Begonnen hat diese Verfassungsprüfung für Österreichs Team noch mit einem Schmunzler, als der Kommentator meinte: „Autriche, Australia!“ Harald Ambros und sein Vitorio du Montet sorgten dann nur bei den französischen Insidern für Verwirrung, da sein Pferd ja einst für die Tricolore im Einsatz war und die Franzosen offenbar nicht wussten, dass er jetzt in Österreich steht. Die Tierärzte hatten an seiner Fitness aber keine Zweifel.
Doch wenig später war der gesamten Mannschaft nicht mehr zum Lachen zumute. Denn als Lea Siegl mit ihrem Fighting Line vortrabte, zogen die Veterinäre die Augenbrauen hoch, steckten die Köpfe zur Beratung zusammen. Das Ergebnis: Fighti musste in die Holdingbox. Dort hatte die Tierärztin nichts zu beanstanden und Fighting Line trabte zum zweiten Mal zwischen den Bäumen des Versailler Schlossparkes. Leider nicht besser als beim ersten Mal und so verkündete der Sprecher: „Fighting Line is not accepted!“
Der schockierte Equipechef Thomas Tesch fand als erster die Fassung wieder: „Das ist jetzt natürlich eine rabenschwarze Verfassungsprüfung gewesen und zwar für das gesamte österreichische Vielseitigkeitsteam. Es ist ‚out of the blue‘ gekommen. Das Pferd war in den Tagen zuvor schnurgerade und auch heute noch beim Vortraben. Erst beim Bewerbs-Trot-Up hat er eine Taktunreinheit angezeigt. Er ist dann in die Holdingbox gekommen. Die Tierärztin hat gesagt, sie kann nichts feststellen, sie ist ‚happy with him‘. Auch dort ist er wieder gerade gelaufen." „Vielleicht", mutmaßt Tesch, „hat er sich zusätzlich noch durch die Kulisse der Kameras beeindrucken lassen. Er ist ja doch etwas verhalten getrabt, was er auf anderen Plätzen nicht gemacht hat. Alles in allem ein rabenschwarzer Tag für Lea, für die es mir persönlich sehr leidtut und auch ein schwarzer Tag für das Vielseitigkeitsteam an sich, weil wir ja davon ausgegangen sind, dass beide hier sehr gute Platzierungen erreichen können.“
Harald Ambros fühlte mit der Mannschaftskollegin mit: „Mir ist so etwas leider auch schon passiert, das ist eben unser Sport. Es ist jammerschade.“
Nach einiger Zeit hatte Lea Siegl auch wieder die Fassung gewonnen: „Natürlich geht es mir jetzt Sch…. Vor allem weil alles so unvermutet kam. Noch gestern und heute früh gab es überhaupt keine Anzeichen, dass er nicht fit sei. Er trabte perfekt. Hätten wir das gewusst, dann wäre ja mein zweites Pferd, Van Helsing P, der ja auch für Olympia qualifiziert war, zum Einsatz gekommen. Aber man musste heute um 6 Uhr früh angeben, welches Pferd startet und danach gab es keine Möglichkeit mehr zum Tauschen, so ist eben das Regelwerk. Daher haben wir Fighting Line vorgestellt, der gut in Schuss war. Wir können uns alle nicht erklären was genau passiert ist, ob er umgeknickt ist oder ob es am Huf oder ob es am Boden lag. Natürlich werden wir ihn zu Hause gründlichst durchchecken, aber hier waren wir alle geschockt. Ich habe beim ersten Vortraben gemerkt, dass er unrein geht. Beim zweiten Vortraben wusste ich sofort, dass er nicht akzeptiert wird. Die Richter brauchten gar nichts mehr zu sagen", fasst Siegl die Ereignisse des Vormittages zusammen.
So enttäuschend die Ereignisse für die 25-jährige Oberösterreicherin sind, so sehr ist sie Sports- und Pferdefrau durch und durch. "Für mich ist erst einmal die Welt zusammengebrochen, aber jetzt denke ich mir, wer weiß wofür es gut war. Denn ich will nicht mit einem nicht fitten Pferd starten und dann passiert vielleicht bei der Prüfung etwas.“
Vater Harald Siegl war ebenfalls rat- und sprachlos: „Noch nie hatte Fighting Line bei einer Verfassungsprüfung Probleme, bei all seinen Turnieren, die er bestritten hatte.“ Lea tut es auch für das ganze Team leid: „Da bereitet man sich jahrelang vor, alle stehen hinter einem und unterstützen mich und jetzt das. Aber ich blicke trotzdem nach vorne, auch wenn es sich momentan nicht gut anfühlt!“
Damit wird lediglich Harald Ambros mit dem 15-jährigen Vitorio du Monet als einziger Österreicher morgen in der Dressurprüfung der Vielseitigkeit an den Start gehen, seine Startzeit ist 16:00 Uhr.
Blog: Olympiageflüster aus Versailles
Zwei Tage vor einem großen Championat anzureisen genügt in der Regel für einen Pferdesportjournalisten. So war es zumindest in den letzten 18 Jahren, in denen ich die Ehre hatte Österreichs Reitsportler bei großen internationalen Meisterschaften begleiten zu dürfen.
Hier in Paris tickten die Uhren aber anders: Zuerst der Megaskandal um das Dujardin-Video, das ich von Wien aus recherchieren musste, dann die Meldung vom unerwarteten Wechsel im rot-weiß-roten Dressurteam, die mich vor dem Abflug aus Wien erreichte und schließlich hörte ich unmittelbar nach der Landung am Airport Charles de Gaulle von der PR-Aktion der PETA-Sympathisanten gegen Max Kühner. Und dann ging es gleich am ersten Tag der Berichterstattung in Versailles in dieser Tonart weiter und Lea Siegl musste ihren Olympiatraum beenden. Keine ideale Ausgangsbasis also für eine positive Vor-Berichterstattung.
Dabei wollte ich Ihnen ursprünglich von der Leidenschaft der Sportlerinnen und Sportler bei Olympia erzählen und dass ich trotz allem Daumendrücken für die heimischen Athleten jedesmal den Hut ziehe vor den individuellen Leistungen, egal aus welchem Land er/sie kommt. Ich wollte Ihnen davon berichten, dass selbst ein Olympiasieger wie Michael Jung bekennt: „Olympische Spiele sind das höchste der Gefühle!“ Auch davon, dass in der öffentlichen Wahrnehmung und der Berichterstattung bei Olympischen Spielen meist nur von Medaillen die Rede ist, für die Athleten und Athletinnen es aber auch andere Ziele gibt. Warum sollte ein überraschender vierter Platz in einem Bewerb nicht wertgeschätzt werden, warum muss immer das Medaillentableau im Mittelpunkt stehen? So kann das Erreichen eines Finales oder eine persönliche Bestleistung ebenso hell glänzen wie Edelmetall. Aus diesem Grund vergibt das IOC auch Olympische Diplome, mit denen die besten Acht ausgezeichnet werden. Und endlich stehen auch andere Sportarten als Fußball, Skifahren oder Formel 1 im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und erfahren in der Medienwelt ihre entsprechende Würdigung.
Aber diese schönen Gedanken verblassen natürlich nach den Ereignissen der letzten Tage. Denn die gesamte Reitsportszene muss darüber nachdenken, wie es in ihrem Sport weitergehen soll und dass es wohl diesmal auch nicht ausreicht, nur den schwarzen Schafen das Handwerk zu legen. Berüchtigte „Tierschutzinstitutionen“ wie PETA werden nämlich nicht aufhören den Pferdesport in den Schmutz zu ziehen. Es muss einfach gelingen der breiten Öffentlichkeit die Schönheit und Einzigartigkeit von Pferd und Reiter zu vermitteln. Dafür ist aber ein grundlegendes Umdenken notwendig - beginnend beim Weltreiterverband und bei allen Stakeholdern wie Reitern, Besitzern, Richtern, Trainern etc. Sonst könnte es nämlich leicht sein, dass der Reitsport die olympische Bühne verlassen muss. Eine Forderung, die man in vielen der oft haltlosen Kommentare auf social media lesen kann und der man entschieden mit Fakten und guten Beispielen entgegen treten muss.
Ernst Kopica