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Verbandsführung bestätigt: Moderner Fünfkampf künftig ohne Reiten

Ein Artikel von Pamela Sladky | 04.11.2021 - 12:27
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Die Probleme im Reitbewerb sind nicht von heute auf morgen entstanden, mit der Streichung der Disziplin zieht der Weltverband die Notbremse, um die Zukunft des Sports zu sichern.
© imago images/AFLOSPORT

„Der Reitsport ist ein Hindernis für die Entwicklung unseres Sports, sowohl in Bezug auf die Praxis als auch auf die Kosten“, sagte Joël Bouzou, Vizepräsident des Fünfkampf-Weltverbandes im Gespräch mit der französischen Sportzeitung „L'Equipe“. Der Moderne Fünfkampf – insbesondere die Teildisziplin Springreiten – war anlässlich der Olympischen Spiele in Tokio ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Dort hatte die deutsche Gold-Favoritin Annika Schleu auf ihrem zugelosten Wallach Saint Boy eine denkbar unglückliche Figur abgegeben, als sie versuchte, ihr völlig überfordertes und verunsichertes Pferd unter Tränen mit Gerte und Sporen durch den Parcours zu bringen. Unterstützung hatte sie dabei von der deutschen Bundestrainerin Kim Raisner erhalten, die ihre Athletin vor laufenden Kameras anwies „mal richtig draufzuhauen“.

Die Bilder von Schleus tragischem Scheitern gingen bereits Minuten nach dem Bewerb um die ganze Welt, seither kommt der Moderne Fünfkampf nicht mehr aus den Schlagzeilen. In den Wochen danach mehrten sich die Stimmen, die die Streichung des Reitbewerbs aus dem Sport forderten. Auch Hans-Joachim Erbel, Präsident der Deutschen Reiterliche Vereinigung (FN) sprach sich vehement dafür aus. Gegen Kim Raisner und Annika Schleu wurden Strafanzeigen wegen Tierquälerei eingebracht, aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen beide Frauen.


Fall Schleu nicht der Grund

Trotz der anhaltenden Negativpresse soll die nunmehrige Entscheidung des UIPM nichts mit den Vorfällen in Tokio zu tun haben, wie Bouzou gegenüber „L'Equipe“ beteuerte. Vielmehr sei dies ein Schritt, den man schon lange überlege: „Wir haben bereits 2018 damit begonnen, darüber nachzudenken.“

Dass der Fall Annika Schleu keinen Einfluss auf den Entscheidungsprozess gehabt haben soll, ist allerdings schwer vorstellbar. Als die Kritik im Zuge der Spiele zu voller Stärke aufbrandete, schloss UIPM-Präsident Dr. Klaus Schormann einen Wegfall des Reitbewerbs noch kategorisch aus. Stattdessen wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, mit deren Hilfe der Reitbewerb bis zu den Spielen in Paris 2024 reformiert und zukunftsfit gemacht werden sollte. Auch wurden die nationalen Verbände um Mitarbeit gebeten. Dieser Einladung folgte der österreichische Verband, der ein aufwendiges Konzept ausarbeitete, das unter anderem eine starke Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Reitverbänden vorsah.


Probleme schon lange sichtbar

Dass der Reitbewerb dringend einer Überarbeitung bedurfte, war für viele schon vor dem Schleu-Eklat klar. „Die negativen Entwicklungen, die in Tokio so sichtbar geworden sind, gibt es bereits seit Jahren. Da hat man von Seiten des internationalen Verbandes viel zu lange zugeschaut und meiner Meinung nach verabsäumt, rechtzeitig gegenzusteuern und den Reitbewerb modern und zeitgemäß zu gestalten, indem man ein entsprechendes Niveau bei Pferden und Reitern sicherstellt“, sagt der österreichische Fünfkämpfer und Tokio-Teilnehmer Gustav Gustenau im Gespräch mit der Pferderevue.

Mit der anhaltenden Negativpresse, die der Vorfall bei den Olympischen Spielen auslöste, war der Druck auf die Verbandsführung aber wohl zu groß, um das Ruder für den Erhalt des Reitens noch einmal herumzureißen. „Möglich, dass die Streichung eine Forderung war, um weiterhin im olympischen Programm zu bleiben“, vermutet Gustenau.


Ende einer langen Tradition

Für den Niederösterreicher bedeutet die aktuelle Entscheidung das Ende des Modernen Fünfkampfes. „Ohne Reiten ist das meiner Meinung nach kein Fünfkampf mehr. Ganz grundsätzlich ist es so, dass jede Sportart einen gewissen Wesenskern hat. Beim Modernen Fünfkampf, wie er seit 1912 als Sportart bei den Olympischen Spielen vertreten ist, war das Reiten immer ein essenzieller Bestandteil. Das rührt aus der Geschichte des Sports mit starkem militärischem Bezug her. Kann sein, dass der Fünfkampf durch diesen Schritt weiterhin im olympischen Programm bleibt, aber dann in Form einer neuen Sportart – wie auch immer die aussehen wird.“

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Für Österreichs Olympiateilnehmer Gustav Gustenau ist das Reiten ein essenzieller Bestandteil des Modernen Fünfkampfes. In Tokio gelang dem passionierten Reiter und Pferdebesitzer im Sattel seines zugelosten Partners Aerosmith eine fehelrfreie Runde. © Filip Komorous

Die Spiele in Tokio beendete Gustav Gustenau als Sechzehnter – unter anderem dank eines fehlerfeien Rittes auf seinem Leihpferd Aerosmith. Für den Heeressportler ist das Reiten Herzensangelegenheit, er hat drei eigene Pferde, die er auf klassischen Springturnieren vorstellt. Reiten ist neben dem Schwimmen seine stärkste Disziplin im Fünfkampf, die Enttäuschung über den Wegfall des Bewerbs entsprechend groß. Doch nicht alle Athlet:innen und Verbände werden diese Enttäuschung teilen. In den vergangenen Jahren seien zunehmend Verbände aus finanzschwächeren Nationen im UIPM aufgenommen worden. „Diese Nationen haben große Schwierigkeiten, ihre Reiter auf ein Mindestniveau zu bekommen. Ihnen ist diese Entwicklung sicherlich sehr willkommen, denn mit dem Fahrrad lässt sich das Training weitaus kostengünstiger gestalten als mit einem Pferd“, so Gustenau.

Ob der 24-Jährige dem Fünfkampf auch die Treue halten wird, wenn er vom Pferd auf das Rad – wie derzeit kolportiert – umsatteln muss, lässt Gustenau offen. „Das kann ich zum heutigen Zeitpunkt noch gar nicht sagen. Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass ich auf jeden Fall weiterhin Reitsport betreiben werde.“