. Wahrscheinlich hat er schon über einen langen Zeitraum hinweg schlecht gesehen. Die Umstellung auf die neue Situation scheint für ihn keine große Sache zu sein. Ich könnte nicht sagen, dass irgendetwas schwieriger geworden ist. Auch nicht im Gelände. Ich lasse ihn am langen Zügel über Stock und Stein laufen – und er meistert das souverän. Nur wenn ich ein noch eher junges und unsicheres oder ein übermütiges Pferd dabei habe, dann muss ich darauf achten, dass es an seiner sehenden Seite läuft, damit er reagieren kann, wenn das andere Pferd einen Satz auf ihn zu macht. Da muss ich mich als Reiterin einfach darauf einstellen.“

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Auf der Koppel toben klappt auch einäugig ganz gut! © privat

Dass er schon fast wieder ganz der Alte ist, bewies „Ferdi“ anlässlich des Oster-CDI4* in Stadl-Paura. Seinen ersten einäugigen Grand Prix beendete er mit 69,217 % und Platz sieben, im anschließenden Grand Prix Spécial arbeitete sich das Paar auf 70,575 % und Rang zwei vor. Auch mit eingeschränkter Sicht gehört Fürst Ferdinand zur Fasanenhöhe immer noch zu Österreichs besten Dressurpferden. Dafür sorgen seine Ganggewalt und sein besonderes Talent für die schwierigsten Lektionen. Und sein riesengroßes Vertrauen in seine Reiterin, die für ihrem Ferdi nun auch immer ein bisschen mitsehen muss.